Europas wertvollstes Unternehmen hat seinen Zenit noch nicht erreicht. Der Softwarekonzern SAP wird weitgehend unabhängig von der Konjunktur wachsen können. Dazu gibt es noch das Potenzial von KI.

Am Anfang steht manchmal eine schwierige Entscheidung. So weiter­ machen wie bisher und viel Geld verdienen, oder bestehende Strukturen aufbrechen, um langfristig zukunftsfähig zu sein? Christian Klein, seit 2019 Vor­standsvorsitzender bei SAP, hat sich für die zweite Variante entschieden. Das Geschäft wurde um den Kern, die Software S4/Hana, auf Kosten von Umsatz und Marge auf Mietmodelle und Cloud­Angebote aus­ gerichtet. Anders als bei klassischen Li­zenzgeschäften, bei denen der größte Teil nach Implementierung gezahlt wird, stre­cken sich die Einnahmen nun über Jahre, mit entsprechender Wirkung auf die Marge. Verdiente SAP 2011 noch rund 33 Prozent vom Umsatz, ging die Rentabilität bis 2022 auf 26 Prozent zurück.

Dann kam der Wendepunkt. Der Zu­wachs aus dem Mietgeschäft überdeckte den Rückgang bei den Lizenzen, die Firma wuchs wieder und auch die Gewinne zo­gen mit. Mittlerweile ist die Marge wieder bei über 30 Prozent gelandet. Die Wende bei Umsatz und Marge beflügelte auch die Aktie. Sie konnte in den vergangenen drei Jahren 200 Prozent zulegen. Mit dieser stattlichen Performance ist der Konzern mittlerweile sogar zum wertvollsten Un­ternehmen in Europa avanciert.

Allerdings gibt es noch einigen Ab­ stand zu den US-IT-Firmen. Der langjäh­rige Wettbewerber Oracle etwa ist an der Börse im Moment noch rund 80 Prozent mehr wert. Einiges spricht allerdings da­für, dass die Badener den Abstand ver­ringern könnten. Der wichtigste Punkt dabei ist eine Sonderkonjunktur, die sich in den kommenden drei Jahren beschleu­nigen sollte. „Es gibt eine hohe Visibilität in dem ökonomisch unsicheren Umfeld“, sagt Nay Soe Naing, Analyst bei der Invest­mentbank Berenberg.

Migration bringt Wachstum bis 2030

Die große Geschichte ist die Migration der Kunden auf die neue Lösung S4/Hana in der Cloud. Dazu gibt es einige wichtige Deadlines. Die klassischen ERP-Lizenzmo­delle werden nur noch bis Ende 2027 un­terstützt. Eine Erweiterung des Service ist bis 2030 zwar möglich, kostet die Kunden aber zehn Prozent mehr. 2030 allerdings endet der Support. Mit einer Ausnahme: Kunden, die bis 2030 ihre Umstellung be­auftragt haben, erhalten bis zum Ende des Prozesses noch eine Wartung ihrer Syste­me. Hat ein Kunde früher eine Version von S4/Hana als Lizenz erworben, reicht die Unterstützung bis 2045. Allerdings werden alle Neuentwicklungen der Soft­ware nur für die Cloud­-Version der Soft­ware verfügbar gemacht werden. „Wir glauben deshalb, dass die Mehrheit der Kunden am Ende bei den Cloud­-Angebo­ten des Konzerns landen werden“, sagen die Analysten von Kepler Cheuvreux.

Schon allein die Migration ist ein lukra­tives Geschäft. Die Erlöse, die sich erzie­len lassen, liegen mindestens um Faktor zwei über den Wartungskosten. Das wird die Umsatzentwicklung des Konzerns be­schleunigen. Analysten rechnen damit, dass SAP in den kommenden drei Jahren zweistellig wachsen kann. Zumindest bis 2027 dürfte die Hälfte des Zuwachses auf die Migration der Kunden zur neuen Cloud­Lösung zurückzuführen sein.

Aber auch mit Ende des Supports 2027 wird dieses Geschäft nicht wegbrechen. Wer die Entwicklung der Wartungserlöse von SAP betrachtet, kann extrapolieren, dass im Moment wohl ein Viertel der Kun­den gewechselt hat. Insgesamt hat der Konzern weltweit rund 30 000 Kunden, die die ERP-Software nutzen. Bis 2027 dürften vor allem kleinere, weniger kom­plexe Kunden dem folgen. Größeren lang­jährigen Kunden wird das kaum gelingen. Viele haben nämlich mehre Versionen von SAP-Software in den unterschiedlichsten Bereichen und Regionen im Betrieb. Die Umstellung wird Jahre dauern. Die Di­mension dieser Problematik ist schon da­ran zu erkennen, dass SAP gegenüber der ursprünglichen Planung die Unterstüt­zungsfristen verlängert hat, bei früherem Vertragsabschluss auch über 2030 hinaus. Das heißt aber auch, dass die Unterstüt­zung durch das Migrationsgeschäft, wenn auch mit abnehmender Stärke, anhalten wird, zumindest bis 2030.

KI als Zusatzturbo

Bis dahin können weitere Ertragsturbos gezündet werden. So hat der Konzern sei­ne Kosten deutlich gesenkt. Weitere Produktivitätsschritte kommen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Softwareentwicklung. Laut Management will man dort 20 Prozent sparen. Wenn der Löwenanteil der Kunden in der Cloud ist, gibt es auch Wachstums­chancen etwa über die Etablierung neuer Dienste, die leichter vertrieben und auf­gespielt werden können. Als Software­anbieter, der bei den meisten größten Unternehmen verankert ist, scheint SAP prädestiniert zu sein, im Vertrieb von Soft­ware für künstliche Intelligenz zu profitieren. Das Unternehmen hat eine eigene Plattform und will bis Jahresende mehr als 100 Nutzerfälle präsentieren. Spannend ist auch das SAP-Light­-Geschäft. Hier werden Kunden adressiert, die die Software bisher nicht haben oder früher hatten. Gerade in der Kombination von geringerer Komplexi­tät und leichterem Zugang über die Cloud könnte es SAP gelingen, sein Kundenspektrum am unteren Ende auszubauen.

Was heißt das für die Aktie? Die ist nach dem Anstieg nicht mehr sehr günstig zu haben. Allerdings dürften Umsatz­ und Gewinnmomentum erst einmal hoch bleiben. So schätzen etwa die Analysten von Warburg, dass SAP am 22. Juli gute Ergebnisse zum zweiten Quartal melden wird: ein Umsatzplus Richtung zehn Pro­zent, das operative Ergebnis 26,4 Prozent über Vorjahr. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Aktie Umsätzen und Erträ­gen weiter folgen wird. Und zünden die Wachstumsinitiativen, kann der Konzern deutlich mehr verdienen, als Analysten heute erwarten.

Hinweis: Der Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE (28/25), die Sie hier finden.

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