Anfang der 90er-Jahre nahm ich an einem sogenannten Beauty Contest teil. Dabei handelte es sich nicht um einen Schönheitswettbewerb im herkömmlichen Sinn. Die Wettbewerber waren Männer, die wohl weder für das eigene noch das andere Geschlecht besonders attraktiv waren. Es ging um die Vergabe eines Mandats zur Vermögensverwaltung durch einen größeren deutschen institutionellen Investor. Damals arbeitete ich für eine bekannte amerikanische Investmentbank, die gerade eine Niederlassung in Frankfurt eröffnet hatte. Vor dem Beginn unserer Vorstellung nahm mich einer der Veranstalter auf die Seite und fragte, ob wir unsere Präsentationen auf Englisch halten würden. Ich antwortete, wir könnten alle Deutsch. Er lächelte und antwortete: "Aber die von der Deutschen Bank, mit denen Sie im Wettbewerb stehen, können es nicht."

Herrhausens Idee



Es war die Zeit, als sich die Deutsche Bank anschickte, ihre Persönlichkeit zu verändern. Sie wollte in das von angelsächsischen Banken dominierte Investmentbanking einbrechen und hatte nicht lange vor dem erwähnten Contest die britische Bank Morgan Grenfell gekauft. Nun führte sie ihr neues Spitzenteam vor. Aber schon dieser Auftritt zeigte, dass da etwas falsch lief. Wie wirkte es wohl auf den Kunden, wenn die amerikanische Investmentbank ein deutschsprachiges Team in den Wettbewerb schickte, das Deutsche-Bank-Team aber der deutschen Sprache nicht mächtig war?

Dennoch finde ich zweieinhalb Jahrzehnte später, dass die strategische Entscheidung der Deutschen Bank für das Investmentbanking damals richtig war. Alfred Herrhausen, der legendäre Chef, hatte schon in den 80er-Jahren erkannt, dass es angesichts der öffentlichen oder genossenschaftlichen Konkurrenz für eine private Bank sehr schwer würde, im klassischen Kreditbankengeschäft in Deutschland zu wachsen. Er sah daher für die Deutsche Bank das Kapitalmarktgeschäft als einzige Chance zur Entfaltung.

Die Hürden für den Eintritt in das Investmentbanking sind jedoch hoch. Um in diesem globalen Geschäft eine Rolle zu spielen, gilt es, erfahrene Mitarbeiter anzuziehen und auf dem größten Kapitalmarkt der Welt, in den USA, vertreten zu sein. Wer dort nicht Flagge zeigen kann, wird den Geruch der Provinzialität nicht los, bekommt nicht die besten Mitarbeiter und bleibt für anspruchsvolle Kunden zweite Wahl.



Koppers Missgriff



Die Deutsche Bank versuchte, die Eintrittsbarriere zu überwinden, indem sie angelsächsische Investmentbanken übernahm und Teams erfahrener Investmentbanker einkaufte. Im Jahr 1992 übernahm sie die britische Morgan Grenfell. Für die in ihrem Heimatmarkt verhafteten Manager der Deutschen Bank gestaltete sich die Integration jedoch schwierig. Sie hatten es nicht nur mit eingefleischten Investmentbankern, sondern auch überwiegend mit Briten zu tun, die hinter vorgehaltener Hand über ihre neuen deutschen Chefs lästerten. Die Leute aus der Frankfurter Finanzprovinz wurden im globalen Finanzzentrum London einfach nicht ganz ernst genommen.

Herrhausens Nachfolger Hilmar Kopper versuchte das Problem dadurch zu lösen, dass er 1995 eine Truppe von rund 100 forschen US-amerikanischen Investmentbankern von Merrill Lynch (ML) einstellte. Angeführt wurde das ML-Team von Edson Mitchel und Michael Philipps. An mangelndem Selbstbewusstsein litt diese Truppe nicht.

Drei Jahre später, mittlerweile war Rolf Breuer Vorstandssprecher geworden, wurde die amerikanische Investmentbank Bankers Trust dazugekauft. Die Mentalität einer verschworenen Söldnertruppe, die sich nur auf sich selbst verlässt, half, das Investmentbankgeschäft auf Erfolgskurs zu bringen. Innerhalb von fünf Jahren katapultierten die Fremdenlegionäre die Deutsche Bank mit schnellen Erfolgen im Geschäft mit Anleihen, Devisen und Rohstoffen unter die Top Ten in den einschlägigen Ranglisten. Das Ende ist bekannt. Mit der Finanzkrise holten die von den Legionären mit der Fokussierung auf den schnellen Gewinn eingegangenen Risiken die Bank ein.

