"Ich bin sehr froh über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts", sagte Kanzlerin Angela Merkel. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach von einem wichtigen Schritt im Kampf gegen die Pandemie. Mit den Geldern soll die Konjunkturerholung von der Krise in den nächsten Jahren beschleunigt werden. Die Mittel sollen ab Juli ausgezahlt werden und vor allem in Klimaschutz- und Digitalisierungsprojekte fließen. Ökonomen befürchten zum Teil, dass es künftig eine stärkere Haftung für die Schulden anderer EU-Länder geben wird.
Das höchste deutsche Gericht lehnte den Eilantrag einer Bürgerinitiative um den AfD-Gründer Bernd Lucke ab. Die Kläger hatten argumentiert, die EU-Verträge würden eine gemeinsame Schuldenaufnahme verbieten. Die Bundesregierung berief sich dagegen auf Ausnahmeregelungen für Notsituationen.
Damit kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nun das entsprechende Gesetz unterzeichen, den sogenannten EU-Eigenmittelbeschluss, der die gemeinsame Schuldenaufnahme ermöglicht. Der Bundestag hatte bereits am 25. März mit Zwei-Drittel-Mehrheit zugestimmt, der Bundesrat folgte einen Tag später und votierte einstimmig dafür. Weil umgehend Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht wurde, untersagte der Zweite Senat dem Bundespräsidenten zunächst die Unterzeichnung des Gesetzes.
HAUPTVERFAHREN DÜRFTE NICHT ANDERS AUSGEHEN
Die Verfassungsbeschwerde des Bündnis Bürgerwille bleibt aber anhängig. Wann das Gericht in der Hauptsache entscheiden will, wurde nicht mitgeteilt. "In der Entscheidung des Gerichts im Hauptsacheverfahren erwarte ich keine Überraschungen", sagte der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Florian Hahn. Das wird auch in der Finanzbranche so gesehen. "Die Begründung der heutigen Entscheidung deutet darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht dem EU-Aufbaufonds keine wesentlichen Steine in den Weg legen wird", betonten die Analysten der Commerzbank.
Laut Gericht gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Verstöße. Die Nachteile im Falle einer Blockade seien zudem größer gewesen. Denn die Entscheidung in der Hauptsache dürfte sich hinziehen. "Die damit verbundenen Nachteile könnten sich als irreversibel herausstellen."
Die Entscheidung löste vor allem bei der SPD Jubel aus. Der Kampf gegen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie werde noch lange dauern, sagte Scholz im Bundestag. "Es ist richtig, dass wir mit enormen fiskalischen Mitteln dazu beitragen, das Leben in unserem Land, Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten und dass wir es in Europa gemeinsam tun." Der europapolitische Sprecher der SPD, Christian Petry, sagte, die Chancen auf eine wirtschaftliche Erholung der durch die Corona-Krise gebeutelten Volkswirtschaften in Europa seien nun riesig. "Ich hoffe und erwarte, dass auch die anderen Mitgliedstaaten zügig ihre Ratifizierungsverfahren abschließen."
Mehr als die Hälfte hat das bereits getan. Die Commerzbank sieht in Polen noch mögliche Verzögerungen, laut DZ Bank könnte es auch in Ungarn und den Niederlanden Probleme bei der Ratifizierung geben. Die größten Summen aus dem Fonds in Form von Zuschüssen und günstigen Krediten sind für Italien und Spanien vorgesehen, die beide besonders stark von der Pandemie belastet wurden.
CDU/CSU GEGEN "EUROPÄISCHE SCHULDENUNION"
In der Bundesregierung sehen CDU/CSU in der gemeinsamen Schuldenaufnahme für den Corona-Hilfstopf eine einmalige Aktion, für den Koalitionspartner SPD ist es dagegen ein Schritt Richtung Fiskalunion, also gemeinsamer Finanzpolitik in Europa samt gemeinsamer Schulden. "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren", sagte Eckhardt Rehberg, der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die gemeinsame Schuldenaufnahme sei ganz klar zeitlich befristet. "Eine Schuldenunion ist mit uns nicht zu machen."
Ökonom Friedrich Heinemann vom Mannheimer Forschungsinstitut ZEW sagte, der Druck auf das Verfassungsgericht sei groß gewesen. "Damit wird die EU in Kürze erstmalig beginnen, europäische Ausgaben durch EU-Anleihen mit gemeinsamer wechselseitiger Haftung aller EU-Staaten zu emittieren. Damit sind Fakten geschaffen." Diese Weichenstellung dürfte die EU auf Dauer verändern. "Für die kurzfristige Aussicht auf eine rasche EU-Konjunkturerholung sind das gute Nachrichten. Ob Europa auf lange Sicht davon profitiert, ist ungewiss." Die Gefahr sei groß, dass es letztlich an Kontrolle fehle. "Es ist gut möglich, dass das geschenkte Geld aus Brüssel Reformprozesse sogar verlangsamt." Solche Bedenken wies Merkel allerdings zurück: "Die Kommission ist uns schon sehr auf den Fersen." Auch die anderen EU-Mitglieder würden sehr darauf achten, wie die Mittel eingesetzt werden.
rtr