Asoka Wöhrmann, Deutsche Asset & Wealth Management: Der Dax könnte 2015 noch die 11.000er-Marke überspringen

Die von vielen erwartete Leitzins-Erhöhung der US-Notenbank ist gestern ausgeblieben. Die Entscheidung im Offenmarkt-Ausschuss fiel offenbar fast einstimmig. Wie überrascht sind Sie?
Wir sind insgesamt nicht sehr überrascht. Wir hatten bereits seit einigen Wochen Dezember für den wahrscheinlicheren Termin für den ersten Zinsschritt erachtet. An unserem strategischen Bild müssen wir also nichts ändern. Allerdings hat uns der insgesamt wenig offensive Ton des FOMC überrascht.

Die Fed hat die Entscheidung vor allem mit den Risiken in China begründet. Ist die Lage in China tatsächlich so wackelig, dass eine Zinsanhebung in den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zusätzlich gebremst hätte?
Die Fed hat die Situation der Weltwirtschaft als eine der Risiken genannt, als weitere die Kapitalmarktverwerfungen. Gleichzeitig hat Frau Yellen darauf hingewiesen, dass man die US-amerikanische Konjunktur recht positiv sieht. Wir glauben, dass die Fed sich mehr Zeit einräumen möchte, um die weiteren Auswirkungen der Abschwächung der Schwellenländer zu beobachten, wie die Märkte darauf reagieren und wie sich diese Schwäche letztlich auf die Firmengewinne der Industrienationen auswirkt. Sie hat eventuell auch Sorge, die Lage in den Schwellenländern zusätzlich mit einer Zinserhöhung zu belasten.

Aber die Fed muss auch die Entwicklung in den USA im Auge behalten. Dort wächst die Sorge vor einer Preisblase. Die Konjunktur brummt, die Inflation ist niedrig, die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei nur noch 5,1 Prozent. Ist die Zinswende angesichts dieser Eckdaten in den USA nicht eigentlich überfällig?
Frau Yellen hat es ja in etwa auch so in der Pressekonferenz angedeutet, dass die Lage in den USA insgesamt recht positiv ist. In jeder anderen Periode hätte man bei solch einer Arbeitslosenzahl sicherlich nicht eine Fed Fund Rate von 0-0,25 Prozent erwartet. Andererseits springen die Inflationserwartungen weiter nicht an und auch die Finanzierungskonditionen haben sich aufgrund höherer Risikoprämien verschlechtert. Was beides, neben den internationalen Aspekten, der Fed eine Begründung für das weitere Warten gab.

Beobachter spekulieren nun, dass die Fed die Zinswende nun im Oktober oder im Dezember einläuten könnte. Was erwarten Sie?
Oktober halten wir aus heutiger Sicht für unwahrscheinlich, allerdings, das haben wir ja insbesondere dieses Jahr wieder gesehen, kann in einem Monat viel passieren. Wir halten Dezember für sehr wahrscheinlich.

Aber der Oktober gilt als klassischer Crash-Monat an den Börsen. Und im Dezember sind die Umsätze an den Börsen wegen des bevorstehenden Jahreswechsels traditionell eher gering. Es gibt auch Stimmen, die mahnen, die Fed habe womöglich die beste Gelegenheit für eine Zinsanhebung in diesem Jahr verpasst?
Die Fed hat sicherlich ihren Handlungsspielraum damit weiter eingeengt. Das Zeitfenster für eine Zinserhöhung wird nicht größer und sie riskiert nun den Anschein zu erwecken, als sei sie vom Markt gelenkt und nicht, dass sie den Markt lenkt. Es scheint doch sehr viel schwerer, sich von der Politik des leichten Geldes lösen zu können, als viele gedacht hätten. Wir reden hier schließlich nur von einer Anhebung auf 0,25-0,5%, die das FOMC als zu gewagt betrachtete.

