BÖRSE ONLINE: Mittlerweile kritisieren sogar die Republikaner US-Präsident Donald Trumps Auftritt im ersten TV-Duell der Präsidentschaftswahlen. Ist die erste Debatte ein Wendepunkt im Wahlkampf?
Carsten Klude: Auch wenn es im ersten TV-Duell inhaltlich kaum um politische Themen ging, sondern es mehr ein persönlicher Schlagabtausch war, den sich beide Präsidentschaftskandidaten geliefert haben, konnte Joe Biden danach seinen Vorsprung in den Umfragen weiter ausbauen. Hinzu kommt Trumps Umgang mit seiner Corona-Erkrankung, die ihm zusätzliche Stimmen kosten dürfte. Insofern spricht im Moment viel dafür, dass es einen Wechsel im Weißen Haus geben wird. Eine Überraschung wie 2016 ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, allerdings ist der Vorsprung Bidens drei Wochen vor der Wahl deutlich größer als damals zur selben Zeit der von Hillary Clinton.
Die erste Debatte verlief überwiegend chaotisch. Was erhoffen Sie sich von den kommenden TV-Duellen?
Sollte es noch zu einem weiteren TV-Duell kommen, dürfte dieses ähnlich verlaufen. Also wenig inhaltlicher Tiefgang, dafür mehr persönliche Beleidigungen.
Welchen Einfluss hätte eine Nachbesetzung der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg im Supreme Court vor dem 3. November auf die Wahl?
Wir erwarten keinen nachhaltigen Einfluss auf das Wählerverhalten.
Wenn die von Trump vorgeschlagene Amy Coney Barrett die Nachfolge Ginsburgs im Supreme Court antritt, wird ein bislang liberal besetzter Posten konservativ. Was würde das für die USA bedeuten?
Das oberste US-Gericht würde klar von republikanischen Richtern oder den Republikanern zumindest zuneigenden Richtern dominiert. Vielfach wird allerdings die Meinung vertreten, dass trotz der schon bestehenden Mehrheit mehr liberale als konservative Urteile erlassen wurden. Sollte Joe Biden USA-Präsident werden, könnte er eine Vergrößerung des Gerichts beschließen (von neun auf 13 oder 15 Richter, Court-Packing), um damit mehr demokratisch gesonnene Richter ins Amt zu bringen. Allerdings gibt es für diesen Schritt hohe politische Hürden - und Bidens Position zu diesem Thema ist bislang nicht eindeutig.
Als langfristige Profiteure eines Präsident Bidens gelten Unternehmen und Aktien aus den Bereichen Energieeffizienz, Smart Mobility und erneuerbare Energien. Bei einer Wiederwahl Trumps wären Bereiche wie Energie, Healthcare und Banken Gewinner. Was wäre für die US-Wirtschaft besser und weshalb?
Diese Frage lässt sich kaum beantworten. "Besser" im Sinne von "zukunftsgewandter/moderner" wären vermutlich die Themen, die Joe Biden besetzt, wobei diese Einschätzung vor allem aus der europäischen Brille resultiert. Das liegt unter anderem daran, dass das Thema Klimawandel bei uns für viele eine höhere Bedeutung hat als dies in den USA der Fall zu sein scheint.
Joe Biden plant eine Anhebung der Körperschaftssteuer von 21 Prozent auf 28 Prozent. Donald Trump strebt weitere Steuersenkungen an. Nach dem Wahlsieg von Trump 2016 und den damaligen Steuersenkungen kletterten die Börsen auf Höchststände. Ist ein erneuter Wahlsieg von Trump die Hoffnung vieler Börsianer?
Ursprünglich war es tatsächlich so, dass aus Sicht der Börse ein Wahlsieg Trumps wohl positiver gesehen worden wäre. Das liegt daran, dass er eine im Prinzip sehr wirtschaftsfreundliche Politik betreibt, die den Fokus auf Steuersenkungen und Deregulierung legt. Allerdings hat sich Trump in der Vergangenheit oft auch als unberechenbarer Politiker erwiesen, dessen Entscheidungen beispielsweise in Bezug zu China oder zu bestimmten Unternehmen (Amazon) für Verstimmung gesorgt haben. Bei seiner Wiederwahl wäre zu befürchten, dass er seine handelspolitische Agenda noch rücksichtsloser als zuvor durchzusetzen versucht, da er ohnehin nicht ein drittes Mal wiedergewählt werden könnte. Deswegen wäre seine Wiederwahl aus Kapitalmarktsicht nicht uneingeschränkt positiv zu bewerten.
Dagegen wurde Biden zunächst kritischer gesehen als es heute der Fall ist. Höhere Steuern und mehr Regulierung werden von den Börsianern grundsätzlich wenig gemocht. Sie führen zu weniger Wachstum und geringeren Unternehmensgewinnen. Andererseits verspricht Biden eine großzügige Fiskalpolitik, die positive Wachstumsimpulse mit sich bringt. Und wer in die Vergangenheit schaut, der stellt fest, dass demokratische Präsidenten für die US-Börse grundsätzlich positivere Ergebnisse gebracht haben als republikanische. Bei den heftigsten Crashs waren immer Republikaner an der Macht: 1972: Nixon, 1987: Reagan, 2001: G.W. Bush, 2008: G.W. Bush, 2020: Trump. Wenn man den Golfkrieg 1990 mit dazu nimmt, dann ist der Hattrick der Bushs sogar komplett! Damals war Bush Senior Präsident. Und wer war beim Schwarzen Freitag 1929 im Amt? Herbert Hoover, auch ein Republikaner.
In den Verhandlungen über neue Corona-Hilfen wurde ein Paket mit einem Volumen von mehr als 1,5 Billionen Dollar vorgeschlagen. Die Demokraten fordern ein größeres Paket mit einem Umfang von 2,2 Billionen Dollar. Wie dürften die Verhandlungen weitergehen?
Im Moment liegt ein neues Angebot der Republikaner über 1,8 Billionen US-Dollar vor. Ob es aber noch vor der Wahl zu einer Einigung kommen wird, ist mehr als ungewiss. Dies könnte von daher eine erste Amtshandlung des neuen US-Präsidenten werden.
Präsident Trump sät Zweifel an der Briefwahl. Es droht eine wochenlange Unsicherheit, bis das finale Ergebnis feststeht. Börsianer fürchten nichts mehr als Unsicherheit. Droht hier also eine wochenlange Talfahrt an den Börsen?
In der Tat wäre dies das Worst-Case-Szenario, da die Börse keine Unsicherheit mag. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist aber aufgrund des Vorsprungs von Biden in den Umfragen gesunken.