In der Woche vor Ostern sollte eigentlich vor dem Landgericht Wiesbaden der Prozess gegen Hanno Berger, den in den Medien immer wieder als "Erfinder" des Cum-Ex-Kapitalertragsteuer-Erstattungsmodells bezeichneten früheren Finanzbeamten und Staranwalt, beginnen. Doch Berger, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, erschien nicht. So rücken wieder andere in dieser Sache ins Visier der Strafverfolger geratene Beteiligte in den Mittelpunkt der Berichterstattung - oder auch nicht. Denn nach wie vor verblüffend ist, dass die Feststellung des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags, dass die Bundesfinanzminister von Lafontaine bis Steinbrück und Schäuble in Sachen Cum-Ex gesetzgeberisch versagt haben, kaum Erwähnung findet, geschweige denn Konsequenzen nach sich zöge.
In Tageszeitungen, in der "ARD" und zuletzt im "Spiegel" wurde und wird dagegen immer wieder die Hamburger Privatbank M.M.Warburg & CO der millionenfachen Steuerhinterziehung bezichtigt. Um die soll es im Folgenden gehen; denn Tatsache ist, dass der Privatbank mit über 200jähriger jüdischer Familientradition auch fünf Jahre nach der ersten Durchsuchung seitens der Staatsanwaltschaft Köln keine einzige steuerliche Verfehlung in Sachen Cum-Ex gerichtlich nachgewiesen wurde. Der aktuelle Cum-Ex-Skandal weist inzwischen bedrückende Parallelen mit dem Julius-Barmat-Skandal der 1920er-Jahre auf, mit dessen Hilfe dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) und führenden Politikern der Weimarer Republik der Mantel der Korruption umgehängt wurde.
Die Regisseure der Cum-Ex-Schmutzkampagne gegen Warburg & CO haben dabei ab Herbst 2020 ihre Taktik geändert. Getreu dem Prinzip "semper aliquid haeret" (irgendetwas bleibt immer hängen) haben sie alle Scheinwerfer öffentlicher Unterstellungen auf eine leibhaftige Person gerichtet, den 79-jährigen Christian Olearius. Er führte die Warburg-Bank von 1986 bis 2015 und wurde über die Jahre Miteigentümer. Ein Teil der Kampagne gegen Olearius gründet auf Ausschnitten seiner persönlichen Tagebücher. Die hatten bei der ersten Durchsuchung der Warburg Bank am 16. Januar 2016 durch Staatsanwälte und Steuerfahnder noch niemanden interessiert, waren aber bei der zweiten Durchsuchung im Sommer 2018, bei der nicht nur die Privathäuser, Privatbibliotheken von Max Warburg und Christian Olearius, sondern sogar ein Schafstall in der Uckermark durchkämmt wurden, beschlagnahmt worden.
Man hätte vermuten können, dass die privaten Olearius-Tagebücher nur bei Bedarf den Ermittlern vorgelegt würden. Weit gefehlt. Eine Gruppe von Redakteuren, welche seit Jahren die Wochenzeitung "Die Zeit", die "Süddeutsche Zeitung", verschiedene andere Periodika und das TV-Magazin "Panorama" mit ihren Beiträgen über vermeintliche Cum-Ex-Verstöße der Warburg Bank beglückt, verfügt seit eben jener Durchsuchung über Fotokopien und zitiert daraus aus dem Zusammenhang gerissene Bruchstücke.
Doch Olearius ließ und lässt sich durch das mediale Trommelfeuer nicht beirren. Er stammt aus einer der ältesten Dynastien protestantischer Pfarrer und Bischöfe. In seiner Familie ist nicht der pralle Bonus-Geldsack, sondern der aufrechte Gang Lebensmaxime. In der Hamburger Wirtschaft, wo jede Cum-Ex-Zeile gegen das Traditionsinstitut höchst aufmerksam registriert wird, hat sich längst die Auffassung durchgesetzt, dass es sich bei "Cum-Ex" um eine Kampagne gegen Warburg und den Standort Hamburg handelt.