Was bedeutet diese Entscheidung für den Außenwert des Dollar und was für die traditionell starke deutsche Export-Wirtschaft?
Kurzfristig könnte das den Dollar weiter schwächen, auch wenn wir strategisch bei unserer Prognose bleiben, dass er die Parität mit dem Euro innerhalb von 12 Monaten erreichen wird. Für den Dax könnte damit in den kommenden Monaten ein Teil des Rückenwinds, den wir uns von der Währungsseite erhofft hatten, entfallen.

Was erwarten Sie für die weitere Entwicklung an den Märkten? Bleibt es jetzt erst mal bei den Zitterbörsen?
Die Fed hat den Märkten zwar gegeben, wonach diese verlangt haben. Aber der Preis dafür ist weitere Unsicherheit, weitere Volatilität und mindestens einen weiteren Monat Rätselraten über jede Aussage eines jeden FOMC Mitglieds. Die Anleger werden sich jetzt wieder verstärkt selber einen Reim über den Lauf der Weltwirtschaft machen müssen und werden mit Spannung auf die Quartalsberichterstattung der Firmen warten.

Die EZB versucht die Wirtschaft in der Eurozone ebenfalls durch Anleihekäufe und historisch niedrige Zinsen zu stabilisieren. Wie lange können sich die europäischen Notenbanker eigentlich dem Druck der Kapitalmärkte entziehen, wenn die Fed demnächst doch an der Zinsschraube dreht?
Was der Markt vordergründig will, haben wir ja gerade wieder gesehen: kein Ende der Niedrigzinspolitik und weiter üppige Liquidität. Die EZB könnte sich also eher gezwungen sehen, für diese weiterhin zu sorgen, falls die Fed es nicht mehr tut. Eine Verlängerung des Anleihekaufprogramms über den September 2016 hinaus halten wir nicht mehr für ausgeschlossen. Doch die Zentralbanken müssen aufpassen, dass sie den Märkten nicht das Gefühl vermitteln, jene Geister, die sie riefen, nicht mehr in den Griff zu bekommen. Der Beweis steht noch aus, dass die Zentralbanken jenen Stoff wieder in die Tube zurückbekommen, den sie zuvor so großzügig aus ihr rausgepresst haben. Die Fed hätte jetzt den Anfang machen können, hat aber erneut verzögert.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?
Der Dax könnte dieses Jahr durchaus noch die 11.000er Marke überspringen, allerdings wird man weiter mit hohen Schwankungen leben müssen.



Jörg Krämer, Chef-Volkswirt Commerzbank: Höhere Leitzinsen sind überfällig

Die von vielen erwartete Leitzins-Erhöhung der US-Notenbank ist gestern ausgeblieben. Die Entscheidung im Offenmarkt-Ausschuss fiel offenbar fast einstimmig. Wie überrascht sind Sie?
Das hat mich nicht überrascht. Schließlich hatten die Märkte für einen Zinsschritt nur eine Wahrscheinlichkeit von einem Drittel eingepreist. Wie üblich wollte die Fed die Märkte nicht enttäuschen.

Die Fed hat die Entscheidung vor allem mit den Risiken in China begründet. Ist die Lage in China tatsächlich so wackelig, dass eine Zinsanhebung in den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zusätzlich gebremst hätte?
China leidet unter dem Überhang unverkaufter Immobilien und an der sehr hohen Verschuldung seiner Unternehmen. Höhere US-Leitzinsen würden mit Blick auf China nicht ins Gewicht fallen.

Aber die Sorge vor einer Preisblase in den USA wächst. Die Konjunktur brummt, die Inflation ist niedrig, die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei nur noch 5,1 Prozent. Ist die Zinswende angesichts dieser Eckdaten in den USA nicht eigentlich überfällig?
Der US-Wirtschaft geht es überdurchschnittlich gut. Auf fast jeden Arbeitslosen kommt eine offene Stelle. Höhere Leitzinsen sind überfällig.

