Ist es der Versuch, von eigenen Rückstand im KI-Wettrennen abzulenken? In einem ungewöhnlichen Research-Paper redet Apple den Status quo von GenKI klein.
Bemerkenswerte Forschungsarbeit aus Cupertino: Apple hat sich ein 30-seitiges Research-Paper namens „The Illusion of Thinking“ vorgelegt. Tenor der Studie: KI wird im aktuellen Stadium überschätzt.
Selbst modernste „denkfähige“ Sprachmodelle – sogenannte Large Reasoning Models (LRMs) – würden dramatisch versagen, wenn die Aufgaben zu komplex werden. Die vielzitierte „Chain of Thought“-Logik, bei der Modelle scheinbar strukturiert argumentieren, entpuppt sich bei näherer Betrachtung oft als Illusion, so die Apple-Mitarbeiter.
Drei Phasen der KI-Intelligenz – und der Absturz im Endspiel
Apples KI-Forscher analysieren systematisch die Denkprozesse von OpenAI o3, Claude 3.7 Thinking, DeepSeek-R1 – und zwar nicht anhand der üblichen Mathematikbenchmarks, sondern mit eigens entwickelten Logikpuzzles wie „Tower of Hanoi“ oder „River Crossing“. Ergebnis: Die angeblich denkenden Modelle zeigen drei charakteristische Leistungsphasen:
1. Niedrige Komplexität: Klassische LLMs ohne Denkmodus sind effizienter und liefern bessere Ergebnisse – vor allem schneller und mit weniger Rechenaufwand.
2. Mittlere Komplexität: LRMs haben hier einen Vorsprung – allerdings auf Kosten eines massiven Token-Overheads. Sie denken länger, nicht unbedingt klüger.
3. Hohe Komplexität: Totalausfall. Alle getesteten Modelle – mit oder ohne Denkmodus – brechen in ihrer Leistung komplett ein. In vielen Fällen sinkt sogar die eingesetzte Denkleistung mit steigender Schwierigkeit. Die KI denkt dann schlicht weniger – obwohl genug Rechenbudget zur Verfügung stünde.
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Die Illusion von Selbstreflexion – Algorithmen helfen nicht
Besonders aufschlussreich ist die Analyse der sogenannten Reasoning Traces – also der Schritt-für-Schritt-Argumentation innerhalb des Modells. Auch hier zeigt sich: Selbst bei einfachen Aufgaben „überdenken“ sich die Modelle, treffen früh eine richtige Entscheidung, hinterfragen diese aber endlos – und enden dann oft falsch. Bei mittlerer Komplexität brauchen sie viele Irrwege, um ans Ziel zu kommen. Ab einem bestimmten Punkt aber scheitert die KI vollständig: Es gibt keine korrekte Lösung mehr, egal wie viel Zeit oder Rechenkapazität man ihr gibt.
Noch dramatischer wird es, wenn Apple den Modellen die Lösung vorgibt – etwa bei Tower of Hanoi. Selbst wenn die exakte Schrittfolge im Prompt steht, gelingt es den LRMs nicht, sie korrekt umzusetzen. Das spricht gegen jede Hoffnung auf symbolisches Denken oder algorithmisches Verständnis und wirft die Frage auf, ob heutige „denkende“ KI-Modelle nicht lediglich elaborate Pattern-Matcher mit besserem Output-Design sind.
Konsequenzen für Investoren und Entwickler
Für Apple ist diese Analyse ein doppelter Weckruf: Einerseits zeigt man der Tech-Branche, dass reine Größen-Skalierung nicht zur „General Reasoning AI“ führt – ein Seitenhieb auf die großen GenKI-Anbieter wie OpenAI und Google. Andererseits positioniert sich Apple auch als seriöser Akteur im KI-Feld, der nicht mit Marketing-Claims hausieren geht, sondern erkennt, dass echtes Denken noch immer Menschen vorbehalten bleibt.
Für Investoren und Techunternehmen ergibt sich eine klare Schlussfolgerung: Wer in KI denkt, darf nicht allein auf die Größe der Modelle und die Zahl der Tokens setzen. Entscheidend ist, ob Systeme wirklich neue Denkstrukturen entwickeln – oder nur besser imitieren.
Apple enttäuschte mit WWDC-Keynote ohne KI-Neuigkeiten
Apple demaskiert in seinem Forschungspapier die Schwächen moderner KI-Denker. Die Erkenntnis: Der Sprung von Sprachverarbeitung zu echter Problemlösung ist noch lange nicht geschafft. Und das, was heute als KI-Denken verkauft wird, ist oft nicht mehr als eine gut simulierte Gedankenblase. Apple stellt damit den immensen KI-Hype der vergangenen zweieinhalb Jahre in Frage.
Bleibt die Frage, ob Apples ungewöhnliches Papier Selbstzweck war, um von der eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. Das Urteil nach der gestrigen Keynote der Entwicklerkonferenz WWDC fiel jedenfalls an der Wall Street relativ eindeutig aus: Selbst Staranalyst Dan Ives, ansonsten ein bekennender Apple-Bulle, zeigte sich über die Abwesenheit neuer KI-Features enttäuscht.
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Hinweis auf Interessenkonflikte Der Vorstand und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Apple.
Hinweis auf Interessenkonflikte Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Apple.