Gemeinsam mit der Börsenlegende André Kostolany gründete Gottfried Heller Anfang der 1970er Jahre die FIDUKA Vermögensverwaltung in München. Damit kommt er inzwischen auf mehr als ein halbes Jahrhundert Börsenerfahrung. Er versucht vor allem Frauen und junge Menschen an das Thema Aktienanlage heranzuführen. 2018 veröffentliche er sein neuestes Buch "Die Revolution der Geldanlage". Darin beschreibt Heller die Umwälzungen an den Finanzmärkten, die Sparern und Anlegern bessere Chancen bieten als noch vor zehn oder 20 Jahren, und wie sich diese Möglichkeiten zum Beispiel mit ETFs nutzen lassen.
BÖRSE-ONLINE.de: Es zog Sie schon früh nach Amerika, wo Sie auch einige Zeit verbrachten. Was hat Sie damals an den USA gereizt und wie profitieren Sie noch heute von dieser Zeit?
Gottfried Heller: Rückblickend habe ich den Beschluss wohl schon als Zehnjähriger gefasst, als die Amerikaner 1945 in unser Dorf einmarschierten und unser Haus in Beschlag nahmen. Sie benahmen sich sehr anständig. Ich war nach dem Studium bei einer Unternehmensberatung beschäftigt. Im Alter von 28 Jahren kündigte ich und reiste per Schiff nach Amerika. Ich hatte keinen Job. Die längste Zeit war ich dort wieder bei einer Management Consulting-Firma beschäftigt, eine Tätigkeit, die mit Reisen verbunden ist. Auf diese Weise habe ich Amerika - sozusagen auf Spesen - kennengelernt. Amerika war für mich beruflich und persönlich eine sehr prägende Zeit. Es war wohl eine der wichtigsten Weichenstellungen in meinem Leben, von der ich bis heute profitiere.
Sie sind in Amerika viel herumgekommen. Wo hat es Ihnen am besten gefallen?
Am besten haben mir Chicago und Boston gefallen. Chicago ist besser als sein Ruf und Boston - als Universitätsstadt - hat ein europäisch anmutendes Flair.
Bevor Sie sich vollkommen der Finanzwelt zuwandten, absolvierten Sie ein Ingenieursstudium und studierten in den USA an der Abenduniversität Journalismus und Geschichte. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Konstellation?
Ich habe an der New York University (NYU) an der Abenduniversität Kurse in Journalismus belegt. Teil des Lehrplans war es, Artikel zu schreiben. Das war auch eine gute Übung, durch die ich mein Englisch verbessert habe. Geschichte habe ich belegt, weil ich immer schon die großen Zusammenhänge erkennen wollte.
Neben dem Studium und der Arbeit unternahmen Sie auch einen Exkurs in die amerikanische Politik. So engagierten Sie sich als Wahlhelfer bei der Wahlkampagne 1968 von Senator Robert Kennedy in den Vorwahlen zur US-Präsidentschaft. Wie kam es dazu?
Ich war damals noch Junggeselle und teilte ein Apartment mit einem amerikanischen Freund, der bei einer großen Anwaltskanzlei beschäftigt war. Dort hatte man ihn angesprochen, ob er in der Wahlkampagne von Senator Robert Kennedy in den Vorwahlen (Primaries) zur US-Präsidentschaft mithelfen wolle. Er fragte mich, ob ich mitmachen würde. Ich sagte sofort zu, denn ich fand es spannend, auf diese Weise den politischen Betrieb in Amerika kennenzulernen.
Der Stadtbezirk, in dem wir Wahlwerbung machten, war die Bronx - damals ein heißes Pflaster. Wir suchten uns ein Wahllokal, bestückten es mit 30 Telefonen von AT&T und heuerten Studenten an, die systematisch bei potenziellen demokratischen Wählern telefonisch Wahlwerbung machten.
Noch während des Wahlkampfes kam Robert Kennedy bei einem Attentat ums Leben. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich habe damals noch in den USA gelebt. Das Attentat am 06.06.1968 in Los Angeles habe ich live im Fernsehen gesehen. Robert Kennedy kam von einer Wahlveranstaltung und war zu Fuß auf dem Weg zu seinem Hotel, als ihm plötzlich ein Mann aus nächster Nähe in den Kopf schoss. Für mich war es umso schmerzlicher, denn ich hätte "Bobby" Kennedy am nächsten Tag auf einer Veranstaltungstour, die ich ausgearbeitet hatte, begleiten sollen.
