Trotzdem bleibt die Branche lieber auf der sicheren Seite und verdient so lange wie möglich an herkömmlichen Antrieben. "Natürlich versucht die Industrie, ein erfolgreiches Geschäftsmodell, und das ist der Verbrenner, so lange wie möglich zu bewahren", sagt Axel Schmidt von der Unternehmensberatung Accenture. Niemand könne vorhersagen, wann sich E-Autos rentierten. Daran tragen die Hersteller nach Ansicht von Oliver Greiner von der Managementberatung Horvath & Partner eine große Mitverantwortung - denn sie selbst hätten den Elektroantrieb lange Zeit schlecht geredet.

Greiner glaubt, dass die deutsche Autoindustrie bei neuen Antrieben längst hätte führend sein können, wenn sie das Thema schon vor zehn Jahren leidenschaftlich angegangen wäre. Angesichts der Erfolge des US-Elektropioniers Tesla seien die Konzerne zwar aufgewacht. Beherztes Zupacken sehe aber anders aus: "Jetzt zuckelt die Branche dem Trend hinterher und tut das immer noch mit angezogener Handbremse." Greiner hält das für wenig zukunftsorientiert. "Das ist grad mal so, dass man Strafzahlungen umgehen kann."

Der Managementberater sieht die Industrie allerdings auch in einer Zwickmühle: "Sie weiß, wenn sie die E-Mobilität massiv vorantreibt, muss sie den Aktionären erklären, warum die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen heruntergehen." Die Manager müssen ihren Mitarbeitern zudem erläutern, warum es weniger Arbeit für sie gibt. Denn beim Bau der Stromer sind weniger Handgriffe nötig. Den Autobauern steht nach Meinung der Fachleute deshalb ein Stellenabbau bevor, wodurch die Spannungen in den Unternehmen noch zunehmen dürften.

Wolfgang Bernhart von Roland Berger zeigt Verständnis für die Zurückhaltung vieler Firmen: "Solange der Ergebnisbeitrag niedrig ist und keine bestimmte E-Quote erreicht werden muss, ist es ökonomisch rational, weniger rein batteriegetriebene Fahrzeuge zu verkaufen." Das dürfte sich erst ändern, wenn hohe Strafzahlungen drohen. Dann müssten die Hersteller entscheiden, ob sie Strafen in Kauf nehmen oder lieber hohe Rabatte gewähren, um Imageverluste zu vermeiden. Beides geht aber auf Kosten der Gewinne.

Deshalb probieren die Ingenieure alles Mögliche aus, um den Spritverbrauch der Fahrzeuge zu verringern. "Um die strengeren Emissionsvorschriften zu erfüllen und CO2-Strafzahlungen ab 2020/2021 zu vermeiden, nutzt die Automobilindustrie kurzfristig neben neuen Antriebstechnologien und Software auch alternative Werkstoffe", schreibt Branchenexperte Cedric Perlewitz von der Commerzbank in einem Report. Vorteile bringe vor allem der Einsatz leichterer Materialien wie Aluminium, Kunststoff, hochfestem Stahl oder Karbon.

Als erster aus der Deckung


"Man tastet sich vorsichtig in die Elektromobilität vor", lautet auch das Fazit von Thomas Hartenfels von der Personalberatung Robert Walters. Er berichtet aus Kundengesprächen, dass es den sogenannten First Mover Effekt - den Vorteil also, den ein Unternehmen hat, wenn es als erstes mit einem neuen Produkt am Markt ist - bei E-Autos nicht gebe. "Die sagen, es mache sich nicht bezahlt, als erster den Kopf aus der Deckung zu nehmen, weil sie auch viel verlieren können. Es ist ja nicht so, dass alle ihre Werke umstellen, sondern das geschieht peu a peu."

Dabei haben die stolzen deutschen Autobauer schon früh Elektroantriebe entwickelt, setzten sich damit aber nicht durch.

Die B-Klasse von Mercedes-Benz kam 2014 auf den Markt und hatte den gleichen Antriebsstrang wie das Tesla Model S. Beim Elektro-Smart ist Daimler inzwischen bei der vierten Modellgeneration angelangt. Der i3 von BMW kam schon 2013 auf den Markt, entwickelte sich aber nicht zum Verkaufsschlager.

Mehrere Hersteller versuchen daher, mit Mischformen aus einem Verbrenner mit elektrischer Unterstützung oder Hybridautos, die beide Antriebe kombinieren, aus dem Dilemma herauszukommen, dass reine E-Fahrzeuge bei vielen Kunden noch auf Skepsis treffen. BMW hält sich alle Optionen offen und stellt in seinen Werken sowohl Diesel, Benziner als auch Hybride und E-Autos her. Das ist ein eher konservativer Ansatz, sagen Befürworter eines rascheren Umstiegs. Er erlaubt es aber auch, nur so viele E-Autos zu verkaufen wie nötig, um die CO2-Quote zu erfüllen. Gleichzeitig kann BMW mit Verbrennern weiter gutes Geld verdienen - und spart sich so hohe Investitionen in eine eigene Elektro-Plattform.

Dagegen setzt Volkswagen alles auf die E-Karte und will die Produktion von batteriegetriebenen Autos in den nächsten Jahren möglichst rasch hochfahren - auch, um den selbst eingebrockten Schlamassel um die Dieselmanipulationen hinter sich zu lassen. Auf der Automesse IAA Anfang September in Frankfurt rücken auch die anderen Hersteller ihre Ideen für eine emissionsärmere Zukunft ins Rampenlicht. Vieles bleibt aber noch bei Ankündigungen. Bis die Branche den Weg aus dem Verbrennerzeitalter findet, dürften also noch einige Jahre ins Land gehen.

Langfristig führt nach Meinung aller Fachleute kein Weg an einer emissionsfreien Mobilität vorbei. "Immer mehr Großaktionäre haben ein Interesse an der langfristigen Entwicklung von Unternehmen", sagt Greiner. "Der langfristige Wert wird nicht durch den Verbrenner definiert. Alle wissen, dass es diesen Wechsel geben muss, es geht nur um die Geschwindigkeit."

rtr