Kein Wunder, dass sich der bald höchste Stand der DAX-Geschichte etwas falsch anfühlt. Schließlich sinken die Gewinne der DAX-Unternehmen seit gut drei Jahren.
Ohne den Erfolgsgaranten im Index (SAP, Allianz, Adidas oder Siemens), die die Kursverluste der "Minderleister" überkompensieren konnten, nahetreten zu wollen: Tatsächlich ist ein wesentlicher Teil des DAX-Aufschwungs nicht mit der "Sexyness" der Indexunternehmen zu begründen, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass der DAX ein "Total Return"-Index ist.
Hinzu kommt, dass Aktienanlagen, im Gegensatz zu Anleihen, immer noch einen signifikanten Ertrag abwerfen. Gut sieben Prozent beträgt die Gewinnrendite der DAX-Unternehmen, gemessen an der Relation von Nettogewinnen zu Kursen. Diese Gewinne stehen den Anteilseignern zu. Vier Prozentpunkte werden von den Unternehmen in das eigene Geschäft reinvestiert, der Rest landet in Form von Dividendenzahlungen als Einnahme auf dem Konto der Anleger. Bei einer Anlage in deutsche Bundesanleihen hingegen müssen Anleger derzeit jedes Jahr 20 Euro drauflegen, wenn zuvor 1.000 Euro investiert wurden. Aktien bleiben in der langfristigen Vermögenanlage (Kursschwankungen müssen selbstverständlich ausgehalten werden) attraktiv gegenüber anderen Anlageklassen, trotz bereits erzielter guter Kursgewinne.
Auch 2020 wurden bereits im Januar des neuen Jahres unsere Jahresendprognosen für DAX und Euro Stoxx 50 frühzeitig überschritten. Dies kann schnell geschehen, denn unserer Prognose lag bei erstmaliger Veröffentlichung im Oktober 2019 ein Anstiegspotenzial von lediglich fünf Prozent zugrunde. Wenn der DAX einige Monate deutlich stärker steigt als im historischen Durchschnitt, wird eine Indexprognose schnell zu Makulatur. Auch wenn sich Anleger in der Regel nur selten bei uns beschweren, wenn sie mehr verdient haben als prognostiziert.
Der heimische Aktienmarkt ist im historischen Vergleich 19 Prozent zu teuer, was in den vergangenen 20 Jahren nur während zwei weiterer Zeitperioden vorkam.
Zahlreiche Studien und der "Track Record" erfolgreicher Anleger haben gezeigt, dass erfolgreiches Timing am Aktienmarkt für die meisten Investoren nicht umsetzbar ist. Es ist daher meist besser, seine Anlagestrategie an der Bewertungshöhe von Aktien auszurichten oder mit monatlichen Sparraten kontinuierlich einzukaufen. Wendet man das Bewertungskonzept auf die Aktienmärkte an, so sind diese heute im historischen Kontext überbewertet.
Dies gilt insbesondere für die USA: Die Bewertung des S&P 500 liegt auf KGV-Basis 22% über dem historischen Mittelwert, beim KBV-Verhältnis sind es 46%. Nur während der dotcom-Blase war der US-Markt teurer als heute. Es macht keinen Sinn, am Aktienmarkt "all-in" zu gehen, nur um der Zinsdepression bei Anleihen zu entgehen.
Weil neben der Bewertung auch die Marktstimmung sehr positiv ist, tun Anleger gut daran, die kurzfristigen Erwartungen an die Aktienmarkterträge herunterzuschrauben.
Stefan Bielmeier ist Chefvolkswirt der DZ-Bank.
Stefan Bielmeier ist Chefvolkswirt der DZ-Bank.