Die Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas gilt als neue IAA. Die Exponate machen deutlich: Es herrscht Aufbruchstimmung in der Automobilindustrie. Besonders die deutschen Premiumhersteller wollen sich als zukunftsfähig präsentieren. Doch so rasant Vernetzung, Digitalisierung und Elektrifizierung der Fahrzeuge auch voranschreiten - die entscheidende Revolution läuft im Hintergrund ab und zielt auf Verschlankung und Flexibilisierung der Produktion.

Mit diesen Maßnahmen wollen sich die Platzhirsche im Automarkt künftig die Margen sichern. Noch wichtiger: Die Hersteller wollen dank ihrer Produktionskompetenz neue Marktteilnehmer wie Alphabet oder Apple auf Abstand halten. Denn die können zwar neue, digitalisierte Autos vielleicht kreieren, aber die Produktion - vor allem für die Masse - lässt sich nicht von heute auf morgen aufbauen. Der Kerngedanke ist die Verzahnung der Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik. Das ermöglicht maßgeschneiderte Produkte nach individuellen Kundenwünschen - schnell, kostengünstig und in hoher Qualität.

War bislang die sogenannte Perlenkette - so nennt man die festgelegte Auftrags- bzw. Fertigungsreihenfolge - das Maß aller Dinge, wird bei einer durchgängigen Vernetzung die Fertigung in kleinstmögliche Bestandteile zerlegt. Diese Modularisierung vermeidet Stillstand. Die Vorstände in deutschen Autofirmen versprechen sich davon außerdem weniger Kosten und höhere Präzision. Das Zusammenspiel von digitalen Fabriken mit modernster Robotik und dem Internet nennt sich Industrie 4.0 und soll allein die Qualitätskosten bis 2020 um zehn bis 20 Prozent senken.

Die Technologiezulieferer stehen bereits Gewehr bei Fuß. Der Roboterhersteller Yaskawa plant, seine Produktion in Europa auszubauen. Dazu soll neben beiden Standorten in Japan und China eine Produktionsstätte in Slowenien errichtet werden. Das slowenische Werk soll ab Ende 2018 die ersten Roboter ausliefern.

Auf Seite 2: Ende der Fließbandproduktion





Ende der Fließbandproduktion



In den Werken der Autohersteller haben Roboter, Bits und Bytes schon vor geraumer Zeit Einzug gehalten. Audi zum Beispiel schafft nach und nach das taktgebundene Fließband ab. Die bislang etwa 160 Arbeitsabschnitte werden in gut 200 räumlich voneinander getrennten Stationen vollzogen. So vermeidet Audi Wartezeiten, die bisher entstehen konnten, wenn das Band nach Henry Fords Lehre im festen Takt abläuft. Die Dauer der einzelnen Arbeitsschritte ist jedoch unterschiedlich. Das löst man nun durch die Neuerung auf. Diese Maßnahme ist Bestandteil der sogenannten schlauen Fabrik, neudeutsch: Smart Factory. Ziel des Audi-Vorstands ist es, bis 2030 in den aktuell 16 Standorten die Fertigung nach dieser Methode hochflexibel und tagesktuell fahren zu können.

Das bedeutet gleichzeitig weniger Personal in den Werkhallen. Wie viele von den derzeit in Deutschland laut Wirtschaftsministerium rund 790 000 Arbeitsplätzen in der Branche durch die Digitalisierung wegfallen, ist ungewiss. Bei Audi erklärte die Führungsriege Ende 2016 eine Beschäftigungsgarantie bis 2020. Das ist nicht lang.

Personalvorstand Thomas Sigi: "Unser Ziel ist klar: Wir qualifizieren unsere Mannschaft für die Herausforderungen der Digitalisierung und schaffen zugleich eine moderne Audi-Arbeitswelt. Die Verlängerung der Beschäftigungsgarantie bis 2020 ist für uns nur der Startschuss." Doch was am Ende an Arbeitsplätzen erhalten bleibt, lässt er offen.

