Hamburg hat Selbstironie. Als die Elbphilharmonie vergangenen Oktober vollendet war, schrieben die Erbauer mittels erleuchteter Zimmer ein einziges Wort auf die Fensterfront: Fertig. Die Bauzeit des Opernhauses war um sieben Jahre und das Budget um mehr als 200 Prozent überzogen worden. Ein Einzelfall ist das prominente Pannenprojekt allerdings keineswegs. Weltweit werden 60 Prozent aller Bauvorhaben teurer und später fertig als geplant.

Dieser Missstand ist für Softwareunternehmen wie zum Beispiel Autodesk, Nemetschek oder RIB Software ein Riesengeschäft. Die Firmen sind Experten in Sachen Gebäude-datenmodellierung, im Englischen Building Information Modeling (BIM) genannt. Die Technologie soll Verspätungen und aus-ufernde Kosten vermeiden.Das weltweite Marktvolumen für die Anwendung soll sich bis 2020 auf 7,9 Milliarden Dollar fast verdoppeln. Hinter BIM steckt der Ansatz, ein Gebäude am Computer dreidimensional zu planen, den Bau inklusive Zeit und Kosten zu simulieren und allen Beteiligten Zugang zu den nötigen Informationen zu geben. Die Folge: "Mit der Technologie werden Entscheidungen mit voller Transparenz über Konsequenzen wie Zeit und Kosten getroffen. Wenn Sie entscheiden, morgen eine andere Elektrik zu verbauen, dann muss heute der Kabelschacht angepasst werden. Und zwar bevor er unter Putz liegt", erklärt RIB-Technologievorstand Helmut Schmid.

Nachlässigkeit kostet



Werden solche Details vergessen, wird es teuer. Fast ein Drittel aller Baukosten entfällt auf Nacharbeiten, während bei den Materialien bis zur Hälfte verschwendet wird. Mit BIM ist es laut RIB hingegen möglich, Bauzeit und kosten um 30 Prozent zu reduzieren. Dennoch werden digitale Technologien wie BIM bisher kaum eingesetzt (siehe Grafik Seite 3). Es besteht also Nachholbedarf. Einer der Profiteure ist Autodesk. Der US-Konzern ist der größte Entwickler von 3-D-Kon-struktionsprogrammen, dem Herzstück jeder BIM-Anwendung. Die Amerikaner verkaufen ihre Software seit Mitte 2016 im Abo. Die über Jahre verteilten Zahlungen senken die Anfangsinvestitionen für die Kunden, Nutzer arbeiten stets mit den neuesten Versionen und die Abrechnung erfolgt bedarfsabhängig. Mit dem neuen Vertriebsmodell soll der wiederkehrende Umsatz bis 2020 pro Jahr im Schnitt um 24 Prozent auf dann 3,27 Milliarden Dollar steigen, die operative Marge soll 33 Prozent erreichen. Die Umstellung bedeutet zwar noch Verluste, spekulative Anleger können die jüngste Korrektur aber zum Einstieg nutzen.

Das hiesige Pendant zu den Amerikanern ist Nemetschek. Die Münchner sind Platzhirsch in Europa und bauen derzeit ihr Geschäft im Rest der Welt aus. Dank der erfolgreichen Internationalisierung erhöhte das Unternehmen nach dem dritten Quartal seine Prognose. Und Firmenchef Patrik Heider ist sicher: "In der Internationalisierung steckt für uns noch viel mehr Potenzial, als wir bisher gezeigt haben." Diese Überzeugung speist sich auch aus der Gesetzgebung: Immer mehr Ländern empfehlen bei staatlichen Bauvorhaben den Einsatz von BIM oder schreiben diesen sogar per Gesetz vor. Ersteres ist in den USA schon Realität, dieses Jahr wollen zahlreiche EU-Länder nachziehen. China und Australien denken darüber nach, in naher Zukunft BIM-Richtlinien zu erlassen. Um in diesen Märkten zu wachsen, setzt Nemetschek maßgeblich auf Übernahmen. Erst kürzlich wurde eine kleine Firma aus Norwegen aufgekauft. Heider plant, dem Geschäft "über weitere Zukäufe kurzfristig 40 bis 50 Millionen Euro Umsatz hinzuzufügen". Insgesamt soll das Familienunternehmen so ein "nachhaltiges Umsatzwachstum von 13 bis 15 Prozent erreichen und dabei im kommenden Jahr eine Ebitda-Marge von 24 bis 26 Prozent erzielen", so der Firmenlenker. Weil der Markt strukturell wächst und die Marge trotz teurer Internationalisierung stabil bleibt, ist die Aktie für langfristig orientierte Anleger auch trotz der hohen Bewertung ein Kauf.



Von der Simulation in die Wirklichkeit



Damit der Bau voll von der Digitalisierung profitiert, reicht es jedoch nicht, die Projekte nur zu simulieren. Wird ein Gebäude errichtet, will der gesamte Arbeitsablauf organisiert sein. Hier setzen Firmen wie RIB oder Trimble mit ihren Projektmanagement-Lösungen an und verbinden die Software von Autodesk und Co mit der Steuerung des Bauprozesses. Die US-Firma Trimble ist mit zuletzt rund 2,3 Milliarden Dollar Umsatz deutlich größer als RIB. Doch der stärkere Fokus auf die Vermessung und der noch hohe Anteil des Hardwaregeschäfts verwässern Marge und Wachstumsgeschwindigkeit. Weil sich die Amerikaner aber zunehmend auf wiederkehrende Software-Einnahmen fokussieren, ist die Aktie für vorsichtigere Anleger dennoch interessant.

RIB hingegen ist voll auf Software für den Bausektor ausgerichtet, wächst stark zweistellig und treibt die Entwicklung mit einem neuen Joint Venture bereits einen Schritt voran: Die Stuttgarter wollen mit dem US-Auftragsfertiger Flex auch Produktbeschaffung, Produktion und Logistik im Bau vernetzen. Statt nur zu planen, sollen benötigte Teile über ihre Plattform gleich bestellt und die Logistik gesteuert werden. Bis 2026 soll ein Auftragsvolumen von 40 Milliarden Dollar abgewickelt werden. Über Vermittlungsprovisionen der Produkthersteller dürfte RIB daran laut Schätzungen dann bis zu einer Milliarde Dollar verdienen.

Viel Zukunftsmusik, doch auch in der Gegenwart ist das Unternehmen erfolgreich. Der Markt für RIB wächst nicht nur, weil das weltweite Bauwesen sein Volumen binnen zehn Jahren von neun auf 15 Billionen Dollar steigern dürfte, sondern auch, weil die Branche immer digitaler werden muss. Andernfalls wird die Elbphilharmonie nicht das letzte Megaprojekt sein, das mit einem ironischen Kommentar vollendet wird.