Der Wandel unser Gesellschaft von analog zu digital ist in vollem Gange. Das Betrifft viele Bereiche wie etwa die Industrie, aber auch im privaten Alltag stehen uns etliche virtuelle Assistenten jederzeit mit Rat und Tag zur Seite. Die Geldanlage ist ebenfalls längst Teil des modernen Kosmos von Nullen und Einsen.
Seit vielen Jahren schon können Anleger ihr Kapital von sogenannten Robo-Advisors verwalten lassen. Treibend bei der Entwicklung der digitalen Vermögensmanager waren die USA. Bereits 2008 gingen dort Anbieter wie Wealthfront oder Betterment an den Start. Heute verwalten Robos jenseits des Atlantiks gewaltige Anlagevermögen: zusammen sind es umgerechnet mehr als 600 Milliarden Euro.
In Deutschland kommen die digitalen Helfer noch weniger gut an. Die Summe, die deutsche Sparer den Robos anvertraut haben, ist vergleichsweise gering. Rund fünf Milliarden Euro sind es laut einer Schätzung der Experten des Analysehauses FondsConsult, das 2020 zum zweiten Mal eine umfassende Marktstudie veröffentlicht hat. Seit rund sechs Jahren gibt es Robo-Advisors auf dem deutschen Markt. Ihr Ziel ist es, digitalaffinen Privatanlegern den Aufbau und die Verwaltung eines Depots zu ermöglichen. Da die Robos häufig preiswerte Indexfonds, also ETFs, einsetzen, können sie ihre Dienstleistung günstiger als die etablierten Rivalen aus Fleisch und Blut anbieten.
Die Branche ist jedoch noch sehr jung, und die Akteure müssen noch beweisen, dass sie langfristig gute Anlageergebnisse erzielen können. Grundsätzlich verfolgen sie zwei unterschiedliche Ansätze bei der Vermögensverwaltung: einen passiven und einen aktiven.
Die Welt der passiven Robos
Die Formulierung "passiver Ansatz" hört Philipp Dobbert nicht so gern. Denn gemeinhin gilt Aktivität als gut, Passivität als schlecht. Lieber verwendet der Chefvolkswirt von Quirion den Begriff "prognosefrei". So werden die Kundendepots bei dem Berliner Robo-Advisor gemanagt: "Die Zukunft kann niemand vorhersagen", unterstreicht Dobbert. "Deshalb bringt es unserer Ansicht nach auch nichts, wegen irgendwelcher Prognosen Anlagequoten taktisch zu erhöhen oder zu senken."
An die Vorhersagbarkeit der Börsenzukunft glaubt man beim digitalen Ableger der Quirin Privatbank tatsächlich nicht. Dafür umso mehr an die Kapitalmarktforschung. Und die zeige sehr konsistent: "Auf längere Sicht scheitern prognosegetriebene Manager stets daran, eine höhere Rendite als der breite Markt zu erzielen oder dessen Rendite mit einem geringeren Risiko zu erwirtschaften", erklärt Dobbert. Das Credo des Hauses lautet: "Aktives Management ist fehlerbehaftet und lohnt sich nicht."
An dieser Überzeugung ändere auch die Tatsache nichts, dass aktive Fondsmanager ihre Vergleichsindizes zuweilen doch schlagen. "Was gestern Carmignac war, ist heute Flossbach", erklärt Dobbert. Statistisch betrachtet seien solche Erfolgsgeschichten vom Zufall nicht unterscheidbar. Privatanleger sollten seiner Meinung nach für den langfristigen Vermögensaufbau lieber auf einen prognosefreien Ansatz setzen. "Dabei entscheidet sich der Quirion-Kunde einmal für eine bestimmte Anlageaufteilung, die seiner Risikoneigung entspricht. Diese Aufteilung wird dann durchgehalten." Dabei spielt das Rebalancing des Depots eine wichtige Rolle. Mindestens einmal pro Jahr wird die ursprüngliche Gewichtung der Anlageklassen wiederhergestellt. Gibt es Abweichungen von mehr als zehn Prozent bei den festgelegten Quoten, werden sie schon vorher ausbalanciert.
