Rege Betriebsamkeit herrscht derzeit in den Vorstandsetagen der deutschen Großkonzerne. Während die Banken gerade versuchen, sich mit unterschiedlichen Frischzellenkuren zu reformieren, steuern die Autobauer auf einen Neuanfang zu, und die Energieversorger suchen ihr Heil in einem Schulterschluss. Der plötzliche Fleiß kommt nicht von ungefähr. Globale Handelsstreitigkeiten, neue Technologien sowie ein verschärfter Wettbewerb zwingen die Konzernchefs zum Handeln.

Der Druck kommt aber auch von der deutschen Wirtschaft selbst, die derzeit irgendwo zwischen einem Magerwachstum und einer Rezession feststeckt. Im zweiten Quartal reduzierte sich das BIP bereits um 0,1 Prozent. Schuld war vor allem der schwache Außenhandel, auf den rund 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entfallen. Sollte es auch in der im September endenden Periode zu einem Rückgang gekommen sein, würde das einer sogenannten technischen Rezession entsprechen. "Die Geschäftsentwicklung ist durch ein zunehmend schwieriges Markt­umfeld belastet", bringt Henkel-Chef Hans Van Bylen die Lage auf den Punkt.

Da bei den Frühindikatoren eine Trendwende aber in weiter Ferne scheint, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Wirtschaft im dritten Quartal erneut geschrumpft ist, hoch. So tauchte der Einkaufsmanager­index im September unter die Wachstumsschwelle von 50 Punkten ab. Und auch vom Ifo-Index kommt keine Entwarnung. Zwar konnte dieser seinen Abwärtstrend nach fünf Rückgängen in Folge stoppen, doch von einem Stimmungsumschwung kann keine Rede sein. Der Geschäftsklimaindex legte minimal um 0,3 auf 94,6 Punkte zu.

"Für das dritte Quartal deutet sich zum zweiten Mal in Folge ein Rückgang des Bruttoinlandsproduktes an", interpretiert Ifo-Experte Klaus Wohlrabe die neuesten Ergebnisse. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier möchte von einem Abschwung allerdings nichts wissen. Der Politiker glaubt freilich auch, dass die konjunkturellen Wachstumskräfte nachgelassen haben: "Aber wir sind nicht in einer Rezession."

Heikle Umstände


Ein Blick auf die aktuelle Situation zeigt jedoch klar, dass die Risiken überwiegen. Der ungelöste Brexit, die angespannte Situation im Nahen Osten und auch die Umstellung auf das E-Auto setzen die hiesigen Konzerne unter Druck. Oben drauf kommt der fortwährende Handelskonflikt zwischen den USA und China, bei dem sich Deutschland in einer Art Sandwichposition befindet. "Während die USA unser wichtigster Exportpartner sind, ist China unser wichtigster Handelspartner, wenn man die Im- und Exporte zusammenrechnet", erläutern die M.M. Warburg-­Volkswirte. Siemens-Chef Joe Kaeser warnt vor einem ausufernden Konflikt der beiden Großmächte: "Eine Teilung der Weltwirtschaft in zwei Lager würde uns um Jahrzehnte zurückwerfen."

Sollte Europas größte Volkswirtschaft tatsächlich erstmals seit dem Jahreswechsel 2012/13 in eine Rezession rutschen, würde dies nicht ohne Auswirkungen auf die Unternehmensergebnisse bleiben. Dass die Analysten bereits Vorsicht walten lassen, zeigen die jüngsten Gewinnrevisionen für den DAX. Laut Daten von Factset hat der Durchschnitt der Experten in den vergangenen drei Monaten die Ergebnisschätzungen für 2019 um 8,3 Prozent gesenkt, die für 2020 um 5,6 Prozent. Die höchsten Abwärtsrevisionen für dieses Jahr verzeichneten Daimler und die Deutsche Bank. Bei dem Finanzinstitut ist das allerdings wenig überraschend, fallen durch den jüngst beschlossenen Konzern­umbau kurzfristig hohe Kosten an. Bei Daimler ist das Problem wiederum erkannt worden: "Wir müssen die Effizienz dramatisch erhöhen", peitscht Konzernlenker Ola Källenius seine Belegschaft an.

Es gab zuletzt aber auch Aufwärtsrevisionen. Hier stechen Munich Re und RWE mit jeweils einem Anstieg der Schätzungen von rund sechs Prozent hervor. Insgesamt errechnet sich aktuell ein Gewinnplus für den DAX von mageren 2,7 Prozent im laufenden und immer noch stolzen 14,3 Prozent für das kommende Jahr.

