Die Wiederaufnahme der Verhandlungen dürfte sich als äußerst schwierig gestalten. Ich denke, dass die Geberländer weiterhin Bereitschaft zu Gesprächen mit Griechenland signalisieren werden. Allerdings ist es nun an Griechenland, den Kreditgebern einen akzeptablen Alternativplan vorzuschlagen, der darlegt, wie es nach dem Referendum weitergehen soll.
Die Gespräche zwischen den Geldgebern laufen nun schon seit fünf Monaten. Wie könnte ein möglicher Kompromiss nun aussehen?
Als Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen sollte das zuletzt vorgelegte Hilfsprogramm der Gläubiger dienen. Aus Sicht der Kreditgeber kann ein Kompromiss nicht beinhalten, dass längerfristig Haushaltsdefizite der griechischen Regierung finanziert werden, weil diese sich gegen die Sparmaßnahmen ausspricht. Es wäre wohl allenfalls eine zeitliche Streckung der Konsolidierungspläne denkbar, nachdem die wirtschaftliche Lage des Landes aufgrund des Zickzackkurs der griechischen Regierung sich zuletzt dramatisch verschlechtert hat. Auch das macht nur Sinn, wenn die griechische Regierung institutionelle Reformen angeht, die die Wirtschaftskraft des Landes mittelfristig verbessern.
Wenn die griechische Regierung hier nun endlich ein überzeugendes Konzept vorlegt, dann sollten sich die Gläubiger einer Restrukturierung der Schulden nicht verschließen. Das könnte so geschehen, dass der ESM die restlichen im Besitz der EZB verbleibenden Staatsanleihen aufkauft, um so den kurzfristigen Finanzierungsbedarf Griechenlands zu reduzieren. Zusätzlich könnte auch eine weitere Verlängerung der ohnehin schon sehr langen Laufzeiten der Hilfskredite in Aussicht gestellt werden, obwohl das die Finanzierungslücken kurzfristig nicht ausgleichen kann. Wichtiger als die zuletzt genannte Laufzeitenverlängerung wäre es, verfügbare Mittel der EU zur Stimulierung der Investitionstätigkeit in Griechenland einzusetzen.
Aber ist Griechenland nach dem klaren Votum der Griechen überhaupt noch im Euro zu halten?
Eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Kreditgebern ist nach wie vor möglich, allerdings ist ein Grexit mittlerweile das wahrscheinlichere Szenario. Aus Sicht der Geberländer muss eine unabdingbare Voraussetzung für neue Verhandlungen sein, dass Griechenland in absehbarer Zeit einen Haushaltsausgleich zusagt und die Bereitschaft zur Modernisierung des Staatswesen und der Wirtschaft aufbringt. Wenn Griechenland kein überzeugendes finanzpolitisches und wirtschaftspolitisches Konzept vorbringt, dann ist ein Grexit vorgezeichnet.
Die griechischen Banken hängen finanziell am Tropf der EZB. Wie lange kann die Zentralbank die ELA-Kredite überhaupt noch gewähren, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen?
Ohne aussichtsreiche Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Euro-Mitgliedsstaaten ist es meines Erachtens nicht gerechtfertigt, dass die EZB weiterhin Notkredite an griechische Banken vergibt. Spätestens wenn die großen Ratingagenturen formal eine Staatspleite Griechenlands attestieren, müsste die EZB die ELA-Hilfskredite nicht nur limitieren, sondern ganz zurückzufordern. Aus diesen Gründen ist eine sehr zügige Einigung zwischen den Kreditgebern und Griechenland erforderlich. Wenn die EZB nämlich die Kreditzufuhr einschränkt, dann ist der Grexit da.
Auf Seite 2: Welche Auswirkungen hätte ein Grexit?
Sollte es allen Anstrengungen zum Trotz doch zu einem Grexit kommen: Welche Auswirkungen hätte das auf die Konjunktur in der Eurozone und insbesondere in Deutschland?
Der Grexit wäre für die griechische Wirtschaft dramatisch, aber im Euroraum und Deutschland hätte er nur begrenzte Konjunkturwirkungen. Ein weiterer Rückgang des Handels mit Griechenland hätte wegen seines relativ geringen Volumens keine nennenswerten gesamtwirtschaftlichen Effekte.
Ein Risiko besteht darin, dass kurzfristig Ansteckungsreaktionen auf andere Länder ausstrahlen. Dies wird aber durch die EZB und die Unterstützung der Mitgliedsländer so stark begrenzt werden, dass es die konjunkturelle Stabilisierung nicht in Frage stellt.
Zu vermeiden ist allerdings, dass sich die Debatten im Griechenland-Streit länger hinziehen, denn das wäre ein gewichtiger Unsicherheitsfaktor, der die Geschäftserwartungen der Unternehmen spürbar dämpfen würde. Es ist ganz einfach, umso länger der Streit anhält, umso größer der mögliche Schaden.
Viele Beobachter halten den 20. Juli für den entscheidenden Tag. Dann muss Griechenland 3,5 Milliarden Euro an die EZB überweisen. Was glauben Sie aus heutiger Sicht: Wird Athen das schaffen oder ist Griechenland dann auch offiziell und endgültig pleite?
Aus eigenen Mittel wird Griechenland die anstehenden Kreditrückzahlungen an die EZB wohl nicht tätigen können. Der schwindende Primärüberschuss dürfte auch kaum mehr dazu ausreichen, die Gehälter der Bediensteten im öffentlichen Sektor und die Renten abzudecken. Ohne ein Übereinkommen mit den Kreditgebern tritt spätestens am 20. Juli die Zahlungsunfähigkeit ein. Griechenland wird sich dann gezwungen sehen, eine Parallelwährung herauszugeben, um den Bankensektor mit Liquidität zu versorgen und die Wirtschaft vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren.
Was erwarten Sie für die Finanzmärkte: Ist ein möglicher Grexit bereits weitgehend eingepreist oder könnte es bei einem tatsächlichen Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone zu weiteren deutlichen Kursverlusten an den Aktienmärkten kommen?
Die Griechenland-Krise ist ohne Frage ein Belastungsfaktor für die Finanzmärkte, insgesamt haben sie bisher jedoch mit Besonnenheit reagiert. Ich glaube, dass ein Grexit trotz der gestiegenen Wahrscheinlichkeit noch nicht völlig antizipiert ist, es im Falle seines Eintritts aber zu keiner Panik kommt. Angesichts der Unsicherheiten, die mit der Einführung einer neuen Währung in Griechenland verbunden wären, könnten die europäischen Aktienmärkte vorübergehend zumindest auf ihr Niveau von Anfang dieses Jahres zurückfallen, es böten sich danach aber neue Ertragschancen.