Beobachter spekulieren nun, dass die Fed die Zinswende nun im Oktober oder im Dezember einläuten könnte. Was erwarten Sie?
Vermutlich wartet sie bis Dezember. Die Fed ist sehr vorsichtig. Im Dezember hätte sie drei weitere Arbeitsmarktberichte und könnte sich sicherer sein, dass die US-Konjunktur robust ist.

Aber der Oktober gilt als klassischer Crash-Monat an den Börsen. Und im Dezember sind die Umsätze an den Börsen wegen des bevorstehenden Jahreswechsels traditionell eher gering. Hat die Fed also gestern die womöglich beste Gelegenheit für eine Anhebung des Schlüsselsatzes für die Geldversorgung der Banken von bislang null bis 0,25 Prozent in diesem Jahr verpasst?
Das Argument mit der geringen Liquidität um die Jahreswende kaufe ich nicht. So hatte es sich die Fed im Dezember 2013 nicht nehmen lassen, die Reduzierung ihres dritten Kaufprogramms anzukündigen.

Was bedeutet diese Entscheidung für den Außenwert des Dollar und was für die traditionell starke deutsche Export-Wirtschaft?
Die Fed wird ihre Leitzinsen früher oder später anheben, die EZB ihre Geldpolitik eher lockern. Mittelfristig dürfte der Euro seine Talfahrt gegenüber dem US-Dollar wieder aufnehmen. Das gibt den deutschen Exporten kurzfristig Rückenwind.

Was erwarten Sie für die weitere Entwicklung an den Märkten? Bleibt es jetzt erst mal bei den Zitterbörsen?
Die Märkte brauchen noch ein paar Wochen Zeit, um die anstehende Wende der US-Geldpolitik zu verdauen.

Die EZB versucht die Wirtschaft in der Eurozone ebenfalls durch Anleihekäufe und historisch niedrige Zinsen zu stabilisieren. Wie lange können sich die europäischen Notenbanker eigentlich dem Druck der Kapitalmärkte entziehen, wenn die Fed demnächst doch an der Zinsschraube dreht?
Die EZB hat bereits in Aussicht gestellt, ihre Geldpolitik im Zweifel weiter zu lockern. Ihre Konjunkturerwartungen sind zu optimistisch und ich erwarte, dass sie am Ende ihre Anleihekäufe aufstockt.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?
Der Dax wird am Jahresende eher höher als niedriger notieren. Schließlich dürfte die Geldpolitik im Euroraum lockerer werden. Die von der EZB ausgehende Vermögenspreisinflation ist noch nicht beendet.



Michael Heise, Allianz-Chefvolkswirt: Die Fed bleibt eine Quelle der Marktvolatilität

Herr Prof. Dr. Heise, die von vielen erwartete Leitzins-Erhöhung der US-Notenbank ist gestern ausgeblieben. Die Entscheidung im Offenmarkt-Ausschuss fiel offenbar fast einstimmig. Wie überrascht sind Sie?
Ich bin in der Tat überrascht, dass die Entscheidung fast einstimmig ausfiel. Nach meiner Einschätzung hätte die robuste Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ein starkes Argument für eine beginnende Normalisierung der Geldpolitik geboten, und das wäre ja nicht mehr gewesen als eine minimale Heraufsetzung der Zinsen von der Nullachse. Aber offenbar haben viele Gouverneure die zuletzt hohe Volatilität der Finanzmärkte mit ihren potenziellen Rückwirkungen auf die US-Wirtschaft hoch gewichtet.

