"Es sieht ganz danach aus, als wäre es unvermeidlich, dass die Brexit-Befürworter am Wochenende in der Mehrheit sind", sagte ein Sprecher des Buchmachers William Hill. Auch Umfragen zeigten eine Dynamik bei den Brexit-Anhängern: Einer YouGov-Studie für die Zeitung "Times" zufolge würden die EU-Gegner derzeit sieben Prozent mehr Stimmen erhalten als die EU-Unterstützer. Bei einer Befragung für den "Daily Telegraph" fiel das Ergebnis knapper aus mit einem Prozentpunkt Vorsprung für das Brexit-Lager.

Zugleich erhielt die "Leave"-Kampagne für einen Austritt prominente Unterstützung: Das Boulevard-Blatt "Sun" von Medienmogul Rupert Murdoch rief seine Leser dazu auf, für ein Verlassen der EU zu votieren. Großbritannien müsse sich "vom Diktat Brüssels" befreien. Die Zeitung hat eine tägliche Auflage von rund 1,7 Millionen Exemplaren.

Beim Online-Wettanbieter Betfair lag die Brexit-Wahrscheinlichkeit bei 45 Prozent. Am Montag waren es noch 36 Prozent. Damit war sie bereits so hoch wie noch nie seit Ankündigung der Volksabstimmung vor rund vier Monaten. Allein seit Donnerstag ist die Quote um 23 Punkte gestiegen. Buchmacher können ihre Quote praktisch in Echtzeit anpassen, nicht zuletzt dank der Online-Wettbörsen. Sie sind dadurch schneller als die Meinungsforscher, die für ihre Prognosen Tausende Wähler anrufen müssen.

Das Referendum ist am 23. Juni angesetzt. Der Chef der Oppositionspartei Labour, Jeremy Corbyn, will sich stärker in den Wahlkampf einschalten. Er wird dabei argumentieren, dass die EU Arbeitsplätze sichert, wie aus vorab veröffentlichten Rede-Auszügen hervorgeht. Corbyn wurde zuletzt immer wieder vorgeworfen, zu wenig Engagement zu zeigen. Die Regierungspartei von Premierminister David Cameron ist entgegen der Pro-EU-Partei Labour tief gespalten bei der Frage, ob Großbritannien außerhalb oder innerhalb der EU besser aufgehoben ist. Cameron selbst wirbt allerdings für einen Verbleib.

Das britische Referendum sorgt weltweit für Unruhe. Die Bundesregierung spielt verschiedene Szenarien durch, ohne jedoch Details zu nennen. Es werde ausprobiert, was getan werden müsste oder eben nicht, sagte Finanzstaatssekretär Jens Spahn in der ARD. Bezüglich möglicher Handelsabkommen mit Großbritannien bei einem Brexit sagte er: "Eins ist klar, es muss einen Unterschied machen, ob man Teil der Familie ist oder ob man nur Nachbar ist."

Zugleich sprach sich Spahn für Veränderungen in der EU aus: "Europa wird so oder so in beiden Fällen nicht einfach so weitermachen können." Ähnlich äußerte sich auch der Chef des Euro-Rettungschirms, Klaus Regling. Seiner Meinung nach sollte es den 28 Mitgliedsstaaten künftig möglich sein, sich unterschiedlich schnell in die Gemeinschaft zu integrieren.