Der 26. November 2020 eröffnete einen neuen Akt im medialen Schauprozess. An diesem Tag veröffentlichte das selbst ernannte Cum-Ex-Investigativ-Team der "Zeit" einen ganzseitigen Artikel ("Welche Geschäfte darf ein ehrbarer Kaufmann machen"). Unter ständiger Berufung auf ein Olearius-Tagebuch wird dem Leser nahegelegt, der Bankier habe sich als Vorsitzender des Stiftungsrats der Hamburger "Joachim Herz Stiftung" bereichert. Viele der Entscheidungen der Stiftung in den vergangenen Jahren hätten vor allem einem genutzt: Christian Olearius.
Zeugen des angeblich unethischen, potenziell kriminellen Handelns blieben allerdings ungenannt. Auf jeden Fall dürften sie die Lebensgeschichte des Milliarden-Stifters Joachim Herz (1941-2008) nicht kennen, ebenso wenig wie die Geschichte der Tchibo-Herz-Familie. Als bewunderter Kaffee-Importeur und -Vermarkter über seine selbst geschaffene Tchibo-Filialkette war Max Herz (1905-1965) schon Anfang der 1950er-Jahre Kunde der Warburg Bank geworden. 1974 hatte die Warburg Bank der Familie Herz zudem ihr Beteiligungspaket am Kosmetikproduzenten Beiersdorf AG verkauft.
Als das kinderlose Ehepaar Petra und Joachim Herz Ende der 1990er den Entschluss fasste, ihr Milliardenvermögen in eine gemeinnützige Stiftung einzubringen, stand außer Frage, auf die Unterstützung der Warburg Bank zu bauen. Hier nun kam Christian Olearius ins Spiel. Seit dem Mittelalter sind in Hamburg gemeinnützige Stiftungen Bestandteil bürgerlichen Lebens. Mit mehr als 78 Stiftungen auf 100.000 Einwohner befindet sich die Hansestadt nach wie vor an der Spitze des deutschen Stiftungswesens.
Joachim Herz hatte schon 1965 am Bett seines todkranken Vaters mit ihm unterschiedliche Stiftungsvarianten erörtert. Wichtigstes Ziel seiner eigenen Stiftung, so formulierte es Joachim Herz 30 Jahre später, solle es sein, (etwa bildungsfernen) Männern und Frauen die Möglichkeit zu eröffnen, in Ruhe zu lernen, sich fortzubilden, vielleicht sogar Mathematik oder Naturwissenschaften zu studieren. Ihm selbst war dies ja verwehrt geblieben.
Das zu schaffende Stiftungsfundament sollte aus Immobilien (international) und jederzeit handelbaren Wertpapieren geformt werden. Gemäß dieser Vorgabe wurde begonnen, ein kleines Family Office aufzubauen. Hyperkritisch, wie er war, sagte Joachim Herz kurz vor seinem Unfalltod: "Hier gibt’s zu wenig Marktwirtschaft. Deutschland schafft sich ab." Er trug sich sogar ernsthaft mit dem Gedanken, sein Family Office von Hamburg nach Irland, Österreich oder Luxemburg zu verlegen.
Woraus Olearius heute ein Strick gedreht werden soll, sind einzelne Investments der Stiftung. Investiert wurde ab 2016 zum Beispiel in 15 Prozent der Aktien des weltweit tätigen Logistik-Riesen VTG. Olearius, der von 2006 bis 2018 als Aufsichtsrat der VTG tätig war, hatte die JH-Stiftung auf die Chance aufmerksam gemacht, sich nennenswert an der VTG zu beteiligen. Die "Zeit" konstruierte daraus eine Interessenkollision. Dabei sicherte sich die Stiftung - ganz im Sinne von Joachim Herz - mit dem VTG-Investment dauerhaft beste Renditen. Allein der Kursgewinn des Aktienpakets beläuft sich inzwischen auf gut 100 Millionen Euro.
Inzwischen hat das Landgericht Hamburg die "Zeit" bei Androhung von 250.000 Euro Strafzahlung mit einer Unterlassung von zehn Textbehauptungen belegt. Olearius müsse darauf vertrauen dürfen - so die Richter - dass die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols nicht dazu führe, dass Informationen aus beschlagnahmten, privaten Tagebüchern in die Öffentlichkeit gelangten. "Im Übrigen erscheint es nicht ungewöhnlich, dass jemand mit einer derart herausgehobenen Position … als Netzwerker, wie der Artikel ihn bezeichnet, auftritt."