Die Fed hat die Entscheidung vor allem mit den Risiken in China begründet. Ist die Lage in China tatsächlich so wackelig, dass eine Zinsanhebung in den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zusätzlich gebremst hätte?
Die Fed bezieht sich in ihren Erläuterungen zu den geldpolitischen Beschlüssen allgemein auf außenwirtschaftliche Entwicklungen. Die Unsicherheit über China spielt aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Landes als Absatzmarkt auch für andere Schwellenländer dabei sicherlich eine besondere Rolle. Für die Entwicklung Chinas ist aber nicht das US-Zinsniveau ausschlaggebend; entscheidend ist vielmehr die Bewältigung der strukturellen Probleme im Hinblick auf das einseitige investitionsgetriebene Wachstum und den Anstieg der Unternehmensverschuldung. Diese Probleme werden auch in wenigen Wochen noch da sein, wenn die Fed erneut über Zinserhöhungen diskutiert.

Umgekehrt wächst ja auch die Sorge vor einer Preisblase in den USA. Die Konjunktur brummt, die Inflation ist niedrig, die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei nur noch 5,1 Prozent. Ist die Zinswende angesichts dieser Eckdaten in den USA nicht eigentlich überfällig?
Ich stimme Ihnen zu. Die Arbeitslosenquote ist bereits in den Bereich des von der Fed als inflationsstabil angesehenen Niveaus gefallen. Von der binnenwirtschaftlichen Seite dürfte der Preisauftrieb im weiteren Verlauf zunehmen, da die Lohnkosten bereits jetzt wieder etwas schneller steigen.

Beobachter spekulieren nun, dass die Fed die Zinswende nun im Oktober oder im Dezember einläuten könnte. Was erwarten Sie?
Ich halte eine Leitzinserhöhung im vierten Quartal für sehr wahrscheinlich.

Aber der Oktober gilt als klassischer Crash-Monat an den Börsen. Und im Dezember sind die Umsätze an den Börsen wegen des bevorstehenden Jahreswechsels traditionell eher gering. Hat die Fed also gestern die womöglich beste Gelegenheit für eine Anhebung des Schlüsselsatzes für die Geldversorgung der Banken von bislang null bis 0,25 Prozent in diesem Jahr verpasst?
Darüber kann man nur spekulieren. Klar ist aber, dass es kaum einen Zeitpunkt geben wird, zu dem eine Zinserhöhung keine Risiken birgt.

Was bedeutet die Fed-Entscheidung für den Außenwert des Dollar und was für die traditionell starke deutsche Export-Wirtschaft?
Ich rechne nicht mit einem anhaltenden Abwärtsdruck auf den Dollar, weil es bei dem Signal einer Zinserhöhung der Fed bleibt. Im Vorfeld der nächsten Sitzungen dürfte der Dollar eher wieder stärker werden. Für die deutsche Wirtschaft hat diese "Timing-Frage" bei den Notenbankzinsen keine besondere Bedeutung.

Was erwarten Sie für die weitere Entwicklung an den Märkten: Bleibt es jetzt erst mal bei den Zitterbörsen?
Mit dem Zuwarten bleibt auch die Fed Quelle der Marktvolatilität. Jeder veröffentlichte Konjunkturindikator wird auf seine Implikationen für die US-Zinspolitik beleuchtet werden. Das Abwarten der Fed dürfte zu keiner stabileren Entwicklung an den Märkten beitragen.

Die EZB versucht die Wirtschaft in der Eurozone ebenfalls durch Anleihekäufe und historisch niedrige Zinsen zu stabilisieren. Wie lange können sich die europäischen Notenbanker eigentlich dem Druck der Kapitalmärkte entziehen, wenn die Fed demnächst doch an der Zinsschraube dreht?
Die Fed wird bei der Korrektur des geldpolitischen Kurses eine sehr vorsichtige Gangart einschlagen. Das Kapitalmarktzinsniveau in den USA dürfte daher nicht dramatisch ansteigen. Höhere US-Zinsen dürften deshalb nur begrenzten Aufwärtsdruck auf die EWU-Kapitalmarktzinsen ausüben. Ob die EZB von ihrer sehr expansiven Linie abweicht, hängt eher von den konjunkturellen Entwicklungen in der Eurozone ab. Die Chancen für eine Belebung stehen derzeit recht gut.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?
Bei 11.500 Punkten



Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch: Der langfristige Aufwärtstrend ist intakt

Herr Vorndran, die von vielen erwartete Leitzins-Erhöhung der US-Notenbank ist gestern ausgeblieben. Die Entscheidung im Offenmarkt-Ausschuss fiel offenbar fast einstimmig. Wie überrascht sind Sie?
Uns hat die Entscheidung nicht überrascht. Es gibt verschiedene Faktoren, die gegen eine Zinsanhebung gesprochen haben, etwa das globale konjunkturelle Umfeld und die tiefe US-Inflation.

