Für Covestro war der Auftritt auf der Nachhaltigkeitsmesse Greener Manufacturing Show vor zwei Wochen in Köln eine Premiere. Die Recycling-Technologien, die der Chemiekonzern vorstellte, sollen fossile Rohstoffe ganz durch erneuerbare Materialien aus recycelten Kunststoffen, Biomasse und CO2 ersetzen. Vor fünf Jahren begann Covestro mit der Vermarktung der ersten Kunststoffprodukte, bei denen der benötigte Kohlenstoff aus dem Klimakillergas gewonnen wird. Abnehmer sind Hersteller von Sportböden, Matratzen und Autositzen.
Neben den Kunststoffen ist Plastik eines der umweltschädlichsten Wegwerfprodukte weltweit. Nach Angaben einer Expertenrunde des Weltwirtschaftsforums werden weltweit jährlich 400 Millionen Tonnen Plastik hergestellt, davon aber nur 14 bis 18 Prozent recycelt. Wissenschaftler beziffern die dadurch an marinen Ökosystemen verursachten Schäden auf 2,5 Billionen US-Dollar. Gegensteuern lässt sich nur auf zweierlei Arten: mit verändertem individuellen Konsumverhalten, das auf Produkte aus wiederverwertbaren Materialien setzt. Und mit Produktionsmethoden, die das Wegwerfen minimieren und die Wiederverwertung in einem Kreislauf sicherstellen.
Obwohl die Umsätze mit Produkten, die aus der Kreislaufwirtschaft gewonnen werden, noch weit hinter den Erlösen in anderen Nachhaltigkeitsfeldern liegen (s. Infografik), haben Investoren die Türöffner-Technologien längst im Blick. "Der Wandel zur Kreislaufwirtschaft könnte bis 2030 global bis zu 4,5 Billionen US-Dollar an Wertschöpfung freisetzen", ist David Kägi, Portfoliomanager bei Robeco, überzeugt. "Die Zeit ist reif dafür, die Weltwirtschaft stärker auf geschlossene Stoffkreisläufe auszurichten. Gerade die Corona-Pandemie hat entscheidende Schwachstellen in den globalen und linear ausgerichteten Lieferketten aufgedeckt."
Entsorgung und Wiederverwertung
Einzelne Firmen kommen bei wiederverwertbaren Materialien im Produktionsprozess bereits auf einen Anteil von 40 bis 50 Prozent. Immer mehr Industriezweige steigen hier ein, meint Alexander Funk, Fondsmanager bei Ökoworld. "Die Halbleiterindustrie zählt zu den Protagonisten, was den schonenden Umgang mit Wasser und Rohstoffen, aber auch das Kostenmanagement und die Kontrolle der Lieferketten angeht." In der Autoindustrie werde die Entwicklung von Leichtbaumodellen auf der Basis von recycelten Kohlenstoffen vorangetrieben.
Die Recyclingindustrie selbst steht dank der technologischen Fortschritte gerade vor dem Übergang von der ökologischen Entsorgung von Abfällen zur weitestgehenden Wiederverwertung von Materialien. Dank der Digitalisierung ist das automatisierte Recycling auf dem Vormarsch. Mit der Hilfe von Kameras, Sensoren und künstlicher Intelligenz können Wertstoffe günstiger und präziser automatisiert getrennt werden. Ein enormer Fortschritt vor allem für das Recycling von Metall-, Elektro- und Elektronikschrott.
Kaum noch eine Batteriefabrik für Elektroautos wird ohne entsprechende Wiederaufbereitungsanlagen gebaut. In der Bauindustrie wiederum speichert Holz, anders als Stahl und Beton, bei deren Herstellung viel Energie benötigt wird, Treibhausgase langfristig. Und auch bei der Wiederverwendung von Abfällen aus Metallen wie Stahl, Kupfer oder Aluminium profitieren Unternehmen wie Aurubis oder Befesa von der Aufarbeitung der umweltschädlichen Reststoffe. Aber auch bei den Verbrauchern hat ein Umdenken stattgefunden, was die Wahl von wiederverwertbaren Verpackungsmaterialien, Möbeln und Materialien für Gebäudedämmung angeht.