Schließlich sind Sie in der Finanzbranche durchgestartet. Woher kam dieser Wechsel?
Eines Tages im Spätsommer 1968 besuchte mich Dr. Alfred Schwingenstein, Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung, in New York. Er hatte mich auf Empfehlung aufgesucht, um mir ein Stellenangebot zu machen. Ich sollte Geschäftsführer einer Investmentfonds-Vertriebsgesellschaft werden. Diese vertrieb Fonds von namhaften amerikanischen Investmentgesellschaften wie Fidelity in Deutschland.
Ich lebte damals schon seit sechs Jahren in den USA. Ich fühlte mich dort sehr wohl und hatte keine Absicht, nach Deutschland zurückzukehren. Nach einiger Bedenkzeit sagte ich aber zu und bereits im Juni 1969 begann ich meine Tätigkeit in München.
Es war ein beschwerlicher Start. Der Fondsverstrieb war in Deutschland wegen betrügerischer Machenschaften ausländischer Investmentfirmen praktisch tot. So musste ich mich kurz nach dem Start nach einer anderen Geschäftsgrundlage umsehen.
Eine meiner Ideen war, eine private bankenunabhängige Wertpapier-Depotverwaltung zu starten. Diese Dienstleistung hatte in den angelsächsischen Ländern schon eine lange Tradition, in Deutschland war sie dagegen kaum verbreitet.
Sie haben diese Idee dann mit Börsen-Altmeister André Kostolany umgesetzt und die Fiduka gegründet. Wie kam es dazu?
Richtig. Kurz nach meiner Rückkehr aus Amerika lernte ich 1969 bei einer Veranstaltung der Hypobank André Kostolany kennen, der damals schon als Börsenaltmeister bekannt war. Ich fragte ihn, ob er bereit wäre, mit mir in einer Depotverwaltungsfirma sein Knowhow einzubringen. Er gab spontan zur Antwort, dass er hierzu mit den richtigen Partnern gerne bereit wäre. Schon im Herbst 1970 fassten wir den Beschluss, eine Depotverwaltung zu gründen, was formell am 22. April 1971 geschah. Im Alter von 65 Jahren begann André Kostolany seine zweite Karriere.
Was konnten Sie aus dieser Zeit der Zusammenarbeit mitnehmen?
Das antizyklische Verhalten, eine Neigung, die ich schon zuvor besaß, wurde noch verstärkt. Dafür braucht es neben Sachkenntnis ein gesundes Selbstbewusstsein und Mut. Kostolany schätzte, dass nur fünf Prozent der Anleger diese Fähigkeit besäßen.
Entgegen der landläufigen Meinung war Kostolany kein kurzfristiger Spekulant, sondern ein Langfristanleger. Ein Broker kündigte sogar sein Depot wegen Inaktivität.
Eine wichtige Verhaltensregel war für Kostolany die Geduld bei Aktienanlagen. Einer seiner Sprüche war: 2 plus 2 = 5 minus 1 - man muss die Geduld aufbringen, das minus 1 abzuwarten.
Ein anderer etwas derber Spruch, der laut Kostolany von den jüdischen Frankfurter Börsianern
stammt, lautet: "Mit dem Hintern verdient man mehr als mit dem Hirn."
Wenn Sie die Zeit heute mit der Zeit der Fiduka-Gründung Anfang der 70er Jahre vergleichen: Welche Anlagegrundsätze von damals gelten für Sie heute noch? Und an welchen Stellen und durch welche Trends hat sich ihre Anlagestrategie verändert?
Meine Karriere als Vermögensverwalter begann vor gut 50 Jahren, noch in der alten Börsenwelt. Das war, verglichen mit heute, wie im Mittelalter. Die Informationen flossen langsam und spärlich. Zu den Privatanlegern kamen sie ganz zuletzt und zudem waren sie auch noch teuer. Die Banken besaßen das "Königswissen". Früher dominierte der Präsenzhandel. Heute findet der Großteil des Handels lautlos zwischen Computern statt. Direktbanken und Discount-Broker kamen erst in den 1990er Jahren mit dem Internet auf.
