Wenn Rajesh Jerurikar, Chef der Agrartechniksparte des indischen Multikonzerns Mahindra & Mahindra, die neusten Absatzzahlen seiner Traktoren verkündet, könnten Konkurrenten schon neidig werden. Rund 10 000 Schlepper hat Mahindra allein im November 2021 verkauft. Zum Vergleich: Der deutsche Hersteller Fendt, der zum US-Konzern Agco gehört, wird im Gesamtjahr wohl rund 20 000 Traktoren verkauft haben. Der große Unterschied zwischen den beiden Marken: Ein Mahindra-Traktor ist schon ab umgerechnet etwa 8000 Euro zu haben, Topmodelle kosten rund 15 000 Euro. Der Einstiegspreis für den kleinsten Fendt liegt bei etwa 70 000 Euro, das Spitzenmodell kann je nach Ausstattung bis zu einer halben Million Euro kosten. Gemeinsam aber ist den so unterschiedlichen Landtechnikern: Sie rechnen für 2022 mit bis zu 20 Prozent Umsatzwachstum.
Die Landtechnikbranche erlebt seit gut zwei Jahren einen Boom, der angesichts der Auftragslage auch noch über das Jahr 2022 hinaus anhalten könnte. Wer als Anleger vor drei Jahren auf die Topwerte der Landtechnik gesetzt hat, hat seinen Einsatz inzwischen verdoppelt. Und der rasante Kursanstieg der Agrartechnik-Aktien dürfte sich zwar verlangsamen, sollte aber noch längst nicht vorbei sein. Denn angesichts der im Verhältnis zum Umsatz noch stärker gestiegenen Gewinne der Branche sind die Agrarpapiere auch aktuell noch recht günstig bewertet - die Kurs-Gewinn-Verhältnisse bewegen sich zwischen zwölf und unter 20. Für Wachstumswerte ist das nicht teuer.
Der wichtigste Grund für die guten Geschäfte der Landtechniker sind die gestiegenen Preise für Agrarrohstoffe, die durchaus auch bei den Erzeugern ankommen. So schätzt das US-Landwirtschaftsministerium, dass die Gewinne der Farmer 2021 um fast 20 Prozent höher ausfallen als im ohnehin schon guten Vorjahr. Und bessere Einkommen tragen nicht nur die Farmer aus den USA traditionell auch wieder zu den Landtechnikhändlern.
In Amerika, ohnehin der wichtigste Agrar- sowie Landtechnikmarkt der Welt, kommt noch dazu, dass die von Ex-Präsident Donald Trump angezettelten Handelsauseinandersetzungen, insbesondere mit dem weltgrößten Agrarrohstoffkäufer China, für große Unsicherheit oder gar Verluste bei den Farmern und damit für Kaufzurückhaltung gesorgt hatten. Die über Jahre aufgeschobenen Investitionen befeuern das Geschäft nun zusätzlich.
Weiter steigende Nachfrage
Die Preise für Agrarrohstoffe entwickeln sich zwar ähnlich anderen Rohstoffen zyklisch, steigende Notierungen waren erwartet worden, doch im vergangenen Jahr sorgten die Wetterbedingungen rund um den Globus für zusätzlichen Preisschub - weil das Wetter ungünstig für viele Ernten war. In den USA oder in Russland war es für den Weizen zu trocken, in Brasilien war es für Soja oder Orangen zu heiß, in Vietnam, Indonesien oder Malaysia standen Felder und Plantagen aufgrund von Dauerregen unter Wasser. Für die jeweils betroffenen Bauern schlecht, die Preise für Agrarrohstoffe allerdings treiben so entstandene Knappheiten nach oben - und Bauern aus anderen Regionen mit besseren Ernten verdienen mehr.
Selbst wenn das Wetter dieses Jahr weltweit günstig für die Landwirtschaft ausfallen würde, bleiben solche - preistreibenden - Marktstörungen wohl noch bestehen, Ursache dafür ist aber die Corona-Pandemie. Hafenschließungen oder Mangel an Containern, weil unter anderem Stahl fehlt, haben die globalen Logistikketten empfindlich gestört oder gar zerstört. China, das nach den Lockdowns seine Wirtschaft und damit den Konsum als erstes Land wieder hochfuhr, hat zudem viele Rohstoffmärkte leergekauft. Andere müssen nun erst ihre Vorräte wieder aufbauen - auf wesentlich höhere Bestände als vor der Pandemie, schließlich mussten sie schmerzlich erfahren, dass allein die Lieferprobleme die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln empfindlich stören können.