Als Besonderheit zeichnet den Robo-Advisor aus, dass mit entsprechenden ETFs sogenannte Faktorprämien vereinnahmt werden sollen: Vor allem wird auf die Strategien Value und Size gesetzt. Das heißt, der Fokus liegt auf unterbewerteten Firmen und Nebenwerten. "Historisch betrachtet, liefern diese Faktoren Überrenditen, auch wenn Value-Werte in den vergangenen Jahren stark zurückgeblieben sind", sagt Dobbert. "Doch die Value-Prämie ist nicht tot", ist er überzeugt.
Der digitale Vermögensverwalter der Quirin Privatbank kam bereits 2013 auf den Markt und ist heute mit Blick auf das verwaltete Vermögen der Marktführer bei den passiven beziehungsweise prognosefreien Robos. Doch natürlich tummeln sich in diesem Bereich inzwischen weitere Mitbewerber. Die fünf größten Anbieter mit den wichtigsten Eckdaten sind in der Tabelle unten aufgeführt. Beim verwalteten Vermögen griff die Redaktion auf die Schätzungen der Robo-Advisor-Studie von FondsConsult zurück. Im Anbieterfeld zeigen sich deutliche Unterschiede, vor allem was die Mindestanlagesummen betrifft. Sie reichen von 500 Euro bei Growney und WeltInvest bis hin zu 100 000 Euro bei Liquid, hinter dem das Family Office der Quandt-Familie steht.
Der aktive Ansatz
"Wir sind aktiv, aber nicht aktionistisch" schickt Salome Preiswerk, die Gründerin und Geschäftsführerin von Whitebox voraus. Der Freiburger Robo-Advisor ist seit Anfang 2016 auf dem Markt und zählt damit schon zu den erfahreneren Anbietern. Und wie Vertreter aus dem passiven Robo-Lager betonen, dass ihr Ansatz nichts mit Untätigkeit zu tun habe, soll bei Whitebox nicht der Eindruck von Hyperaktivität aufkommen.
"Wir verfolgen bei der Depotkonstruktion für unsere Kunden einen Value-basierten Ansatz", sagt Preiswerk. Dabei würden aus über 300 Anlageklassen, Regionen und Sektoren die vielversprechendsten ausgewählt. Vielversprechend heißt: Mit Investments in Anlagen, die unterbewertet sind, und bei denen man darauf wartet, dass sie zu ihrem fairen Wert zurückkehren, will Whitebox Mehrrendite erzielen.
Das ist der eine Teil des Portfoliomanagements. Der andere besteht darin, das Depot robust zu machen, damit es in schwierigen Marktsituationen besteht. "Wir modellieren das Risiko immer langfristig", erklärt Preiswerk, "dabei betrachten wir vor allem die sogenannten Tail-Risiken, Ereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber hohem Schadenspotenzial." Das geschieht mithilfe eines Mean-CVaR-Ansatzes sowie Szenario- und Stresstests. Die Abkürzung CVaR steht für Conditional Value at Risk und berücksichtigt neben der Wahrscheinlichkeit für große Kursabweichungen auch die Höhe der möglichen Verluste. So soll das Kundenportfolio optimiert werden.
Einen Punkt betont die Whitebox-Gründerin dabei ganz besonders: "Wir betreiben kein Volatilitätsmanagement." Denn Kursschwankungen seien nicht etwas grundsätzlich Negatives. "Und langfristig kostet der Versuch, die Volatilität zu glätten, nicht unerheblich an Rendite." Oft werde beispielsweise nach Abschwüngen der Aufschwung verpasst. Preiswerk: "Das Risikomanagement muss immer kongruent zum Anlagehorizont sein."