Die Fed hat die Entscheidung vor allem mit den Risiken in China begründet. Ist die Lage in China tatsächlich so wackelig, dass eine Zinsanhebung in den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zusätzlich gebremst hätte?
Wie groß die Probleme in China sind, lässt sich nur sehr schwer abschätzen. Ich würde behaupten, sie sind nicht so dramatisch, wie in den vergangenen Wochen von vielen Investoren befürchtet. Nichtsdestotrotz beobachten wir, dass die Wachstumsdynamik dort spürbar nachlässt. Das hat logischerweise Auswirkungen auf die Handelspartner Chinas, insbesondere die Rohstoffproduzenten. Die Fed-Mitglieder werden sich deshalb sehr genau überlegt haben, ob es ratsam ist, in einem solchen Umfeld im Alleingang den Zins anzuheben.

Umgekehrt wächst aber die Sorge vor einer Preisblase in den USA wächst. Die Konjunktur brummt, die Inflation ist niedrig, die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei nur noch 5,1 Prozent. Ist die Zinswende angesichts dieser Eckdaten in den USA nicht eigentlich überfällig?
Die niedrige Inflationsrate spricht ja gerade dafür, den Zins nicht zwingend anheben zu müssen. Und der Arbeitsmarkt ist bei weitem nicht so stabil, wie die offiziellen Arbeitslosenzahlen aussagen. Ein Blick auf die sogenannte Partizipationsrate reicht aus, um zu erkennen, dass der konjunkturelle Aufschwung nicht so robust ist, wie viele vielleicht glauben mögen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der aktuelle Konjunkturzyklus in den USA schon sehr lange andauert.

Beobachter spekulieren nun munter weiter über den Termin für die Zinswende. Was glauben Sie? Im Oktober, im Dezember oder doch erst 2016?
Schlussendlich spielt es keine allzu große Rolle, ob die Fed im Oktober, Dezember oder im kommenden Jahr etwas macht - ihr Spielraum ist und bleibt begrenzt, sie wird den Zins nur in homöopathischen Dosen anheben können. Eine globale Zinswende wird es unseres Erachtens nicht geben, selbst wenn die Fed ihre Sätze in den nächsten Monaten temporär anheben würde.

Was bedeutet die Zins-Entscheidung für den Außenwert des Dollar und was für die traditionell starke deutsche Export-Wirtschaft?
Die unmittelbaren Auswirkungen sollten begrenzt bleiben. Die Entscheidung der Fed, ihre Entscheidung zu verschieben, dürfte die meisten Marktteilnehmer nicht sonderlich überrascht haben.

Was erwarten Sie für die weitere Entwicklung an den Märkten? Bleibt es jetzt erst mal bei den Zitterbörsen?
Nach der Fed-Sitzung ist vor der Fed-Sitzung. Das Kapitalmarktumfeld ist und bleibt herausfordernd; es wird immer wieder Phasen geben, in denen die Volatilität deutlich steigt. Wer langfristig auskömmliche Renditen erzielen will, kommt aber nicht umhin, Kursschwankungen zu akzeptieren - auch wenn es schwer fällt. Anders geht es leider nicht.