Auch Harald Krüger, Vorstandsvorsitzender von BMW, bleibt in diesem Punkt vage. "Wir haben mit der Qualifizierung der Mitarbeiter begonnen", sagt er auf Nachfrage von BÖRSE ONLINE. Zahlen nennt er nicht. Ein Bereich, in dem BMW schon jetzt aktiv mit Industrie 4.0 arbeitet, ist die Logistik, um die täglich 30 Millionen benötigten Teile zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben. Doch das ist nur ein Bereich. Der Premiumhersteller gibt auf allen Ebenen der Digitalisierung Gas. Das bedeutet eine Summe vieler kleiner Maßnahmen, die zu optimierten Abläufen führen sollen. So wurde beispielsweise das Werk von Rolls-Royce in Goodwood an einem Wochenende digital vermessen. 2017 erklimmt das Forschungs- und Entwicklungsbudget eine neue Rekordhöhe.



Auf Seite 3: Erweiterte Realität





Erweiterte Realität



Da will Erzrivale Daimler nicht nachstehen und setzt ebenfalls auf die Smart Factory. Hier arbeiten die Stuttgarter zum Teil schon länger mit Digitalisierung. Dazu gehört die erweiterte Realität (Augmented Reality): Hierbei wird der reale Istzustand mit dem virtuellen Sollzustand auf einem Bildschirm abgeglichen. Abweichungen werden durch die optische Überlagerung auf einen Blick sichtbar. "Unter dem Begriff Industrie 4.0 verstehen wir die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette von der Konstruktion und Entwicklung über die Produktion, wo der Begriff seinen Ursprung hat, bis hin zu Vertrieb und Service", erklärt Markus Schäfer, Produktionsvorstand bei Mercedes-Benz Cars.

Die Veränderungen im Produktionsprozess erfordern neue Zulieferer, die bislang eher anderen Branchen zugeordnet wurden. Um die Daten, die durch Sensoren und Kameras erfasst werden, zu verarbeiten, werden Chipsätze und Grafikkarten benötigt. Hier kommt der Grafikchip-Spezialist Nvidia ins Spiel. Die Kalifornier entwickeln bereits mit Audi zusammen. Nvidia selbst wurde auf der CES in Las Vegas geadelt, indem Vorstandschef Jen-Hsun Huang als Hauptredner geladen war. Der Mikroprozessor-Riese Intel will sich ebenfalls ein Stück vom Kuchen abschneiden. Nach den Enttäuschungen der Vergangenheit, die ihre Ursache im rückläufigen PC-Markt hatten, ist die Strategie der Zukunft darauf ausgerichtet, an der Digitalisierung zu verdienen. Das erscheint stimmig. Jüngster Schachzug: Intel stieg beim Realtime-Kartendienst Here ein, an dem auch Audi, BMW, Audi und Daimler Anteile halten.

Auch Siemens rüstet sich für den digitalen Wandel. Bisher setzte der Konzern 4,3 Milliarden Euro mit Software und digitalen Services um. Doch das Geschäftsfeld wächst. Im vergangenen Jahr waren es immerhin zwölf Prozent mehr als 2015. Vor allem sollen durch Siemens-Softwareprodukte die Kunden ihre Produktplanung am Rechner prüfen können. Das Durchspielen verhindert Pannen und Stillstände in der Fertigung. Da wird nicht nur die Autobranche zugreifen.



Auf Seite 4: Industrie 4.0 auf einen Blick





Industrie 4.0 auf einen Blick



Die Welt in den Fabrikhallen wird gerade neu erfunden. Künstliche Intelligenz, Cloud und Robotik sind die neuen Player in der Produktion. Doch bis dahin war es ein langer Weg, der vor weit mehr als 200 Jahren begann.

Industrie 1.0/Mechanisierung: Die erste industrielle Revolution läuft im 18. Jahrhundert ab, angetrieben durch die Erfindung der Dampfmaschine. Die Industrialisierung ermöglicht die arbeitsteilige Massenproduktion.

Industrie 2.0/Elektrifizierung: Um 1860 ist man in der Lage, durch Strom weitere Rationalisierung der Fertigungsprozesse zu implementieren.

Industrie 3.0/Automatisierung: Rund 100 Jahre später führen Computertechnik und Mikroelektronik zu einem Wandel. Die fortschreitende Leistungsfähigkeit von Chips ermöglicht im Lauf der Jahre eine Miniaturisierung.

