Die Ernüchterung zeigte sich am Donnerstag an der Börse: Die Aktie der größten deutschen Bank brach zeitweise um fast zehn Prozent auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren ein. Erste Analysten glauben wieder an eine Kapitalerhöhung. Die wäre beim aktuellen Kurs eine Mammutaufgabe. Etwas mehr als 16 Euro kostet das Papier noch. In den besten Zeiten - im Mai 2007 kurz vor der Finanzkrise - waren es 103 Euro. Seit Cryans Amtsantritt am 1. Juli büßte die Aktie 38 Prozent ein - weit mehr als der deutsche Leitindex Dax (minus 14 Prozent) und der europäische Bankenindex (minus 29 Prozent).
DAS ENDE DER SCHMERZEN?
Umgebaut wird bei der Deutschen Bank schon seit Jahren. 2014 stand aber immerhin noch ein Überschuss von 1,7 Milliarden Euro zu Buche. Cryans Vorgänger Anshu Jain hatte tiefe Einschnitte, etwa in seinem Stammgeschäft Investmentbanking, lange gescheut. Cryan handelte, stutzte zahlreiche Bereiche und stockte jetzt die Rückstellungen für Rechtsstreits um eine weitere Milliarde auf 5,2 Milliarden Euro auf. Selbst das wird nicht reichen, warnen Manager. Am meisten brennen den Frankfurtern weiter US-Hypothekenklagen unter den Nägeln. Für den geplanten Jobabbau, der alleine in Deutschland 4000 Stellen vornehmlich im Privatkundengeschäft kosten wird, legte Cryan eine weitere Milliarde zur Seite. In einem Mitarbeiterbrief warb er abermals um Vertrauen: "Die genannten Belastungen sind die Konsequenz aus den notwendigen Entscheidungen, die wir im Rahmen der Strategie 2020 getroffen haben." Am Ende werde die Bank einfacher und effizienter sein.
So mancher Branchenkenner war allerdings überrascht, wie viele Sonderlasten Cryan ins Schlussquartal 2015 packte, das deshalb ebenfalls einen Verlust auswies: unter dem Strich zwei Milliarden Euro. "Ist das jetzt der große Kehraus oder kommt da noch mehr? Ständiges Nachjustieren kostet Vertrauen", unkt Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment. Sie ist mit etwa 0,7 Prozent einer der Top-20-Aktionäre der Bank, hat ihren Anteil zuletzt aber reduziert.
Bislang verwies das Management darauf, ohne Berücksichtigung der Einmalposten stehe die Deutsche Bank recht gut da. Doch auch diese Rechnung scheint nicht mehr aufzugehen. Im vierten Quartal schrumpften die Erträge auf 6,6 (Vorjahr: 7,8) Milliarden Euro, was offenkundig der anhaltenden Flaute im Investmentbanking geschuldet ist. Dass vor allem der wichtige Anleihehandel nicht mehr läuft, hatte sich in dieser Woche beim Erzrivalen Goldman Sachs gezeigt. Details zum Geschäft der Deutschen Bank will Cryan Ende kommender Woche präsentieren. Die Aktionäre werden ungeduldig. "Man braucht Klarheit, wie es mit den Erträgen in den nächsten zwölf bis 18 Monaten weitergeht, gerade in diesem volatilen Marktumfeld", sagt Speich. Und ein Top-10-Investor mosert: "Wo sind mit den fallenden Erträgen die versprochenen sinkenden Kosten? Das sehe ich nicht."
Auf Seite 2: "NICHT DER OPPOSITIONSFÜHRER"
"NICHT DER OPPOSITIONSFÜHRER"
Intern gibt es inzwischen Stimmen, die warnen, Cryan müsse damit aufhören, die Bank, ihre Kultur und ihre in die Jahre gekommende IT schlecht zu reden - Klartext hin oder her. Denn das könne Kunden verprellen. "Man darf ja nicht vergessen: Cryan ist nicht der Oppositionsführer, sondern er ist Chef der Bank", heißt es inzwischen sogar aus dem Aufsichtsrat. Ein nachhaltiger Ertragseinbruch könne die einstige Vorzeigebank am Ende zu einem echten Sanierungsfall machen.
Schnelle Erfolge gibt es für Cryan derzeit nicht. Selbst der zeitnah ins Auge gefasste Börsengang der Postbank könnte sich wegen Steuerthemen ins nächste Jahr ziehen. Das sorgt bei der ungeliebten Tochter für schlechte Stimmung, denn viele hatten auf eine schnelle Eigenständigkeit gehofft, wie Stephan Szukalski berichtet, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft DBV: "Aus Mitarbeitersicht ist das eine Katastrophe - die Mitarbeiter so früh auf die Bäume zu treiben und dann passiert nichts."
Ein Wegbegleiter Cryans, der ihn aus früheren Tagen gut kennt, ist überzeugt, dass der Brite die Deutsche Bank wieder auf die Beine bringt. Allerdings: "Cryan ist ein akribischer Arbeiter, kein großer Leitwolf." Stärkere Zweifel äußert ein Großinvestor, der nicht genannt werden will: "Cryan ist der richtige Mann für die Restrukturierung der Bank. Ich habe aber Zweifel, ob er in zwei Jahren auch noch der richtige Mann ist, wenn sich das Institut wieder auf Wachstum fokussieren muss." Je nachdem wie die Aktionäre und der mächtige Aufsichtsratschef Paul Achleitner es sehen, könnte dann schon die Stunde für den heimlichen Kronprinzen gekommen sein: Finanzchef Marcus Schenck.
Reuters