Zudem wird die Mitgliedschaft in der obersten Börsenliga nach dem Wirecard-Skandal an strengere Voraussetzungen geknüpft. Die Deutsche Börse will mit den Änderungen die Qualität der Dax-Indizes erhöhen und diese an internationale Standards angleichen. Während die meisten Investoren die strengeren Kriterien begrüßten, ist die Vergrößerung des Dax umstritten.
"Ein breiterer Dax bedeutet auch mehr Streuung und damit mehr Stabilität", sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Fondsgesellschaft Deka. "In mehr als 30 Jahren hat sich der Kapitalmarkt weiterentwickelt. Daher ist eine Reform des Dax nur folgerichtig." Auch Union Investment begrüßte die Vergrößerung. "Mit dem Dax-40 verlieren die Indexschwergewichte etwas an Gewicht, was für einen aktiven Fondsmanager von Vorteil ist, da sonst eine Übergewichtung der größten Dax-Titeln sehr schwierig ist", sagte Fondsmanager Jürgen Hackenberg.
Dagegen kritisierte Kay Bommer, Geschäftsführer des Investor-Relations-Verbands DIRK, die Vergrößerung. "Schon heute sind unter den 30 Werten im Dax Unternehmen, die man im internationalen Vergleich nicht als Blue Chip bezeichnen würde", sagte er. "Da ist die Vergrößerung des Dax der falsche Weg." Seit der Einführung des Dax 1988 gehören ihm 30 Unternehmen an, die Leitindizes in anderen Ländern sind teilweise deutlich größer.
Der erst vor wenigen Jahren auf 60 Unternehmen erweiterte Nebenwerteindex MDax soll im Gegenzug wieder auf 50 Firmen schrumpfen, die größten MDax-Firmen steigen in den Dax auf. Zu den aussichtsreichsten Kandidaten zählen aktuell der Duft- und Aromenhersteller Symrise, der Online-Händler Zalando, der Laborausrüster Sartorius, das Biotechunternehmen Qiagen und die Immobilienfirma LEG Immobilien.
Die Dax-Reform führe zu einer "Verzwergung" des MDax, der 30 Prozent seiner Marktkapitalisierung verliere, kritisierte Bommer. "Damit endet die 25-jährige Erfolgsgeschichte des MDax, der die Stärke des deutschen Mittelstands widerspiegelt." Auch Marc Tüngler vom Aktionärsverband DSW moniert: "Letztendlich hat man den MDax zum Wohle des Dax geopfert." Der Bedeutungsverlust des MDax zeigt aus Sicht des Deutsche Aktieninstitut (DAI) ein grundsätzliches Problem in Deutschland. "Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, damit mehr Unternehmen in Deutschland an die Börse gehen", sagte Christine Bortenlänger, Geschäftsführende Vorständin des DAI.
KONSEQUENZEN AUS DEM WIRECARD-SKANDAL
Neben der Vergrößerung des Dax zieht die Deutsche Börse auch Konsequenzen aus dem Bilanzskandal um Wirecard. So werden Firmen künftig aus dem Dax, MDax, TecDax und SDax verbannt, wenn sie ihre Zahlenwerke nicht fristgerecht vorlegen - also drei Monate nach Geschäftsjahresende und 45 Tage nach Ablauf eines Quartals. Vorgeschrieben wird auch ein Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, der etwa die Rechnungslegung überwacht und Konsequenzen aus Regelverstößen zieht. Ein solches Gremium hatte der inzwischen insolvente Zahlungsabwickler Wirecard erst im vergangenen Jahr eingerichtet. Diese Änderungen gelten ab März 2021. Für bestehende Mitglieder gibt es beim Thema Prüfungsausschuss eine Übergangsfrist bis September 2022.
Grünen-Politiker Danyal Bayaz bezeichnete die Reformen als überfällig. "Der Wirecard-Skandal hat die Bedeutung eines professionellen Aufsichtsrats für börsennotierte Unternehmen deutlich vor Augen geführt. Angemessene Governance-Strukturen im Aufsichtsrat hätten den Schaden für Anleger und den Börsenplatz Deutschland verringern können", sagte das Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags.
Ab Dezember 2020 sollen nur noch Firmen aufgenommen werden, die in den zwei Jahren vor dem Dax-Aufstieg einen operativen Gewinn (Ebitda) ausgewiesen haben - das hätte dem Essenslieferdienst Delivery Hero die Dax-Mitgliedschaft verwehrt. Die Regelung gilt nur für Dax-Aufsteiger, bestehende Mitglieder betrifft sie nicht. Dem MDax und dem darunter angesiedelten SDax dürfen unprofitable Unternehmen weiter angehören. Die Zusammensetzung des Index überprüft die Börse künftig turnusmäßig alle sechs Monate statt einmal jährlich im September. Ausschlaggebend für den Auf- oder Abstieg sind künftig nur noch die Marktkapitalisierung des Streubesitzes, der Börsenumsatz soll keine Rolle mehr spielen. Stattdessen müssen Indexmitglieder eine Mindestliquidität aufweisen.
UMSTRITTENE WAFFEN
Die vorgeschlagene Verbannung von Firmen, die an umstrittenen Waffen ("controversial weapons") beteiligt sind, setzte sich nicht durch. Sie hätte den Flugzeugbauer Airbus getroffen, der sich berechtigte Hoffnungen auf einen Aufstieg in den Dax vom Nebenwerteindex MDax machen darf: Eine Tochterfirma des Konzerns wartet die Trägerraketen für französische Atomwaffen. Von verschiedenen Seiten sei auch die Frage aufgeworfen worden, ob Kriterien wie Nachhaltigkeit oder soziale und Governance-Aspekte (ESG) bei der Auswahl der Dax-Mitglieder eine Rolle spielen sollten, sagte Stephan Flägel von dem zur Deutschen Börse gehörenden Indexanbieter Qontigo. "Deshalb werden wir den Austausch mit den Marktteilnehmern fortführen."
Deka-Experte Speich hatte sich hier mehr erhofft. "Nachhaltigkeit ist heute bei vielen Investoren im Investment-Prozess integriert und bietet einen Mehrwert. Eine stärkere Berücksichtigung wäre wünschenswert gewesen." DSW-Vertreter Tüngler betonte: "Wenn man ESG-Kriterien in den Blick nimmt, ist es mit dem Thema Waffen nicht getan." Scharfe Kritik kam von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald: "Die Deutsche Börse stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus und knickt vor der Rüstungsindustrie ein", sagte Rüstungs-Campaignerin Barbara Happe von Urgewald. Das DAI begrüßte hingegen den Verzicht auf Nachhaltigkeitskriterien. "Der deutsche Leitindex muss die gesamte kapitalmarktorientierte Wirtschaft eines Landes umfassen", sagte Bortenlänger.
rtr