Sie haben sich ordentlich was vorgenommen: Der Präsident Brasiliens Michel Temer und der bolivianische Präsident Evo Morales. Die beiden unterzeichneten ein Abkommen für die transkontinentale Bahnstrecke "Bioceanico". Die soll über 3750 Kilometer vom brasilianischen Hafen in Santos durch das Tiefland Boliviens über 4000 Meter die Anden hoch zum peruanischen Ilo führen. Zwölf Milliarden Euro dürfte das kosten. "Panama-Kanal auf Schienen" wird das Projekt schon genannt, das eigentlich China mit Bolivien stemmen wollte - Brasilien hat die Wirtschaftssupermacht also ausgestochen.
Das kann man durchaus als Ausdruck neuen Selbstbewusstseins sehen. Brasilien zieht sich nach zwei Jahren Rezession am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Und nicht nur wegen eines Megaprojekts wie der Bioceanico. Nein, dem Einzelhandel sei es ebenfalls gedankt - dort wachsen die Umsätze zweistellig. Mit dem schönen Effekt, dass die Arbeitslosigkeit langsam wieder sinkt und auch die Industrie immer besser in Schwung kommt.
Nur zur Erinnerung: Brasiliens Wirtschaft schrumpfte 2015 um 3,8 Prozent und 2016 um 3,6 Prozent! Ein Desaster. Dieses Jahr wird immerhin mindestens eine schwarze Null erreicht, im kommenden Jahr sollen es laut Internationalem Währungsfonds 1,5 Prozent sein - so manche Bank erwartet sogar doppelt so viel.
An der Börse hatte sich die Trendwende schon länger angedeutet. Den Tiefpunkt erreichte der Leitindex Ibovespa schon Ende Januar 2016. Seither ging es stark nach oben: von damals 37 500 Punkten auf in der Spitze fast 77 000. BÖRSE ONLINE hatte die Chance früh erkannt. Die zwei Monate später in Heft 3/2016 empfohlenen Brasilien-Aktien legten seither teils fulminant zu: unser Favorit Vale etwa um bis zu 200 Prozent und Stahlerzeuger Gerdau in der Spitze um 175 Prozent. Der Lyxor ETF Brazil, der den Leitindex abbildet, schaffte 50 Prozent.
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Realzins niedrig wie nie zuvor
Doch wie kam es zum wirtschaftlichen Turnaround? Zum einen liegt es an gelungenen politischen Reformen. Und zum anderen am Kurs der Zentralbank. Während Finanzminister Henrique Meirelles die einst wild wuchernden Subventionen zusammenstrich, die Arbeitsgesetze modernisierte und die Privatisierung des Energiesektors vorantrieb, schaffte es Notenbankchef Ilan Goldfajn, den Zins immer weiter zu drücken. Aktuell liegt der Realzins bei fünf Prozent, das ist so niedrig wie noch nie - vor zwei Jahren noch betrug die Geldentwertung elf Prozent.
Zugute kam Goldfajn dabei, dass die Unternehmen durch die lange Rezession die Preise senken mussten und dass Rekordernten dies noch verstärkten. Gut für den Konsum. Allerdings aber auch zulasten einiger Einzelhandelsunternehmen. Brasil Foods etwa brachen die Gewinne weg, die Aktie sinkt gegen den eigentlich so positiven Trend des Gesamtmarkts. Andere, wie etwa der Getränkegigant Ambev, halten sich besser - bei Kursen um 4,80 Euro ist die Aktie wieder einen Kauf wert.
Achtgrößter Binnenmarkt
Insgesamt stimmt die Brasilien-Story aber wieder. Denn durch die gesunkenen Preise haben die Brasilianer mehr Geld für andere Anschaffungen zur Verfügung. Gleichzeitig ist durch die niedrigeren Zinsen die Schuldenlast der Haushalte gesunken. Das sorgt für ein besseres Wirtschaftsklima. Dies sieht man auch daran, dass erstmals seit 25 Monaten die Kreditnachfrage der Unternehmen wieder steigt. Ein Aspekt, der zu einem wichtigen Wachstumsantreiber der nächsten Monate werden dürfte.
Mutiger werden auch wieder ausländische Investoren. 80 Milliarden Dollar flossen in diesem Jahr schon nach Brasilien - für Käufe, für Zusammenschlüsse. Das Potenzial für große Geschäfte ist ja vorhanden - das Land ist immerhin der achtgrößte Binnenmarkt weltweit. Weil die Chancen gut stehen, dass der Aufschwung somit weiter an Breite gewinnt, empfiehlt sich vor allem ein Investment in den Gesamtmarkt - etwa mit einem ETF.
Wenn da nur nicht das Dauerproblem des Landes wäre: die Politik. In den Umfragen schneidet Präsident Temer trotz des Aufschwungs katastrophal ab. Schuld sind echte oder vermeintliche Korruptionsverstrickungen, die immer wieder für Ärger sorgen. Dabei sollte doch alles besser werden nach den Skandalen um die Vorgänger Dilma Rousseff und Luiz Inácio Lula da Silva. Jedenfalls stehen in etwa einem Jahr wieder Wahlen an. Wer dann zu den Präsidentschaftskandidaten gehört, ist noch ungewiss. Doch die Chancen gemäßigter Kandidaten nehmen zu, je schneller die wirtschaftliche Erholung voranschreitet.