Die EZB versucht die Wirtschaft in der Eurozone ebenfalls durch Anleihekäufe und historisch niedrige Zinsen zu stabilisieren. Wie lange können sich die europäischen Notenbanker eigentlich dem Druck der Kapitalmärkte entziehen, wenn die Fed demnächst doch an der Zinsschraube dreht?
Die EZB wird es sich in den kommenden Jahren gar nicht erlauben können, mit höheren Zinsen zu experimentieren. Viele Mitgliedsländer würden sonst von der Last ihrer Schulden erdrückt werden - es wäre das Ende des Euro. Und weil das so ist, dürfte sich die Geldpolitik der USA künftig eher an den Europäern (und Japanern) orientieren als umgekehrt. Einen allzu starken Dollar kann sich die US-Wirtschaft dauerhaft schlicht nicht leisten.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?
Wir haben leider keine Glaskugel, deswegen halten wir uns bei Punktprognosen auf solch kurze Zeiträume zurück; alles andere wäre unseriös. Der langfristige Aufwärtstrend ist unseres Erachtens aber intakt.



Robert Halver, Baader Bank: Die Börsen werden zulegen, aber die Volatilität auch

Herr Halver, die von vielen erwartete Leitzins-Erhöhung der US-Notenbank ist gestern ausgeblieben. Die Entscheidung im Offenmarkt-Ausschuss fiel offenbar fast einstimmig. Wie überrascht sind Sie?
Ich bin nicht überrascht, selbst nicht über das eindeutige Votum der Fed-Mitglieder von 9 zu 1. Denn die Fed hat nicht nur die Aufgabe, in Amerika Jobwachstum zu begünstigen und die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Fed hat eine dritte Aufgabe bekommen, auch wenn diese in ihrer Satzung nicht festgehalten ist. Aufgrund der Globalisierung der Real- und Finanzwirtschaft ist eine weitgehend autonome Geld- und Zinspolitik selbst von der bedeutendsten Notenbank der Welt, der Fed, nicht mehr möglich. Veränderungen ihrer Zinspolitik haben Auswirkungen auf andere Regionen und Länder, im positiven wie negativen Sinn. Wenn sich die Fed zinspolitisch bewegt, bewegt sie damit auch Kapitalströme. Bei US-Leitzinserhöhungen steigt zeitgleich auch der US-Dollar. Damit haben die globalen Anleger gleich zwei Argumente, Anlagegeld aus Asien oder Lateinamerika in den sicheren US-Hafen zu bringen. Und Kapitalflucht, das zeigt die Asien-Krise von 1997/1998 kann sich brandgefährlich entwickeln.

Die Fed hat die Entscheidung vor allem mit den Risiken in China begründet. Ist die Lage in China tatsächlich so wackelig, dass eine Zinsanhebung in den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zusätzlich gebremst hätte?
Das gilt umso mehr, als die realwirtschaftlichen Renditeaussichten in China und damit auch in den Anrainerstaaten von Investoren kritischer beäugt werden. Wenn dort Export, Investitionstätigkeit und Konsum eine verhaltener Entwicklung zeigen, heißt das nicht zwangsläufig, dass diese Länder in die Rezession stürzen. Teilweise ist es auch gesund, wenn sich Entspannungseffekte einstellen. Aber das Kopfkino, die Psychologie, sagt: Lieber auf Nummer sicher gehen. Lieber das Geld in die sicheren Häfen, übrigens auch nach Europa zurückholen. Da wollte die Fed nicht mit Zinserhöhungen noch mehr Unruhe verbreiten. Selbst wenn dieser Zusammenhang heute nicht mehr so fest ist, dürfte er grundsätzlich dennoch stattfinden.

