Dieser Tag ist in die Börsengeschichte eingegangen: In der Spitze mehr als zehn Prozent verlor der DAX, nachdem die Briten am 23. Juni 2016 für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatten. Jetzt rückt das nächste kritische ­Datum näher: Am 29. März soll die Trennung endgültig vollzogen werden. Wieder drohen Turbulenzen.

Wenige Wochen vor dem Brexit-­Termin ist noch immer nicht klar, wie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Königreich und Kontinent ge­regelt werden. Die Entscheider in der britischen Politik sind zerstritten, selbst innerhalb der Regierung gibt es keinen Konsens. Die oppositionelle Labour Party hat in dieser Woche eine neue ­Variante ins Spiel gebracht: Der Brexit würde demnach bis Ende des Jahres verschoben, falls Premierministerin Theresa May für ihre Pläne nicht bis Ende Februar eine Mehrheit findet. Die Regierungschefin wies den Vorschlag prompt zurück, will eine klare Entscheidung.

Der Machtkampf um den Brexit bleibt eine Zitterpartie. Für die Wirtschaft steht viel auf dem Spiel: Mit einem Volumen von 122 Milliarden Euro war Großbritannien im Jahr 2017 der fünft­größte Handelspartner der Bundesrepublik. Das Volumen der deutschen Exporte auf die Insel ist dabei mehr als doppelt so groß wie der Warenstrom in die andere Richtung.

Die Gefahr für die Unternehmen kommt von mehreren Seiten: Im Fall ­einer unkoordinierten Trennung würde der Handel durch Zollschranken gebremst. Das bringt höhere Kosten und Umsatzeinbußen. Stürzt der Wert des britischen Pfund, würden ausländische Unternehmen zudem in ihrer Heimwährung weniger Geld mit ihren Geschäften in Großbritannien verdienen. Seit dem Brexit-Votum im Sommer 2016 hat das Pfund gegenüber dem Euro bereits zwölf Prozent eingebüßt. Sollte der Trennungsschmerz das Königreich schließlich in eine Rezession stürzen, würde das auch die Handelspartner auf dem Kontinent treffen.

Die Vielzahl der Risiken erklärt die ungewöhnlich deutlichen Warnungen aus der Wirtschaft. Der Bundesverband der Deutschen Industrie spricht von "Chaos", sogar "Hysterie" in der britischen Politik und sieht Zehntausende von Unternehmen und Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland und auf der Insel gefährdet.

Die Notfallplanungen haben in den Konzernzentralen längst begonnen. Eine Umfrage der Redaktion zeigt, dass sich Unternehmen auf den schlimmsten Fall einstellen. Wie gut die Notfallpläne in der Praxis funktionieren, lässt sich dabei schwer voraussagen.

So britisch ist der DAX

Einen besonders großen Umsatzanteil in Großbritannien weisen nach einer Analyse der Commerzbank die Versorger Eon und RWE aus. Eon erzielte im vergangenen Jahr sogar rund 18 Prozent seiner Erlöse im Königreich. Dort beliefert der Energiekonzern 6,8 Millionen Kunden mit Strom und Gas.

Auch für SAP ist Großbritannien außergewöhnlich wichtig. Wie die Versorger hat der Softwarekonzern allerdings den Vorteil, keine physischen Waren über die Grenze transportieren zu müssen. Die direkten Gefahren aus dem ­Brexit sind darum überschaubar. Gefährlicher wären erneute Kursverluste des britischen Pfund. SAP gibt sich aber gelassen: Gegenwärtig erwarte man keine Unterbrechung bei der Bereitstellung von SAP-Software oder digitalen Dienstleistungen.

Brisanter ist die Lage für Industrie­unternehmen, weil sie auf pünktliche Warenlieferungen angewiesen sind. Vor allem bei den Automobilkonzernen kann die Zulieferkette schon durch kleine Störungen ins Stocken geraten.

Unter den Autowerten weist BMW den höchsten Umsatzanteil in Großbritannien aus. Die Münchner betreiben dort vier Werke, in denen Fahrzeuge, Komponenten und Pressteile produziert werden. Um Zeit zu gewinnen, hat BMW die jährliche Wartungsperiode in den Werken so terminiert, dass sie mit dem Brexit zusammenfällt. Alle Kernbereiche stehen auf dem Prüfstand, vor allem Zollabwicklung, IT und Logistik.

