Der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat darf wohl weiterhin in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht eine Verlängerung der Zulassung um zehn weitere Jahre vor. Hersteller Bayer begrüßt die EU-Initiative und auch an der Börse ist man erfreut. Verliert das Gift seinen Schrecken?
Am kommenden Freitag wird der Vorschlag einer Zulassungs-Verlängerung mit den EU-Staaten erörtert. "Unser Vorschlag basiert auf wissenschaftlich fundierten Informationen", sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Mittwoch. Für den Einsatz sind den Dokumenten zufolge bestimmte Bedingungen vorgesehen, etwa Maßnahmen zur Risikominderung. Dabei geht es etwa darum, zu verhindern, dass Glyphosat bei der Anwendung stark verweht wird.
Glyphosat ist eigentlich nur noch bis zum 15. Dezember EU-weit zugelassen. Umweltschutz-Organisationen sehen in Glyphosat Gefahren für Menschen und Umwelt, der Hersteller Bayer weist das vehement zurück. Ende Juli hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eine Untersuchung veröffentlicht, in der sie keine inakzeptablen Gefahren, aber Datenlücken in mehreren Bereichen gesehen hatte.
Für die Untersuchung hatte die Efsa eigenen Angaben zufolge in einem dreijährigen Verfahren Tausende Studien und wissenschaftliche Artikel betrachtet. Zu den Aspekten, die nicht abschließend geklärt wurden, gehören etwa ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher und die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen, wie die Efsa mitteilte. Auch mit Blick auf den Artenschutz ließen die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu.
Gespaltene Reaktionen
Bayer begrüßt den Verordnungsentwurf der EU-Kommission. Er basiere auf den "überzeugenden wissenschaftlich fundierten Schlussfolgerungen" der Efsa. "Bayer ist der Ansicht, dass die Entscheidung der Mitgliedstaaten auf den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen der zuständigen Behörden beruhen und zu einem Votum für eine erneute Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat führen sollte", betonte das Unternehmen.
Deutschland will ab Anfang 2024 Glyphosat nicht mehr zulassen. Auch wenn eine Zulassung auf EU-Ebene verlängert wird, könnte das Mittel in der Bundesrepublik verboten werden.
Der CDU-Agrarexperte Norbert Lins bezeichnete den Vorschlag der Kommission als wichtigen Schritt für die Landwirtschaft. "Selten wurde ein Wirkstoff so genau untersucht wie Glyphosat", teilte er mit. "Die Gesundheit von Millionen Europäerinnen und Europäern droht für weitere 10 Jahre aufs Spiel gesetzt zu werden", sagte hingegen die Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus. "Die Interessen der Industrie haben eindeutig Vorrang vor Gesundheit und Umwelt", so Angeliki Lysimachou von der Organisation Pesticide Action Network (PAN) Europe.
Entscheidung in etwa vier Wochen
Noch ist die Verlängerung nicht sicher. Eine Entscheidung wird nicht vor Mitte Oktober erwartet. Dabei ist eine "qualifizierte Mehrheit" von 15 der 27 Mitglieder erforderlich, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Ein Kommissionsbeamter erklärte, wenn es am 13. Oktober keine Mehrheit für eine Verlängerung gebe, brauche es einen Berufungsausschuss, der dann im November zusammenkomme. Wenn sich eine qualifizierte Mehrheit gegen das Vorhaben ausspreche, könne die Kommission die Zulassung nicht verlängern. Sollte es keine Mehrheit für oder gegen eine Zulassung geben, könnte die EU-Kommission den Angaben zufolge eigenständig über eine Verlängerung entscheiden.
Die Bayer-Aktie bewegt sich heute etwa im DAX-Schnitt aufwärts. Zeitweilig gewinnt der Wert ein halbes Prozent auf 49,20 Euro. Damit dümpelt die Aktie weiterhin unter ihrem 50-Tage-Durchschnitt. Bei gut 48 Euro trifft Bayer auf charttechnische Unterstützung.
Druck aus den USA lässt nach
Vor allem in den USA stand Bayer wegen Glyphosat jahrelang erheblich unter Druck. Milliarden-schwere Klagen musste der deutsche Agrarchemie-Konzern verkraften. Zeitweilig hat sich die Bayer-Aktie seit dem Allzeithoch bei gut 146 Euro mehr als gedrittelt.
Mittlerweile hat sich das Blatt zugunsten Bayer in den USA gewendet. Eine Handelsblatt-Analyse aller jüngsten Verfahren in den USA, in denen Kläger den Unkrautvernichter Glyphosat für ihre Krebserkrankung verantwortlich machten, zeigt: Seit 2020 hat Bayer sieben Mal in Folge einen Freispruch erwirkt. Dem stehen die ersten drei verlorenen Prozesse aus der Anfangszeit der Glyphosat-Klagewelle bis Mitte 2019 gegenüber. Bayer hat seine Prozess-Strategie geändert und geht nur noch in ausgewählten Fällen und an ausgewählten Orten vor Gericht.
Aktie dümpelt auf niedrigem Niveau
Auch wenn Glyphosat in der EU noch einige Jahre verwendet werden darf, bleiben Risiken weiterer Gerichtsprozesse in den USA. Die Privatbank Berenberg hat die Einstufung für Bayer dann auch lediglich mit "Hold" und einem Kursziel von 60 Euro bestätigt. Niedrige Glyphosat-Preise sorgen für Gegenwind und in der Pharma-Sparte verfüge der Konzern derzeit nicht über die notwendigen Mittel, um Umsatz hinzuzukaufen, fasste Analyst Sebastian Bray seine Einschätzung zusammen. Der neue Konzern-Chef überprüfe derweil alle Optionen für das Portfolio und werde über die Ergebnisse auf einem Kapitalmarkttag Anfang 2024 berichten.
BÖRSE ONLINE hatte die Bayer-Aktie langfristig zum Kauf empfohlen und zuletzt eine Stop-Loss-Marke bei 42 Euro genannt. Neue Käufe sollten indes vorerst zurückgestellt werden. Am 8. November könnten neue Quartalszahlen Aufschluss über die weitere Entwicklung geben.
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(Mit Material von dpa-AFX)
Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Bayer.