Aber die Sorge vor einer Preisblase in den USA wächst. Die Konjunktur brummt, die Inflation ist niedrig, die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei nur noch 5,1 Prozent. Ist die Zinswende angesichts dieser Eckdaten in den USA nicht eigentlich überfällig?
Auf den ersten Blick hätte man aus rein nationalem Blickwinkel diesen Zinserhöhungsschritt zwar machen können. Denn Arbeitslosigkeit ist grundsätzlich - wenn man die Statistik an geschaffenen Jobs allein bemüht - wirklich kein großes Problem mehr. Doch muss man hier einhaken: Wenn man sich vor Augen führt, dass in den USA vor allem die schlecht bezahlten Jobs wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und ausgerechnet Amerikas Wunderwaffe der Reindustrialisierung - die Öl- und Gas-Fracking-Industrie - aus Gründen schwacher Energiepreise dabei ist, qualifizierte Arbeitsplätze abzubauen, bekommt das Jobwunder in Amerika sehr schnell einen anderen Zungenschlag. D.h. die erste Aufgabe der Fed, nämlich Jobs zu schaffen ist immer noch nicht endgültig erledigt.

Die zweite Aufgabe, die die Fed laut ihrer Satzung hat, ist für ein stabiles Preisumfeld zu sorgen. Stabil heißt heute jedoch nicht mehr, Inflation zu bekämpfen, sondern das Gegenteil davon: Deflationstendenzen entgegenzuwirken. Amerika hat kein Inflationsproblem, übrigens auch nicht auf der Erwartungsebene. Vor diesem Hintergrund ist eine restriktive Zinswende nicht erforderlich.

Beobachter spekulieren nun, dass die Fed die Zinswende nun im Oktober oder im Dezember einläuten könnte. Was erwarten Sie?
Damit ist die Fed in einem Dilemma. Denn jetzt im Oktober oder Dezember die Zinsen zu erhöhen, um sich wieder vor aller Welt zum Herrn des Verfahrens zu machen, ist auch gefährlich. Der Zins-Schuss könnte sozusagen nach hinten losgehen. Es könnte Asien und Lateinamerika erschüttern. Der im Extremfall stattfindende Kapitalabfluss könnte aus einer Mücke einen Elefanten machen und stimmungsseitig eine fundamental immer noch solide volkswirtschaftliche Situation durch die Hintertür zersetzen.

Zur Bekämpfung von Kapitalflucht kämen dann nämlich auch asiatische und lateinamerikanische Länder auf die Idee, mit Zinserhöhungen die Stärkung der eigenen Schwellenland-Währung zu betreiben. Leider zerstört diese Geldpolitik aber auch Wirtschaftspotenzial im Inland und macht die bereits bestehenden Kreditblasen immer unbeherrschbarer. Finanzhistorisch war genau diese Entwicklung regelmäßig zu beobachten: Die Fed prescht mit Zinserhöhungen vor und die anderen folgen. Nennen wir es den Fed-Zinskopplungseffekt. Die Leitzinssätze entwickeln sich im Schlepptau der USA, obwohl aus binnenwirtschaftlichen Gründen eine entspannende Zinspolitik betrieben werden müsste.

Ich erwarte in diesem Jahr eher keine Zinswende. Man wird abwarten, was bis Jahresende passiert - in Asien, in Lateinamerika und bei den Rohstoffen, die für die Inflation wichtig sind.

Hat die Fed also gestern die womöglich beste Gelegenheit für eine Anhebung des Schlüsselsatzes für die Geldversorgung der Banken von bislang null bis 0,25 Prozent in diesem Jahr verpasst?
Die Fed hat schon lange den Zeitpunkt für eine Zinswende verpasst. Je länger man abwartet, desto schwieriger wird es. Dinge, auszusitzen hat sich noch nie in der Politik bezahlt gemacht und auch nicht in der Geld-Politik. Es ist wie in der Liebe: Wenn man seiner Angebeteten nicht irgendwann einen Antrag macht, ist sie vielleicht für immer verloren.