Heute kann sich jedermann, ob Groß- oder Kleinanleger, in Echtzeit über die Entwicklung der globalen Wirtschaft und der Finanzwelt informieren.
Bei den Anlagegrundsätzen gelten auch heute noch die gleichen wie damals. Was sich allerdings geändert hat, sind neue Anlagevehikel - die wichtigsten davon die ETFs (börsengehandelte Indexfonds). Sie haben die Anlagepraxis erleichtert und vereinfacht. Sie machen es auch für Kleinanleger möglich, auf einfache und kostengünstige Weise breit international gestreut in Aktien anzulegen.
Kürzlich haben sich beim US-Videospielanbieter Gamestop erstmals organisierte Kleinanleger über Social-Media-Plattformen erfolgreich gegen einen Hedgefonds verbündet. Sehen Sie derartige Vorgänge als eine Form von "Demokratisierung" der Börse, oder gefährdet es die Stabilität der globalen Finanzmärkte?
Ich finde es gut, dass das Internet es Kleinanlegern ermöglicht, sich als Gegenmacht erfolgreich gegen einen Hedgefonds zu verbünden. Die Stabilität der Finanzmärkte wird es keinesfalls gefährden. Allerdings sollten die Kleinanleger nicht wie im Spielcasino vorgehen, sondern die fundamentalen Faktoren, vor allem die Gewinnaussichten der Unternehmen im Auge behalten.
Sie sagen, dass sie vor allem Frauen und junge Menschen für die Aktienkultur begeistern wollen. Woher kommt dieser Antrieb?
Viele Frauen und junge Menschen werden ein Problem haben, wenn sie in den Ruhestand gehen. Denn die staatliche Rente wird für die meisten von ihnen hinten und vorne nicht reichen. Warum? Bei Frauen gibt es drei Gründe: Sie verdienen weniger als Männer, weisen häufig weniger Berufsjahre auf und arbeiten öfter in Teilzeit.
Für junge Menschen generell gilt, dass die staatliche Rente bei weitem nicht reichen wird, wenn sich am jetzigen System nichts ändert. Wenn sie früh beginnen und 40 Jahre Sparzeit bis zur Rente haben, sollten sie dies mit Aktien tun, am einfachsten mit ETFs. Im langjährigen Durchschnitt bringen es Aktien jährlich auf etwa sieben Prozent pro Jahr. Um ein Geldvermögen von 100.000 Euro zu erzielen, müssen sie monatlich nur 40 Euro aufwenden. Wenn sie aber spät beginnen und nur 20 Jahre bis zur Rente haben, müssen sie 196 Euro aufwenden - das ist fast das 5-fache.
Im Coronajahr 2020 haben offenbar viele junge Menschen in Deutschland die Börse für sich entdeckt. Sehen Sie darin schon eine Trendwende hin zu einer besseren Aktienkultur?
Etwas zynisch kann man sagen, dass das Corona-Jahr auch etwas Gutes hatte, indem es mehr Anlegerinnen und Anleger in Aktien trieb. Von einer Trendwende würde ich allerdings erst sprechen, wenn die Neulinge noch dabeibleiben, wenn die Kurse auch mal fallen.
Welche Tipps würden Sie diesen Börsen-Neulingen geben?
Es ist wichtig langfristig zu denken und anzulegen. Dieser lange Zeitraum ist entscheidend und zahlt sich aus. Der zweite Punkt ist Diversifikation: Eine breite internationale Streuung erhöht die Rendite und senkt das Risiko. Außerdem sollten Aktien-Neulinge keinen Investment-Moden nachlaufen - das bewahrt vor zu teurem Einkauf. Und was unerfahrene Anlegerinnen und Anleger unbedingt beherzigen sollten: Tut nur, was ihr auch versteht. Komplizierte Anlagen bergen mehr Risiken als man ahnt.
Welche "verpasste" Anlagechance bereuen Sie am wenigsten?
Als der Neue Markt 1997 an den Start ging und ich nie in eine Aktie davon investiert habe, ist mir vorgeworfen worden, dass dies eine kolossale Fehleinschätzung sei. Ich habe tatsächlich die kurzfristigen großen Gewinne am Neuen Markt komplett verpasst - aber dafür die weitaus gewaltigeren Verluste ab dem Jahr 2000 vermieden.