Anshu Jain, der 1995 mit Edson Mitchell zur Deutschen Bank gestoßen war, sollte die Fehler der Söldnertruppe als Co-Vorsitzender des Vorstands nach dem Abgang von Josef Ackermann ausbügeln. In Gesprächen mit Journalisten wurde argumentiert, dass nur wer den Saustall kenne, auch den Mist beseitigen könne.

Beim Ausmisten machte Jain aber drei entscheidende Fehler: Erstens sah er nicht, dass die Krise einen langen Abschwung des Handelsgeschäfts eingeleitet hatte. Während sich Wettbewerber aus diesem Bereich oder dem gesamten Investmentbanking zurückzogen, setzte er darauf. Den Rückzug der anderen missverstand er als Chance. Zweitens unterschätzte er völlig die Kosten, die aus den Rechtsrisiken entstanden waren, welche die Fremdenlegionäre auf der Jagd nach dem schnellen Geld eingegangen waren. Und drittens fühlte er sich weiterhin Mitchells "Indianern" verpflichtet und umgab sich praktisch nur mit Getreuen - "Anshu’s Army".

Am Ende sah auch der Aufsichtsrat die Defizite. Seit 1. Juli 2015 tut nun der neue Vorstandsvorsitzende John Cryan das Naheliegende. Ganz oben auf der Agenda steht bei ihm die Abwicklung der zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, das Aufholen der Versäumnisse im IT-Bereich und die Senkung der aufgeblähten Kosten.

Aber das wird nicht reichen, um die Bank vor weiterem Siechtum zu bewahren. Eine neue Perspektive ist gefragt. Hält man das "Weiter so" für tödlich, dann muss die Deutsche Bank die Mentalität der Fremdenlegionäre überwinden und sich aus der Abhängigkeit der von ihnen betriebenen Geschäfte befreien. Da muss Cryan liefern. Das größte Pfund, mit dem die Bank wuchern kann, ist ihre nach wie vor enge Beziehung zu den Kunden des Landes. Wenn sie, die einst zur Befriedigung der Bedürfnisse der deutschen Industrie geschaffen wurde, es nicht schafft, dort die bevorzugte Adresse für Finanzgeschäfte zu sein, sollte sie sich besser selbst abwickeln. Ihre oberste Priorität muss deshalb sein, für diesen Kundenkreis der unverzichtbare Partner in Geldgeschäften zu sein.





Cryans Perspektivlosigkeit



Zum Aufbau und zur Pflege dieser Beziehung braucht es Bankiers und keine Finanzingenieure. Der Mitarbeiterkern muss deshalb aus Leuten bestehen, die am langfristigen Erfolg der Bank durch die langfristige Zufriedenstellung der Kunden interessiert sind. Der Umfang des Geschäfts müsste sich also an der Verfügbarkeit von Mitarbeitern orientieren, die diese Qualitäten besitzen.

Die Konsequenz dieses Fokus wäre, dass sich die Deutsche Bank gesundschrumpfen müsste, indem sie sich von allen Mitarbeitern trennt, die diese Qualitäten nicht haben. Möglicherweise würde sich die Bank dabei zur Boutique entwickeln, die für einen begrenzten Kundenkreis begrenzte Dienstleistungen von besonders hoher Qualität anböte - auf dem höchsten Stand der Kapitalmarkttechnik und mit verlässlicher Orientierung am Wohl der Kunden (und nicht am eigenen Gewinn oder Bonus).

Wünschenswert wäre, wenn sich diese Boutique zur Partnerschaft beziehungsweise Partnerschaft mit Fremdbeteiligung, also einer Kommanditgesellschaft respektive einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, wandeln würde. Dadurch käme es zu einer höheren Übereinstimmung der Interessen von Management und Aktionären. Historisch war die Partnerschaft übrigens stets die bevorzugte Organisationsform der Investmentbanken.

Die andere Perspektive würde mit dem Kernvermögenswert der Bank, ihrer Nähe zu deutschen Kunden, beginnen. Die vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass sich diese Nähe nicht durch den Zukauf von Fremdenlegionären erreichen lässt. Eher ist das Gegenteil der Fall, das Auftreten der smarten Angelsachsen beschädigt die Vertrauenswürdigkeit. Andersherum könnte ein Schuh daraus werden, indem die Kernkompetenz in eine im amerikanischen Markt verankerte globale Investmentbank eingebracht würde. Die alternative Perspektive für die Deutsche Bank ist also der Verkauf.

