Die Geschichte klingt filmreif: Ein 28-jähriger wettet auf fallende Kurse der BVB-Aktie, und zündet am 11. April drei Sprengsätze neben dem Mannschaftsbus, um seiner Spekulation nachzuhelfen. In weiteren veröffentlichten Details weichen die Medienberichte der vergangenen Tage dann aber teilweise deutlich voneinander ab. So ist einmal von 15.000 Optionsscheinen die Rede, andernorts werden bis zu 60.000 Papiere benannt, die der mutmaßliche Täter gekauft haben soll. Eines davon ist anscheinend die WKN DGM51Y - ein Put-Optionsschein der DZ Bank, der Kursverluste der BVB-Aktie in Gewinne verwandelt und gleichzeitig auch noch um etwa das Neunfache verstärkt.

Eine Beispielrechnung: Setzt ein Anleger für 1.000 Euro auf dieses Papier, und verliert die BVB-Aktie um ein Prozent, so würde der Anleger neun Prozent gewinnen - also 90 Euro. In einer Pressekonferenz wurde in der vergangenen Woche verlautbart, dass der Verdächtige vor der Tat einen Verbraucherkredit von rund 80.000 Euro aufgenommen haben soll. Parallel ließen sich verdächtige Umsätze in mindestens weiteren fünf Put-Papieren feststellen. Insgesamt existieren aktuell 23 Put-Optionsscheine (alle von der DZ-Bank), 32 Knock-Out-Short-Zertifikate (von diversen Emittenten) und zwei Short-Faktorzertifikate (Morgan Stanley) auf das Papier von Borussia Dortmund.



Die Überprüfung aller Umsätze könnte noch Überraschungen ergeben, zumal bis jetzt laut Presseberichten nur Investitionen des mutmaßlichen Täters von etwa 8.000 Euro nachvollziehbar sind. Es erscheint jedoch wenig glaubwürdig, dass nur zehn Prozent des erhaltenen Kredits in die Spekulation geflossen sind - außer der Bombenleger hat Money-Management betrieben, also nicht alles auf eine Karte gesetzt. Doch er war offenbar kein Profi, daher ist dies unwahrscheinlich. Oder die Baukosten für die Bomben hätten die restlichen 72.000 Euro verschlungen - das ist ebenfalls wenig plausibel.

Was aber, wenn der Anleger noch über private Ersparnisse verfügte oder weitere Kredite aufgenommen hat? Ein einfach nachvollziehbares, zweites Rechenbeispiel zeigt, wie der Plan tatsächlich ausgesehen haben könnte: Es reichen 100.000 Euro, um mit den derzeit verfügbaren Papieren - mit hohem Hebel von bis zu zehn - eine Million Euro zurück zu erhalten. Dafür hätte der BVB-Kurs um 90 Prozent einbrechen müssen, was bei einer stärkeren Wirkung des Sprengsatzes durchaus eine realistische Option hätte sein können.



Glücklicherweise ging die Spekulation nicht auf, der Aktienkurs fiel am Tag nach dem Anschlag zeitweise nur um zwei Prozent, erholte sich dann sogar wieder ins Plus. Volatil war auch der Handel nach der Heimniederlage gegen Monaco in der Champions League, ausgehend vom Anschlagstag büßte die Aktie in der Spitze um bis zu vier Prozent ein. Der mutmaßliche Täter hätte mit 100.000 Einsatz und einem Hebel von zehn somit höchstens 40.000 Euro Gewinn machen können. Der Verlierer wäre dann nicht, wie beispielsweise im Nachrichtenmagazin "SPIEGEL Online" berichtet, die Emittentin DZ Bank gewesen. Diese Fehlinformation ist auf das oft unzureichende Fachwissen der Berichterstatter im Bereich Optionsscheine zurück zu führen. In der Regel sichert sich der Herausgeber der Optionsscheine nämlich selbst am Kapitalmarkt ab (hedging).



Warum andere Aktien für einen Anschlag viel besser geeignet sind.