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center der Universität Duisburg-Essen sieht vor allem eine Rezession in Großbritannien als Gefahr: "Je härter der Brexit wird, umso schneller wird wohl BMW seine UK-Kapazitäten reduzieren. Insgesamt werden die deutschen Autobauer natürlich den Brexit und den Rückgang des Automarkts in Großbritannien spüren, aber es bleibt verdaubar."

Deutsche Unternehmen können auf längere Sicht aber auch vom Brexit profitieren. Sollten etwa britische Unternehmen nach Europa übersiedeln, dürften einige davon an den Einzugsbereich der Lufthansa-Drehkreuze Frankfurt und München rücken und der Airline neue Kunden bringen.

Ausgerechnet die Aktienmärkte nehmen die Turbulenzen um den Brexit ­bislang gelassen auf. Nachdem das britische Parlament vor anderthalb Wochen den Deal der Premierministerin mit der EU abgeschmettert hatte, legte der DAX sogar leicht zu und ist seit Jahresbeginn deutlich im Plus. Dafür gibt es mehrere Erklärungen: Der DAX ist seit seinem Rekordhoch vor einem Jahr deutlich gefallen und hat damit bereits ein gewisses Risiko verarbeitet.

Überlagert werden die Brexit-Sorgen zudem von positiven Faktoren: Aussagen der amerikanischen Notenbank, die darauf hindeuten, dass die Zinsen in den USA nicht so stark angehoben werden wie von vielen befürchtet. Oder auch Spekulationen, dass die Trump-­Regierung ihren Handelsstreit mit China entschärfen wird.

Notfallplan für Aktionäre

Falls es dennoch zum neuen Brexit-­Schock kommt, bietet ein Blick auf die Turbulenzen vom Juni 2016 Anlegern eine Blaupause (siehe Grafik rechts): Im ersten Schock hielten sich damals - wie in Krisensituation zu erwarten - die Aktien aus defensiven Branchen am besten. Auf der Verliererseite standen nicht nur die Zykliker, sondern auch viele jener Unternehmen mit einem hohen Umsatzanteil in Großbritannien - also auch Eon und RWE, die als Versorger eigentlich Krisengewinner wären.

In einer angenehmen Situation ist Vonovia. Der Immobilienkonzern macht als einziges DAX-Mitglied keine Geschäfte auf der Insel - und kann darum die Turbulenzen um den Brexit ganz entspannt verfolgen.

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Investor-Info

Vonovia
Nur Zuschauer beim Brexit

Der Immobilienkonzern profitiert von der weiterhin hohen Nachfrage nach Wohnraum in den Ballungsgebieten. Vonovia besitzt rund 400 000 Wohnungen in Deutschland, Österreich und Schweden. Das weitgehend krisensichere Geschäft macht Vonovia zu einem attraktiven Dividendenwert. Für das Geschäftsjahr 2018 solle die Ausschüttung um zwölf Cent auf 1,44 Euro je Aktie steigen.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 50,00 Euro
Stoppkurs: 35,50 Euro

SAP
Risiko beherrschbar

Europas größter Technologiekonzern profitiert von der Digitalisierung der Wirtschaft. Weil Kunden Software und Rechenleistung immer häufiger mieten anstatt wie früher zu kaufen, wird die Gewinnentwicklung auf lange Sicht berechenbarer. Gleichzeitig erweitert SAP mit Übernahmen seine Angebotspalette. Als Softwarehersteller sollte SAP die Brexit-Risiken bewältigen können.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 120,00 Euro
Stoppkurs: 79,00 Euro

Kurs-Reaktion
Die stärksten Ausschläge

Am 24. Juni 2016, dem Tag nach dem Brexit- Votum, verlor der DAX bei starken Ausschlägen letztlich 6,8 Prozent. Am stärksten nach unten ging es bei Unternehmen aus zyklischen Branchen. Defensive Werte überstanden den Tag mit moderaten Kursverlusten.