Trotz happigen Kursverlusten nach der Q2-Bilanz sieht Star-Analyst Dan Ives Amazon am Beginn einer neuen Ära – und erklärt, warum der Markt falsch liegt. Eine Analystin hält dagegen.
Amazon hat geliefert – und dennoch hat der Markt abgestraft. Nach Vorlage der Geschäftszahlen für das zweite Quartal rutschte die Aktie des E-Commerce- und Cloud-Giganten im in den vergangenen drei Handelstagen um rund 10 Prozent ab.
Aus Sicht von Wedbush-Techstratege Dan Ives ist diese Reaktion nicht nur überzogen, sondern ein Paradebeispiel für das, was er „hypersensitive Marktteilnehmer“ nennt. Seine zentrale These: Amazon steht am Beginn einer neuen Wachstumsära – trotz verhaltener Guidance und wachsender Konkurrenz im Cloudgeschäft.
AWS: Schwächer als Microsoft – aber stärker als die Kritik
Im Zentrum der Debatte steht einmal mehr Amazon Web Services (AWS). Das Cloud-Segment erzielte im zweiten Quartal ein Umsatzwachstum von 17 Prozent auf knapp 30,9 Milliarden Dollar. Solide – aber eben langsamer als das, was Microsoft mit Azure (+23 %) oder Google Cloud (+28 %) im gleichen Zeitraum vorgelegt haben. Die Reaktion des Marktes folgte prompt: Gewinnmitnahmen, Zweifel am KI-Fortschritt und Kritik an der Innovationsgeschwindigkeit.
Ives hält dagegen. AWS sei nicht nur weiterhin Marktführer, sondern bleibe „the GOAT“ – greatest of all time – im Cloudbereich. Die Sorgen um eine strukturelle Wachstumsverlangsamung seien aus seiner Sicht überzogen: „Wir sehen einen konservativen Ausblick – aber keinen Bruch der Story“, betont er. Vielmehr sei der AI-getriebene Infrastrukturboom gerade erst im Entstehen.
Wachstums-Story intact – trotz konservativer Guidance
Auch beim Blick auf die Gesamtergebnisse stellt Ives klar: Das Zahlenwerk sei „stark“, auch wenn die operative Gewinnprognose für das laufende Quartal mit 15,5 bis 20,5 Milliarden Dollar unter den optimistischsten Analystenerwartungen lag. Für Ives ist das jedoch kein Grund zur Sorge – im Gegenteil. Die Zurückhaltung in der Guidance sei bewusst gewählt und bilde nicht das wahre Potenzial ab.
„Wir erleben hier den Beginn einer Renaissance“, so Ives. Der Ausdruck fällt mehrfach im Interview – und ist keine rhetorische Überhöhung. Gemeint ist die Rückkehr Amazons in einen längerfristigen Wachstumsmodus, getrieben von drei Säulen: Cloud-Modernisierung, KI-Infrastruktur und ein wiedererstarkter Retail-Sektor mit robuster Kostenstruktur.
Die unterschätzten Wachstumstreiber
Für Ives liegt die wahre Geschichte hinter den Schlagzeilen tiefer: Amazon investiert massiv in neue Technologien, insbesondere in KI‑Plattformen und spezialisierte Services wie Bedrock und Trainium. Hinzu kommen Fortschritte bei Alexa+, das künftig mit echten Agentenfunktionen ausgestattet werden soll – ein Schritt in Richtung operativer Monetarisierung künstlicher Intelligenz.
Auch das klassische Handelsgeschäft zeigt Stärke: Trotz Makro-Unsicherheiten wächst der Retail-Bereich solide, gestützt durch Prime Day-Effekte, Effizienzmaßnahmen und steigende Margen. Für Ives steht fest: „Amazon ist nicht nur Tech. Es ist Infrastruktur, Handel, Plattform – und vor allem strategisch positioniert.“
Marktpsychologie contra Fundamentaldaten
Dass die Aktie trotz allem unter Druck geriet, sieht Ives als Beleg dafür, wie stark die Märkte aktuell auf vermeintliche Schwächen reagieren – selbst wenn die Substanz stimmt. „Wir haben ein Umfeld, in dem jeder Quartalsbericht auf die Goldwaage gelegt wird. Eine kleine Abweichung reicht für Panik“, so seine Analyse.
In dieser Nervosität sieht Ives jedoch auch Chancen – insbesondere für langfristig orientierte Investoren. Der Dip nach den Zahlen könne sich rückblickend als attraktive Einstiegsgelegenheit entpuppen. Wedbush bleibt entsprechend bei einem Kursziel von 240 US-Dollar für Amazon – was vom aktuellen Niveau rund 15 Prozent Potenzial bedeutet.
Amazon in Lieferkettenstress, warnt Analystin Sarah Kunst
Anderer Meinung ist dagegen Sarah Kunst, Managing Director bei Cleo Capital. Kunst hebt hervor, dass Amazon derzeit mit erheblichen Logistikproblemen und steigenden Versandkosten konfrontiert ist. Diese Herausforderungen wirken wie ein Wachstumsbremsklotz – sogar in einem ansonsten resilienten Tech-Ökosystem.
Sie warnt: Lieferketten-Verzögerungen und höhere Transportausgaben könnten die Margen belasten und operative Flexibilität einschränken — ein potenzieller Stolperstein für zukünftiges Wachstum.
Im Gegensatz dazu sehen die großen Tech-Konzerne (z. B. Microsoft, Apple, Google) laut Sarah Kunst eine bessere Widerstandsfähigkeit gegenüber globalen Störungen. Sie profitieren von diversifizierten Geschäftsmodellen und oft weniger kapitalintensiven Logistikstrukturen.
Anleger dürften entsprechend nach den Ende der Earnings-Season genau beobachten, wie unterschiedlich sich die Big Techs an der Wall Street entwickeln.
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