Fünf Spezialisten fürs Depot
Anleger haben ein weites Universum an Einzeltiteln, die in der Kreislaufwirtschaft unterwegs sind - indem sie die Lebensdauer von Produkten maximieren, mit erneuerbaren Materialien produzieren oder Neben- und Abfallprodukte für die Herstellung neuer Produkte nutzen.
Ein hochprofitabler Nischenanbieter ist das US-Unternehmen Trex, das Terrassendielen produziert, welche zu 95 Prozent aus recycelten Materialien bestehen. Die Aktie ist zuletzt auf ein neues Allzeithoch durchgestartet, nachdem die jüngsten Quartalszahlen die Erwartungen klar übertrafen. Der Nettoumsatz stieg um 45 Prozent auf 335,9 Millionen US-Dollar, der Konzerngewinn je Aktie um 73 Prozent auf 0,64 US-Dollar. Branchenexperten erwarten, dass sich der Konzerngewinn zwischen 2020 und 2023 auf drei US-Dollar je Aktie verdoppeln wird.
Die Aktie von Lenzing bietet jetzt einen guten Zeitpunkt zum Einstieg, weil der österreichische Hersteller von holzbasierten Naturfasern vor einem neuen Wachstumsschub steht. 72 Prozent der Gesamterlöse erzielt die Gesellschaft mit vier Spezialfasern, die sich innerhalb von vier Wochen im Wasser vollständig biologisch zersetzen. Trotz der steigenden Energie-, Rohstoff- und Logistikkosten hat das Unternehmen im dritten Quartal ein starkes Ergebnis erzielt.
Dank der höheren Verkaufsmengen und gestiegenen Viskosepreise legte der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um fast 33 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro zu. Das Ebitda stieg um mehr als das Doppelte auf 297,6 Millionen Euro. Nach dem Erholungseffekt in diesem Jahr erwarten Analysten für die nächsten zwei Jahre ein Gewinnwachstum von jeweils 60 Prozent. Die endgültigen Zahlen für 2020/21 wird Lenzing am 3. Dezember präsentieren.
Deutlich spekulativer ist die französische Firma Carbios, die sich auf das enzymatische Biorecycling von Kunststoffen spezialisiert hat. Innerhalb von zehn Stunden kann eine Tonne PET-Kunststoff zu 90 Prozent in ihre Bestandteile zersetzt werden. Ziel ist eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe. Eine Demonstrationsanlage hat 2021 in der Nähe von Lyon den Betrieb aufgenommen. Carbios erzielt noch fast keine Umsätze, und schwarze Zahlen sind für die nächsten Jahre nicht zu erwarten. Dafür laufen Kooperationen mit Nestlé, Pepsico, L’Oréal und Michelin. In einem Projekt sollen recycelte PET-Kunststoffabfälle für alle Reifen von Michelin genutzt werden.
Das MDAX-Unternehmen Aurubis hat sich dagegen als Recycler von Altkupfer etabliert. Dieses Geschäftsfeld profitiert aktuell von den steigenden Preisen für Kupfer, Zinn und Nickel sowie den hohen Raffinierlöhnen für Recyclingmaterialien. Die gestiegenen Energiepreise kann Aurubis damit mehr als abfedern. Die vorläufigen Zahlen für das am 30. September beendete Geschäftsjahr 2020/21 bedeuten einen Rekordwert: Das operative Ergebnis vor Steuern, die zentrale Kennziffer für den Gewinn, schnellte von 221 auf 353 Millionen Euro und toppte damit die eigenen Vorgaben.