Diese Regel würden viele Marktteilnehmer nicht immer beherzigen. "Man ist sich einig, dass die Geldanlage mittel- bis langfristig ausgerichtet sein soll. Doch die Risiken können häufig nicht kurzfristig genug gemanagt werden." In die Portfolios der Whitebox-Kunden werde deshalb lediglich eingegriffen, wenn sich die längerfristige Chance-Risiko-Struktur ändert. Mit seinem wissenschaftlich fundierten Ansatz zählt der Robo-Advisor aus dem Südwesten Deutschlands zu den aktuell fünf größten Anbietern der aktiven Kategorie. In der Tabelle links sind die Schwergewichte aufgeführt. Auch dieser Auflistung liegen die Schätzungen zum Anlagevolumen durch FondsConsult zugrunde. In der Gruppe tauchen gleich zwei Robo-Advisors auf, die Banken zuzuordnen sind. Hauptanteilseigner bei Cominvest ist die Commerzbank; das Gros der Mittelzuflüsse kommt vom Direktbankableger Comdirect. Und mit Robin betreibt auch Deutschlands größtes börsennotiertes Geldinstitut, die Deutsche Bank, seit 2017 einen digitalen Anlageverwalter.
Unbestrittener Wachstumsprimus und Marktführer ist allerdings das seit 2016 tätige Münchner Start-up Scalable Capital. Dort hat man sich bei den Portfolios der Kunden ganz dem systematischen Risikomanagement verschrieben, das auf sehr kurzfristiger Basis erfolgt - ganz im Gegensatz zu Whitebox. Red
Was der Robo nicht leisten kann
Roboter und künstliche Intelligenz schön und gut, aber Anleger sollten auch selbst verstehen, was sich in ihrem Depot tut, findet Dieter Lendle (57). Deshalb bietet der vereidigte Sachverständige für Wertpapiere mit seiner 2012 gegründeten Firma Anlagematrix neuerdings auch Honorarberatung an.
Losgehen sollte es eigentlich im Frühjahr, doch dann kam ihm und seinem Mitgesellschafter Frank Langer (52) der Lockdown in die Quere. Das erschwerte die persönlichen Gespräche, die laut Lendle für eine umfassende Anlageberatung unverzichtbar sind.
Neben der menschlichen Komponente zählt Börsenerfahrung zu den Punkten, die ein Robo-Advisor nicht bieten kann. So würde Lendle derzeit nicht "all in" gehen, weil durch die Reaktion der Börsen auf die Corona-Pandemie "inzwischen eine ziemliche Lücke zwischen Bewertung und Ertragslage entstanden ist". Auch im Anleihebereich sei Vorsicht geboten, weshalb man besser nicht mit starren Quoten arbeite, wie es in der standardisierten Vermögensverwaltung häufig geschehe. "Anleihen in Schweizer Franken oder Britischen Pfund können als Beimischung durchaus Sinn machen", sagt er, "aber zur Risikodiversifikation mit Fremdwährungen, nicht wegen des Zinses."
Wie für die meisten Robos sind auch für Lendle und Langer ETFs das bevorzugte Anlagevehikel. Warum? "Sie sind kostengünstig und transparent. Bei Fonds mit hohen Ausgabeaufschlägen oder Lebensversicherungen hingegen ist das Enttäuschungspotenzial groß."
Ziel der Honorarberatung ist es, Anlegern das notwendige Know-how zu vermitteln, sich selbst um ihren Vermögensaufbau zu kümmern. Das hat seinen Preis. Der Stundensatz liegt bei 200 Euro, zehn Stunden Beratungsaufwand sind im ersten Jahr üblich. Hier hat der Robo-Advisor zunächst Vorteile. Bei einem Depotvolumen von 200 000 Euro etwa stellt Marktführer Scalable Capital 1500 Euro in Rechnung, allerdings jedes Jahr. Da Lendle und Langer davon ausgehen, dass im zweiten und dritten Jahr jeweils nur noch ein einstündiges Folgegespräch notwendig ist, amortisiert sich die Honorarberatung nach etwa 18 Monaten - sofern Anleger denn ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Mit Scalable arbeitet Anlagematrix übrigens auch zusammen, allerdings nicht in Sachen Vermögensverwaltung, sondern mit der Abteilung Brokerage. Wegen der günstigen Gebühren.