Auf den ersten Blick mag dies nach Niederlage aussehen. Als europäisches Standbein eines in den USA verankerten globalen Finanzhauses könnte sich die Deutsche Bank aber in Deutschland und ganz Europa als wichtigste Investmentbank entfalten. Im Übrigen ist die Idee eines Verkaufs der Deutschen Bank an eine amerikanische Bank keineswegs neu. In seinen Memoiren erzählt Sandy Weill, ehemaliger Chef der Citigroup und Architekt der Verschmelzung des Versicherungskonzerns Traveler mit der Citibank, der seinerzeitige Vorstandssprecher Josef Ackermann habe ihm das größte deutsche Geldhaus bei einem Abendessen im Berliner Hotel Adlon im Jahr 2003 praktisch zum Kauf angeboten: "Ackermann verblüffte mich mit dem Vorschlag, seine Bank mit der Citigroup zu fusionieren", schreibt Weill. Damals wurde nichts daraus, weil sich Ackermann vielleicht eine Fusion mit einer amerikanischen Bank, aber keine Übernahme der Deutschen Bank vorstellen konnte. Für Cryan dürfte das nun anders aussehen.

Nach dem jüngsten Kursrutsch beträgt die Marktkapitalisierung der Deutschen Bank nur wenig mehr als 14 Milliarden Euro. Für eine große US-Bank wäre folglich eine Übernahme ohne Weiteres möglich. Dennoch zeigen sich bisher keine Interessenten. Der wichtigste Grund dafür ist, dass noch umfangreiche Aufräumarbeiten durchzuführen sind. Insbesondere ist die Deutsche Bank von der 14-Milliarden-Dollar-Strafandrohung des US-Justizministeriums belastet. Aber auch die ausufernden Kosten sowie die gegenwärtige Verunsicherung der Mitarbeiter und der Kunden stehen einem Verkauf im Weg.

John Cryan hat sich auf die Altlasten konzentriert. Ein überzeugendes Konzept für die Zukunft hat er der Öffentlichkeit bisher nicht vorgestellt. Dies mag an seinem Mangel an Fantasie für eine erfolgreiche Rolle der Bank in der Zukunft liegen, wie manche meinen. Oder es kann einfach daran liegen, dass er die Voraussetzungen für einen Verkauf schaffen will, der der Bank langfristig ein stabiles Geschäftsmodell als Tochterunternehmen einer global tätigen Investmentbank sichert.



Rolf Breuer: Der Anfänger


Als Vorstandssprecher von 1997 bis 2002 holte er Fremdenlegionäre angelsächsischer Banken ins Haus. Mit einem unglücklichen Interview redete er die Kirch-Mediengruppe in die Pleite, ruinierte den Ruf der Bank und bescherte ihr im Prozess mit den Kirch-Erben die erste Milliarde Euro Schadenersatz.

Josef Ackermann: Der Aufschneider


Unter dem Schweizer, der als Vorstandschef von 2002 bis 2012 zuletzt alle Macht auf sich konzentrierte, blähte sich das US-Geschäft auf. Ackermann forderte 25 Prozent Eigenkapitalrendite. Der Traum zerplatzte in der Finanzkrise. Der Abstieg begann, seither lähmen Prozesse, Kurswechsel und Skandale die Bank.

Anshu Jain: Der Abdecker


Der führende Kopf der Fremdenlegionäre sollte als Co-Vorsitzender (2012 bis 2015) die Skandale aufräumen, die er und seine Spießgesellen angerührt hatten. Aber anstatt sich aus den fragwürdigen Geschäften zurückzuziehen, trieb er sie weiter voran. Die Krise wurde zum Dauerzustand, der Sanierer zum Abdecker.

John Cyran: Der Aufräumer


Seit Juli 2015 mistet er aus. Nicht einmal die EDV genügt modernen Ansprüchen. Er wirkt ehrlich und bemüht - aber lässt jede Perspektive vermissen. Das Vertrauen schwindet. Wenn er nicht als Totengräber in die Bank-Geschichte eingehen will, muss er die Bank radikal schrumpfen - oder aufräumen und verkaufen.

Aus: Tichys Einblick - Heft Nr. 1