Ein anderer und vor allem sehr langfristiger Treiber für die Geschäfte der Landtechniker ist die wachsende Weltbevölkerung und damit der weiter steigende Nahrungsbedarf. Ein Beispiel dafür wäre das Entwicklungsland Vietnam. Das Pro-Kopf-Einkommen dort hat sich binnen zehn Jahren auf etwa 3600 US-Dollar verdoppelt. Der gestiegene Wohlstand wirkt sich auch direkt auf die Ernährung aus. So ist der Fleischverzehr Vietnams laut Welternährungsorganisation FAO allein zwischen 2014 und 2018 um 3,3 Kilo pro Kopf gestiegen - was in etwa dem gesunkenen Fleischkonsum in Deutschland in der gleichen Zeit entspricht, der gesamt immer noch beim Dreifachen der Asiaten liegt. Und es muss ja gar nicht Fleisch sein: Der Anstieg des Kalorienverbrauchs eines Vietnamesen stieg in dieser Zeit um ein Äquivalent wie etwa 23 Kilogramm Brot.
Allein Vietnam ist bei Fläche und Einwohnern ungefähr mit Deutschland vergleichbar. Wer also glaubt, die für westliche Länder aktuell typischen Trends wie weniger Fleischkonsum und veganes Essen, Einschränkungen der Landwirtschaft wegen des Klimawandels oder Biolandwirtschaft hätten einen negativen Einfluss auf die Geschäfte der Landtechniker, liegt vollkommen daneben.
Welches Potenzial Schwellenländer wie etwa Brasilien für die Landtechnikbranche bieten, wird an einem anderen Vergleich deutlich: Allein der stark landwirtschaftlich geprägte Bundesstaat Mato Grosso des südamerikanischen Landes ist schon so groß wie Deutschland, Polen, die Schweiz, Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Slowenien und Ungarn zusammen - und liegt bei der Mechanisierung seiner Landwirtschaft noch Jahrzehnte zurück. Die Chancen der Landtechnik bestätigt auch Mahindra-Agrarchef Jerurikar, dessen Unternehmen auf dem Subkontinent mit 1,38 Milliarden Einwohnern gut 40 Prozent Marktanteil hat: "Indien ist vielleicht schon traktorisiert - aber noch lange nicht mechanisiert."
Das haben auch nicht börsennotierte Landtechniker wie Grimme aus dem niedersächsischen Landkreis Vechta, die Rüben- und Kartoffelernter herstellen, realisiert und in Indien eigene Fertigungen angeschoben. Ohnehin ist Deutschland international einer der großen Player in der Landtechnik. Für rund neun Milliarden Euro jährlich werden hierzulande Traktoren, Mähdrescher, Häcksler oder Zusatzgerät wie Sämaschinen und Ballenpressen gefertigt. Das sind 8,5 Prozent vom Weltmarkt mit 107 Milliarden US-Dollar. Auch bei Forschung und Entwicklung spielt made in Germany eine wichtige Rolle: Sieben Prozent aller Patentanmeldungen der Branche stammen von hier.
Deshalb weitet auch der US-Konzern John Deere, Nummer 1 der Branche, seine Produktion sowie Forschung und Entwicklung an seinem Mannheimer Standort deutlich aus. In Deutschland hat Deere & Co. zudem mit dem Straßenbauspezialisten Wirtgen eine margenträchtige Tochter, die von den weltweiten Infrastrukturinvestitionen, unter anderem in den USA, überproportional profitieren dürfte.
Straßenbau ist auch ein Feld, in dem zunehmend Traktoren von Fendt eine nicht agrarische Nutzung erfahren. Was den Mutterkonzern Agco aber viel mehr freut: Die deutschen Premiumschlepper finden unter nord- wie südamerikanischen Farmern zunehmend Fans und erobern Marktanteile bei den Großtraktoren. Mit seinen Marken Valtra und Massey Ferguson zielt Agco verstärkt auf die schnell wachsenden Märkte in Afrika oder Südamerika. Und im rasant wachsenden Segment Precision Farming hat sich Agco dank seiner guten finanziellen Ausstattung schon durch den Kauf einiger Hightech-Spezialisten gut aufgestellt.
Spannend wird es bei der Nummer 3 der Branche: Zum Jahreswechsel brachte CNH Industrial seine Lastwagen- und Motorensparte als Iveco Group per Spin-off an die Börse und ist nun ein reiner Landtechnik- und Baumaschinenkonzern. Das könnte dem CNH-Aktienkurs deutlich Schwung verleihen. Reiche Ernte dürften in diesem Jahr aber alle Landtechnikkonzerne einfahren.
Auf einen Blick
Landtechnik
Mit bis zu 20 Prozent mehr Umsatz rechnen die Branchengrößen für das Jahr 2022, die Auftragsbücher sind gut gefüllt. Da die Mechanisierung der Landwirtschaft in vielen Ländern noch am Anfang steht, sollte das Geschäft auch darüber hinaus weiter wachsen.