Darling Ingredients aus den USA recycelt die Restprodukte aus der Fleischverarbeitung und von Bäckereibetrieben. Das Unternehmen aus Texas produziert aus Schlachtabfällen Biodiesel, aus Schweinemist Düngemittel und aus Lebensmittelresten Strom, Gas und Proteine sowie Gelatinestoffe für die Verkapselung von Medikamenten und Vitaminpräparaten. 2020 wurden damit 3,6 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Davon blieben etwa 14 Prozent als Ebitda hängen.
INTERVIEW
Eike Wenzel - "Kurzfristige Erfolge sind schwierig"
Börse Online: Herr Wenzel, erwarten Sie in den nächsten Jahren konkrete Schritte, die die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft forcieren?
Eike Wenzel: Die Möglichkeiten zur technologischen Umsetzung sind vorhanden, etwa bei der von 40 Regierungen beschlossenen Umstellung der Industrie auf klimaneutralen Wasserstoff bis 2040. Die meisten Industrieunternehmen ziehen mit, zumal der Druck vonseiten der Investoren und Geldgeber immer größer wird. Schwieriger wird es, Markterfolge auf Sicht der nächsten drei bis sechs Jahre zu realisieren.
Ist die Finanzierung dieser langfristigen Ziele das größte Problem?
Was wir brauchen, ist ein politischer Richtungswechsel. Nicht mit neuen Regularien, sondern über Anreize und Investments. Für den von der EU angekündigten Green Deal muss die Politik Geld in die Hand nehmen, wie es in der Depression der 30er-Jahre der damalige US-Präsident Roosevelt getan hat, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Also mehr staatliche Lenkung?
Nein. Der Staat muss als Investor in Forschung und Entwicklung noch stärker in Bereiche gehen, wo Infrastruktur und mehr Grundlagenforschung notwendig sind. Nur so können neue Technologien, mit denen sich Klimaneutralität erzielen lässt, schneller zur Marktreife gelangen.
Eine Schlüsselrolle in Richtung Klimaneutralität hat die Umwandlung von Kohlendioxid in der chemischen Industrie.
Die Abscheidung von Kohlendioxid ist längst möglich, um chemische Kunststoffe oder Methanol zu produzieren. Schwieriger wird es sein, Plastik über organische Produkte kommerziell zu ersetzen. Auch einzelne CO2-aufwendig produzierte Metalle wie Aluminium sind mittlerweile gut recycelbar.
In welchen Branchen gibt es die größten Umbrüche zur Kreislaufwirtschaft?
Die Bauindustrie zählt zu den First Movern, die von großen Institutionen bei der Bewältigung des Klimawandels in die Verantwortung genommen und unterstützt wird. Nur noch recycelbare Materialien fürs Bauen zu verwenden, ist hier der erste Schritt. Dazu kommen recycelbare Materialien für Küchengeräte, Fenster oder Möbel. Zugleich muss ein Paradigmenwechsel beim Bauen selbst stattfinden, indem etwa statt mit Beton und Stein mehr mit Holz auf CO2-neutraler Grundlage gebaut wird.
Beim Rohstoff Lithium kann von Recycling aber noch keine Rede sein.
Die aktuellen Verfahrensprozesse für das zur Verfügung stehende Lithium in Richtung Kreislaufwirtschaft funktionieren noch nicht. Mehr E-Autos für noch mehr Verkehrsaufkommen zu produzieren, löst aber nicht das Problem der Mobilität. Wir müssen aus der bisherigen Autowelt herauskommen, indem wir Verkehr und Mobilität anders organisieren. Individuelle Gewohnheiten müssen sich ändern, etwa über Carsharing-Konzepte. Gerade in ländlichen Regionen ist die Umsetzung ein großes Problem, aber über Digitalisierung und autonomes Fahren mit mobilen Taxis könnten sich hier in Zukunft Lösungsansätze ergeben.
Auf einen Blick
Kreislaufwirtschaft
Raubbau Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse und verbraucht mehr Ressourcen, als in der Natur nachwachsen kann. Der aktuelle globale Verbrauch entspricht dem 1,5-Fachen dessen, was die Erde hergibt.