"Die Märkte sind erpicht darauf zu erfahren, ob höhere Zinsen in einem inflationsarmen und von hohen Schulden geprägten Umfeld notwendig oder überhaupt möglich sind", sagte Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. Sein Kollege Dirk Gojny von der Essener National-Bank warnte aber vor überzogenen Erwartungen: "Die führenden Notenbanker werden es vermeiden, Signale an die Kapitalmärkte zu senden, die diese falsch interpretieren können." Vor den Entscheidungen zum Abbau der billionenschweren Wertpapierbestände der US-Notenbank Fed und zur Drosselung der Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank seien keine neuen Informationen zu erwarten.
Damit werde der Auftritt des EZB-Chefs Mario Draghi in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming zum Drahtseilakt, betonte Commerzbank-Analystin Esther Reichelt. Zwar wolle er offenbar das sogenannte Tapering bei dem Notenbanker-Treffen noch nicht ankündigen. "Deutlich davon distanzieren kann er sich aber auch nicht." Eine ähnliche Gratwanderung seien Äußerungen zur Währungsentwicklung. "Auch wenn Draghi nicht den Anschein einer verbalen Intervention gegen die Euro-Stärke liefern möchte, sonderlich unbekümmert darf er sich auch nicht geben." Am Dienstag verbilligte sich die Gemeinschaftswährung zwar um einen halben US-Cent auf 1,1759 Dollar, notierte damit aber immer noch rund zwölf Prozent über dem Niveau vom Jahreswechsel.
Am Rohstoffmarkt ging die Rally der Metallpreise dank der Spekulationen auf einen anhaltenden Bauboom in China weiter. Kupfer war mit 6642,50 Dollar je Tonne zeitweise so teuer wie zuletzt vor drei Jahren. Das zur Stahl-Herstellung verwendete Zink notierte mit 3164 Dollar nur etwa 15 Dollar unter seinem Zehn-Jahres-Hoch vom Montag. Vor diesem Hintergrund stiegen die Aktien von Antofagasta in London auf ein Viereinhalb-Jahres-Hoch von 1007 Pence. Dank des gestiegenen Kupferpreises steigerte der Bergbaukonzern seinen operativen Halbjahresgewinn um fast 90 Prozent. Ein Gewinnsprung und der geplante Verkauf schwächelnder Geschäftsteile hievten die Titel des Konkurrenten BHP Billiton auf ein Sechs-Monats-Hoch von 1416 Pence.
ÜBERNAHMEFANTASIE UM FIAT SCHWINDET - PROVIDENT STÜRZEN AB
Im Rampenlicht stand erneut Fiat Chrysler. Great Wall Motor betonte, wegen einer möglichen Übernahme bislang nicht auf den italienisch-amerikanischen Autobauer zugegangen zu sein. Am Montag hatte der chinesische Konzern Interesse signalisiert. Fiat-Titel, die zur Eröffnung des Mailänder Börsenhandels auf ein 19-1/2-Jahres-Hoch von 11,90 Euro geklettert waren, notierten am frühen Nachmittag 1,3 Prozent im Minus bei 11,29 Euro.
Provident Financial brachen an der Londoner Börse sogar um bis zu 75 Prozent ein - so stark wie noch nie. Der auf Kunden mit geringer Bonität ("Subprime") spezialisierte Immobilienfinanzierer schraubte zum zweiten Mal binnen weniger Wochen seine Ziele herunter. "Das ist zweifellos ein Desaster für das Unternehmen und das Management, das wir bislang sehr hoch geachtet haben", urteilten die Analysten des Brokerhauses Shore Capital.
rtr