Wie im medialen Kesseltreiben gegen Olearius nicht anders zu erwarten, reagierte die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Die Grünen) als Echokammer: Prompt nach Erscheinen des "Zeit"-Artikels schickte das "Referat für Stiftungsangelegenheiten" einen 45-Fragen-Katalog an die Joachim Herz Stiftung: Seien bei Ver- und Ankauf der Unternehmensbeteiligungen etwaige Interessenkonflikte geprüft worden? Sei der Kaufpreis von neutraler Seite geprüft? Gäbe es Verstöße gegen den Governance-Kodex? Der Vorgang bewahrheitete die schlimmsten Befürchtungen des Stifters Joachim Herz: "Wenn sich deutsche Politiker und Bürokraten einmischen, wird der kaufmännische Erfolg und meine persönliche Idee für die Stiftung zunichte gemacht."
Die Bafin und SPD-Politiker haben bei der Aufsicht versagt
Wozu wird der bislang privat zurückgezogen lebende Olearius dem deutschen Publikum plötzlich als geldgeiler "Wolf of Wall Street" präsentiert? Die Antwort darauf ist überraschend. Dieser zweite Akt der medialen Inszenierung gegen Olearius hilft der Führung der Bonner Bafin. Angesichts des Totalversagens der Behörde in der Zwei-Milliarden-Betrugsaffäre Wirecard steht zu vermuten, dass dem deutschen Wahlvolk und den Abgeordneten des Bundestags suggeriert werden soll, die Bafin und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hätten im Fall Warburg & Co schnell, kompetent und richtig gehandelt.
Dem Beobachter des medialen Schauprozesses gegen Olearius und die Warburg Bank stellen sich vier Fragen:
1. Wo ist in dem Artikelwust des "Investigativteams" des Längeren von der deutschen Depotbank und ihrer gesetzlichen Pflicht zur Abführung der Kapitalertragssteuer die Rede?
2. Kann es sein, dass die Kölner Staatsanwaltschaft diskret vom NRW-Justizministerium den Hinweis erhielt, keinesfalls die Rolle der Depotbank bei Cum-Ex-Geschäften vordringlich zu untersuchen?
3. Kann es sein, dass die durch Wirecard weltweit belächelte Bafin die Warburg Bank gerade deshalb exemplarisch kujoniert, weil es ihr und Spitzenbeamten im Bundesfinanzministerium politisch unbedenklich erschien, unter all den 141 Banken, Landesbanken und Sparkassen, die Cum-Ex-Geschäfte betrieben haben, das eigentümergeführte Institut öffentlich vorzuführen?
4. Lenkt das Bundesfinanzministerium gezielt davon ab, dass der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans in seiner Amtszeit als NRW-Finanzminister und Aufsichtsrat der nordrhein-westfälischen Landesbank (WestLB) Cum-Ex-Geschäfte der WestLB in Höhe von 20 Milliarden Euro billigte?
Aufgrund ihrer Befugnisse hätte die Führung der Bafin die Cum-Ex-Transaktionen zumindest beanstanden können. Wäre dies geschehen, so begründet die Warburg Bank ihre Schadenersatzklage gegen die Bafin, hätte sie kein einziges solches Geschäft getätigt. Seit der Verabschiedung des Jahressteuergesetzes 2007 konnten die Warburg-Aktienhändler davon ausgehen, dass die Deutsche Bank als inländische Depotbank den Abzug der Kapitalertragsteuer gesetzestreu tätigt.
Vor dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuss bekannte Rolf Möhlenbrock, der Leiter der Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium, dass die möglicherweise steuerstrafrechtliche Relevanz ihm "das erste Mal im Jahre 2009 so richtig bewusst geworden" sei. Bezeichnenderweise ist diese wichtige Aussage nur im Sondervotum der Grünen zum Cum-Ex-Untersuchungsausschuss nachzulesen. Die Abgeordneten von Union und SPD ließen die Aussage in ihrem Abschlussbericht unter den Tisch fallen, damit das Versagen der sozialdemokratischen Finanzminister nicht offensichtlich wurde.
Im medialen Tribunal gegen Olearius ist davon aber keine Rede. Denn das passt nicht in die Inszenierung des medialen Schauprozesses.