Der mutmaßliche Täter ist letztendlich auch durch seine Optionsschein-Spekulationen auffällig geworden. So soll aus Bankenkreisen eine Meldung an die Ermittlungsbehörden ergangen sein. Auch dass Optionsscheine zumindest teilweise in Frankfurt, anstatt an der viel populäreren Derivate-Börse Stuttgart gekauft wurden, ist auffällig. Ein Profi hätte vor allem in kleineren Paketen über Wochen hinweg in den Tagen um wichtige Fußballspiele gekauft, um kein Aufsehen zu erregen. Selbst dann wären den Optionsschein-Emittenten oder der Handelsüberwachung der Börse diese Transaktionen vermutlich nicht entgangen.

Weitaus weniger auffällig wäre dagegen eine Spekulation in einem Blue Chip gewesen, dort gehen einzelne Trades dieser Größenordnung in der breiten Masse aller Tagesgeschäfte unter. Der Markt für BVB-Papiere ist im Gegensatz dazu winzig klein, nur vergleichsweise selten finden Umsätze in Puts statt.

Dazu kommt: Auf DAX-Aktien wie beispielsweise Lufthansa existieren tausende Optionsscheine, deren Überwachung kaum möglich ist. Zudem weisen diese Papiere einen viel höheren Hebel auf, der zeitweise bis zu 400 reicht.



Der Absturz einer Maschine der Tochter Germanwings durch Suizid des Piloten im Jahr 2015 ließ die Aktie an einem Tag um bis zu sechs Prozent einbrechen, mit dem passenden Derivat hätte ein Anleger so seinen Einsatz von 1.000 auf 25.000 Euro steigern können - aus 100.000 Euro wären 2,5 Millionen geworden. Doch eine Spekulation in dieser Größenordnung hätte höchstwahrscheinlich auch bei einem Blue Chip Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Die Gefahr von Nachahmungstätern ist dennoch groß. Viele börsennotierte Unternehmen sind gefährdet, zur Zielscheibe von künstlich ausgelösten Negativ-Schlagzeilen zu werden. Das Geschäftsmodell ist alt: In den 1990er-Jahren hielt der Kaufhaus-Erpresser Arno Funke - besser bekannt als Dagobert - die Polizei in Atem. Er erpresste unter anderem den Karstadt-Konzern und zündete Sprengsätze in den Filialen. Damals ging es zwar um Lösegeld und nicht um Put-Spekulationen, der Ansatz war aber ähnlich.

Gefährdet sind vor allem Konzerne, bei denen sich mit wenig Aufwand bereits größere Schäden am Geschäftsmodell erzielen lassen - beispielsweise Einzelhandelsketten, Lebensmittelproduzenten, Eisenbahngesellschaften, Airlines und offenbar auch Fußballclubs. Die Kurseinbrüche durch entsprechende Straftaten dürften sich jedoch meist in engem Rahmen bewegen, da die Verbrechen in der Regel alle aufgeklärt werden und der Schaden für den Konzern selten von Dauer ist - abgesehen vielleicht vom Szenario einer vollständig ausgelöschten Fußballmannschaft.

Anleger müssen sich also nicht abschrecken lassen, und können unbeeinflusst von Terror-Angst weiter in entsprechende Branchen investieren. Viel größer ist beispielsweise die Gefahr schlechter Quartalszahlen, die schnell zu einem Kurseinbruch im zweistelligen Prozentbereich führen können - und davon sind alle Unternehmen gleichermaßen betroffen.


Bis der Bus repariert ist, müssen die BVB-Spieler vielleicht häufiger den Mannschafts-Jet nehmen. Fliegen ist statistisch ohnehin viel sicherer.

Andreas Büchler ist Herausgeber des Index Radar Magazins, der größte tägliche Börsenstatistik-Report Deutschlands. Er ist zudem Gründer und Partner der Qarat AG, einer auf Quantitative Analyse und Algorithmic Trading spezialisierten Forschungsgesellschaft für Börsenhandelssysteme.

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