Unterschiedliche Wachstumsaussichten


Eine detaillierte Analyse zeigt, dass die Erwartungen bei den einzelnen Unternehmen weit auseinanderdriften. Laut unserer Datenbank haben ganze zehn DAX-Mitglieder das Potenzial, 2019 prozentual zweistellig zuzulegen. Dass das Wachstum dann insgesamt trotzdem so gering ausfällt, liegt vor allem daran, dass bei 14 Konzernen mit einem Rückgang der Ergebnisse gerechnet wird. Die rote Laterne trägt Covestro, dessen Gewinn den Prognosen zufolge um zwei Drittel einzubrechen droht. Rote Zahlen wird mit der Deutschen Bank voraussichtlich nur ein DAX-Titel in diesem Jahr schreiben. Deutlich besser sieht die Faktenlage 2020 aus, dann soll ein Drittel der 30 Bluechips mindestens zweistellig wachsen.

Trotz der guten Perspektiven für 2020 befinden sich die Kurs-Gewinn-Verhältnisse zum Teil noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Bei sieben Titeln ist die Kennziffer sogar einstellig. Den niedrigsten Wert weist Lufthansa mit 4,2 aus. Doch ist diese optisch günstige Kennziffer mit Vorsicht zu genießen. Wir weisen stets darauf hin, dass das KGV allein meist nur eine geringe Aussagekraft hat, es bedarf immer eines genauen Blicks hinter die Kulissen. Im Fall der Airline fällt dieser nicht überzeugend aus. Bei dem Unternehmen wird dieses Jahr mit einem dicken Gewinneinbruch gerechnet. Wenig vielversprechend ist auch das gesamte DAX-KGV: Mit 13,2 liegt es deutlich über dem Zehnjahresdurchschnitt von 11,9.

Pattsituation im Leitindex


Was ist also vom DAX im Rest des Jahres noch zu erwarten? Wir gehen davon aus, dass sich Chancen und Risiken in etwa die Waage halten werden. Auf der Bärenseite stehen die Wahlen in Argentinien, ein unkontrollierter Brexit sowie mögliche US-Zölle auf Autos. Für eine freundliche Stimmung könnten dagegen die anstehende Quartalssaison sowie die Notenbanksitzungen der EZB und der Fed im Oktober und Dezember sorgen. Es mehren sich allerdings die Stimmen, die Währungshüter stießen mit ihrer Geldpolitik allmählich an ihre Grenzen. "Die Zentralbanken haben kaum noch Mittel, um eine echte Wirtschaftskrise wirkungsvoll abzudämpfen", warnt Christian Sewing, CEO der Deutschen Bank. Daher hoffen immer mehr Volkswirte und Unternehmenschefs auf einen fiskalpolitischen Stimulus. Beispielsweise fordert BASF-Vorstand Martin Brudermüller eine neue Agenda 2010 von der Bundesregierung.

Die Chancen, dass der Deutsche Aktienindex bis Silvester noch den Turbo zünden wird, sind also eher mau. Der Analystenkonsens sieht das Leitbarometer am Jahresende im Bereich des aktuellen Niveaus. Wer sich nun auf ruhige Monate einstellt, könnte irren. Die Experten der Commerzbank gehen nämlich davon aus, dass sich der DAX in den kommenden Monaten in einer breiten Handelsspanne von 11 600 bis 12 800 Punkten bewegen wird.

Auch wenn es kurzfristig also etwas stürmisch an den Börsen werden könnte, angesichts des Tiefzinsumfeldes führt weiterhin kein Weg an Aktien vorbei. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Dividenden. Mit 3,4 Prozent liegt die durchschnittliche Rendite der heimischen Bluechips rund 270 Basispunkte über den Renditen von "BBB"-Unternehmensanleihen. Titel wie die Allianz, Daimler oder auch die Deutsche Telekom bringen es sogar auf Dividendenrenditen jenseits der vier Prozent. Da es also an der Attraktivität der Aktie an sich nichts zu rütteln gibt, stellen wir Ihnen nachfolgend unsere Top-Favoriten vor.

Auf einen Blick: DAX-Analyse


Die Gewinnerwartungen sind zuletzt rapide gefallen. Sollte es zu keinem Umschwung kommen, könnte sich das KGV in Richtung Zehnjahresdurchschnitt bewegen. Bei einem Wert von zwölf würde dies einem DAX-Stand von rund 11 700 Punkten entsprechen.