Was fasziniert Sie an der Finanzbrache besonders?
Für mich ist das Spannende, dass hier alle Fäden aus Wirtschaft, Finanzen und Politik zusammenlaufen. Bei jeder Anlageentscheidung ist deshalb der Blick auf das "große Ganze" entscheidend.
Gibt es trotz Ihrer Begeisterung für die Branche etwas, das Sie an der deutschen Aktienkultur gerne ändern würden?
In Sachen Finanzen sind die meisten Deutschen Analphabeten, wie Umfragen immer wieder bestätigen. Daher müsste Finanzwissen grundsätzlich Teil des Lehrplans in den Schulen werden.
Spontan lässt sich nicht viel machen. Aber die zinslose Zeit ist hilfreich - weil Aktien die einzige verbliebene standardisierte Anlageform ist, die noch eine nennenswerte Rendite bringt. Man müsste aber den risikoscheuen Deutschen die Angst vor Aktien nehmen, indem man ihnen eintrichtert, dass Aktien langfristig mit Abstand die höchsten Renditen bringen. Außerdem müsste man ihnen deutlich machen, dass Schwankungen in der Regel temporäre Risiken sind, die man in Kauf nehmen muss, um die höhere Rendite zu ernten. Rendite und Risiko sind untrennbar verbunden.
Sie blicken auf viele Jahre Branchenerfahrung zurück. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Zum Guten hat sich geändert, dass die Informationen reichlich vorhanden und leicht verfügbar sind, dass sich die Anlagepalette durch die ETFs erweitert hat und das Anlegen einfacher und kostengünstiger geworden ist.
Zum Schlechten hat sich verändert, dass die deutsche Gesetzgebung die Anlage in Aktien eher benachteiligt, anstatt sie zu fördern. Bei Aktien gibt es eine Doppelbesteuerung, weil Anleger auf die bereits von der Aktiengesellschaft versteuerten Gewinne nochmals Steuern zahlen müssen, nämlich die Abgeltungssteuer. Außerdem wurde mit der Einführung der Abgeltungssteuer im Jahr 2009 die Spekulationsfrist vollkommen abgeschafft. Zuvor waren Kapitalerträge steuerfrei, wenn die Aktien mehr als ein Jahr lang vor dem Verkauf gehalten wurden.
Ein kluger Staat würde es seinen Bürgern - auch steuerlich - attraktiv machen, wenn sie in Aktien, die ertragsreichste Anlageform, investieren. Je höher die Rendite aus privater Altersvorsorge, desto weniger werden die Bürger dem Staat später auf der Tasche liegen.
Welcher Börsencrash war in Ihrer Zeit als Börsianer für Sie der Schlimmste und warum?
Ich habe seit den 1970er Jahren einige nervenzehrende Börseneinbrüche erlebt. Der Crash, der mir am meisten in Erinnerung bleibt, geschah am 19. Oktober 1987. An diesem Tag stürzte der Dow Jones um nahezu 23 Prozent ab.
Nicht einmal am 25. Oktober 1929, an jenem legendären Schwarzen Freitag, war es so dramatisch zugegangen - nur 12,8 Prozent betrug der Verlust damals. Düstere Vergleiche mit dem Weltwirtschaftscrash von 1929 wurden gezogen. Doch ich schrieb in einem Brief an die Kunden der FIDUKA: "Es hat ein reinigendes Gewitter stattgefunden. Wir waren hinsichtlich der mittelfristigen Börsenaussichten seit langem nicht mehr so optimistisch." Wir haben damals antizyklisch fleißig Aktien gekauft und für unsere Kunden große Gewinne gemacht.
Wenn Sie für einen Tag alle Verpflichtungen rund um Arbeit und Finanzen beiseiteschieben würden, was würden Sie unternehmen?
Ich würde zum Wandern gehen.
Zum Abschluss: Auf welche Meilensteine Ihrer Karriere sind Sie besonders stolz?
Die Gründung der FIDUKA-Depotverwaltung zusammen mit André Kostolany - und in neuerer Zeit mein vorletztes Buch "Der einfache Weg zum Wohlstand", in dem ich frühzeitig auf die Vorteile von ETFs hingewiesen habe.