Industrie 4.0/Digitalisierung: Bestandteil sind mobile Endgeräte bei der Produktion, die die Roboter bei der Fertigung steuern. Ein weiterer Bestandteil sind lernende Maschinen. So kann ein bisheriger Produktionsmitarbeiter seinem Kollegen Roboter die Arbeitsschritte beibringen. Dank Clouds werden die Produktionsdaten weltweit zur Verfügung stehen. Eine weitere Technologie ist der 3-D-Druck. Damit könnte man schnell und preiswert Werkzeuge für die Fertigung erstellen.



Auf Seite 5: Interview mit Georg von Thaden





Interview



Wer in puncto Digitalisierung falsch agiert, könnte hohe Investitionen verschleudern, warnt der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Die Unternehmensberatung Roland Berger hat das für den BDI in der Studie "Die digitale Transformation der Industrie" in Zahlen gefasst. Bis 2025 könnte Europa einen Zuwachs von 1,25 Billionen Euro an industrieller Bruttowertschöpfung erzielen, aber auch einen Wertschöpfungsverlust von 605 Milliarden Euro erleiden, schreiben die Experten. Wir sprachen mit Georg von Thaden, Automotive-Experte bei Roland Berger.

BÖRSE ONLINE: Bei den deutschen Herstellern erhofft man sich durch die Digitalisierung große Ersparnisse in der Produktion. Welche finanziellen Vorteile können Unternehmen erwarten?


Georg von Thaden: Industrie 4.0 ermöglicht es den Unternehmen, ihre Prozesse besser zu gestalten und Anlagen deutlich effizienter zu nutzen. Das führt zu einer höheren Maschinenauslastung und kürzeren Prozessdurchlaufzeiten. Damit kann der Maschinenpark kleiner und flexibler werden, der Personalbedarf sinkt. Studien zeigen, dass Unternehmen ihre Rendite auf das eingesetzte Kapital (ROCE) mithilfe von Industrie 4.0 im Optimalfall mehr als verdoppeln können.

Wo stehen die deutschen Hersteller im internationalen Vergleich?


Das hängt davon ab, welchen der verschiedenen Bestandteile von Industrie 4.0 man betrachtet: Bei der Entwicklung der notwendigen Hardware wie Sensoren, Roboter oder Maschinen sind die deutschen Hersteller mit ihrem großen Netzwerk an Partnern traditionell stark. Bei der Verknüpfung und Integration der entsprechenden Software punkten vor allem amerikanische Firmen. China hingegen geht beim staatlichen Ausbau der digitalen Infrastruktur mit höchstem Tempo voran. Generell kann man jedoch festhalten, dass von den vier in diesem Zusammenhang bedeutendsten Ländern - USA, Deutschland, China und Japan - noch keines einen Vorsprung bei der Digitalisierung der Produktion hat, der nicht mehr einzuholen ist.

Wer sind die Haupttreiber bei der Industrie 4.0? Zulieferer oder Hersteller?


Industrie 4.0 ist für Hersteller und Zulieferer gleichermaßen von hoher Bedeutung - und somit sind auch alle gefragt, ihre Produktion zu digitalisieren. Die Hersteller haben die direkte Schnittstelle zum Kunden und wollen daher die Möglichkeiten von Industrie 4.0 nutzen, um diesen individuell und flexibel mit der nötigen Qua-lität zu versorgen. Bei den Zulieferern hängt die Bedeutung von Industrie 4.0 stark von der jeweiligen Komponente und dem Lieferverhältnis ab, etwa ob man -Innovationspartner ist oder reiner Warenlieferant. Hier wird es daher beim Digitalisierungsgrad auch in den nächsten Jahren noch deutliche Unterschiede zwischen den Unternehmen geben.

Kann Industrie 4.0 den Herstellern helfen, ihren Produkten den digitalen Touch zu verleihen, und so gegen Google und Apple anzukommen?


Ja. Ihre Chance besteht darin, digitale Technologien frühzeitig für ihre Produktion zu nutzen, sie aber auch in die Produkte selbst zu integrieren. Beides muss als Effekt beim Kunden ankommen.