Adidas: Mega-Events lassen die Kassen klingeln

Hand in Hand marschieren bei Adidas Aktienkurs und operatives Geschäft empor. Auf Sicht von fünf Jahren hat sich der Gewinn beim Sportartikelriesen mehr als verdreifacht, die Aktie sogar nahezu verfünffacht. Geht es nach den Prognosen der Analysten, stehen den Herzogenaurachern noch weitere gute Jahre ins Haus. Für 2019 rechnet der Konsens mit einem Ergebnisanstieg von knapp 17 Prozent, 2020 sollen es immerhin noch zwölf Prozent sein. Dass man sich trotz der weltweit eingetrübten Konjunkturaussichten keine Sorgen um die Branche machen muss, zeigen die aktuellen Nike-Zahlen. Der US-Konkurrent steigerte Gewinn und Umsatz im jüngsten Geschäftsquartal überraschend kräftig und liefert damit eine gute Vorlage für die anstehenden Adidas-Resultate, die am 6. November präsentiert werden. Adidas sollte aber nicht nur im abgelaufenen Quartal überzeugt haben, die Kassen werden auch weiterhin klingeln. Die Firma steht nämlich vor einem Jahr der sportlichen Superlative. Im Juni 2020 startet die Fußball-­EM, einen Monat später beginnen die Olympischen Sommerspiele. Zwei Ereignisse, die der Marke mit den drei Streifen weiter auf die Sprünge helfen sollten.



Merck: Durchwegs positive Wachstumsaussichten

Bereits bei unserem DAX-Check Anfang des Jahres zählte die Merck-Aktie zu den Favoriten. Der Titel legte seither 13 Prozent zu. Die Klettertour sollte sich weiter fortsetzen. Den Grundstein dafür legen neue Medikamente. So darf sich der Pharma- und Spezialchemiekonzern derzeit Hoffnungen auf eine Zulassung seines Krebsmittels Bavencio für eine weitere Anwendung machen. Die europäische Arzneimittelagentur gab eine positive Empfehlung für die Erstbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkrebs. Des Weiteren stellte Merck auf der jüngsten ESMO-Jahrestagung in Barcelona neue Forschungsergebnisse aus der Frühphasen-Pipeline vor, unter an­derem die aussichtsreiche Prüftherapie Tepotinib. Aber nicht nur im Healthcare- Geschäft läuft es rund, auch die anderen beiden Bereiche Life Science und Materials entwickeln sich positiv. Um weiter zu wachsen, setzt Merck auch auf Zukäufe. Dieses Jahr kam es bereits zu zwei großen Deals: die Übernahme des US-Halbleiterzulieferers Versum sowie der auf fortschrittliche Materialien spezialisierten Intermolecular. Durch diese Transaktionen profitiert Merck vom nachhaltigen Wachstumstrend bei Elektronikmaterialien.



Munich Re: Höhere Prämien, höhere Aktienkurse

Gute Nachrichten bringen die Rückversicherer aus ihrem jüngsten Branchentreffen in Monte Carlo mit. Die Branche diskutierte an der französischen Riviera nicht nur die aktuelle Lage, auch wurden mit den Kunden die Konditionen für das ­kommende Jahr verhandelt. Munich Re zeigt sich bezüglich der Preise für den Versicherungsschutz zuversichtlich. Vorstand Torsten Jeworrek erwartet eine weitere Stabilisierung sowie auch Erhöhungen. Insgesamt dürften die Rückversicherungsprämien um zwei Prozent steigen. Das sind gute Nachrichten für die Münchner, denn im notorischen Tiefzinsumfeld ist es für den Konzern schwer geworden, mit Finanzanlagen Geld zu verdienen. Dass Munich Re allerdings trotz der schwierigen Rahmenbedingungen einen guten Job macht, zeigte sich nicht zuletzt im zweiten Quartal. In der Periode von April bis Juni erzielte das Unternehmen den höchsten Quartalsgewinn seit vier Jahren. Es sind aber nicht nur die steigenden Profite, welche die Aktie interessant machen. Auch wirft der DAX-Titel eine satte Dividendenrendite von mehr als vier Prozent ab. Hinzu kommt ein milliardenschwerer Aktienrückkauf. Der Kurs ist soeben nach oben ausgebrochen.

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