Was bedeutet diese Entscheidung für den Außenwert des Dollar und was für die traditionell starke deutsche Export-Wirtschaft?
Dieser Repatriierungseffekt zeigt sich auch in einem stärkeren Euro gegenüber US-Dollar, der von der ausbleibenden Zinswende profitiert. Der Euro wird nicht mehr so stark sinken wie erwartet. Und die Gemeinschaftswährung gewinnt im Trend auch gegenüber seinen wichtigsten Handelswährungen. Eine ähnliche Entwicklung konnte schon während der Asien-Krise 1997/1998 beobachtet werden. Doch spielt sich die Euro-Stärke eher im Kopfkino der Anleger ab, weniger fundamental. Deutschlands Exportindustrie hatte auf mit Euro-Kursen weit über 1,20 keine wirklichen Probleme. Außerdem wirken die äußerst günstigen Rohstoffpreise wie Balsam auf die Gewinne der Unternehmen. Ihre Margen sind deutlich gestiegen, im Übrigen auch die Kaufkraft der Konsumenten in der westlichen Welt.

Was erwarten Sie für die weitere Entwicklung an den Märkten: Bleibt es jetzt erst mal bei den Zitterbörsen?
Es ist fraglich, ob in diesem Jahr noch eine Zinswende in den USA stattfindet. Das Votum des Offenmarktausschusses der Fed war zu eindeutig. Man wird zunächst wohl abwarten, wie sich die Weltwirtschaft bis Ende des Jahres entwickelt.

Finanzwirtschaftliche Blasenbildung- in den USA auch über den Aktienkauf über Kredit - werden zunehmen. Die Aktienmärkte werden unter zunehmender Volatilität weiter nach oben tendieren.

Und für die Geldpolitik dürfte ein Faktor immer wichtig sein: Je größer die Aktienblase, je größer auch die Anleiheblase, umso weniger kann sie den Finanzmärkten ihr Spielzeug Liquidität nicht wegnehmen. Denn umso stärker wird der Zusammenbruch der Finanzwelt werden. Dagegen ist das Platzen der Immobilienblase ab 2008 nur ein Sturm im Wasserglas gewesen.

Die Geister, die die Notenbanken riefen, werden sie nicht mehr los.

Die EZB versucht die Wirtschaft in der Eurozone ebenfalls durch Anleihekäufe und historisch niedrige Zinsen zu stabilisieren. Wie lange können sich die europäischen Notenbanker eigentlich dem Druck der Kapitalmärkte entziehen, wenn die Fed demnächst doch an der Zinsschraube dreht?
Die EZB wird sich diesem Druck entziehen müssen. Unsere Konjunktur läuft nicht so rund in der Eurozone, dass wir irgendwie über dem Berg sind. In diesem Szenario brächte ein nochmaliger Finanzpolit-Zirkus um Griechenland das Fass zum Überlaufen sowie EU und Eurozone an den Rand des politischen Ruins. Dann wären auch die ersten Bonitätsherabstufungen auch von Deutschland nur noch eine Frage der Zeit. Somit ist Griechenland im Besitz eines Blankoschecks: Debatten über Wirtschaftsreformen und ihre Umsetzung muss sich das Land nicht mehr antun. Diesen "Stabilitätsluxus" kann sich Europa einfach nicht mehr leisten.

Diese Befreiung von der germanischen Stabilität geht aber weit über Griechenland hinaus. Für gewährte Solidarität in puncto Flüchtlingskrise wird als Gegenleistung die massive, im Extremfall sogar komplette Aufweichung von Haushaltsdisziplin verlangt und auch gewährt werden. Und natürlich wird die EZB die großzügige Gegenfinanzierung durch Anleiheaufkäufe von Staatsschulden übernehmen und noch massiv ausweiten. Die Stabilitätsunion wird endgültig keinen Puls mehr haben. Kanzler Helmut Schmidt hätte so etwas Realpolitik genannt. Was interessiert uns das Stabilitätsgerede von gestern? Immerhin geht der Kelch einer massiven Marktverunsicherung durch eine Euro-Krise 2.0 an uns vorbei, zumindest vorerst.

Die EZB hat Geister gerufen, die sie nie mehr los wird.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?
Der DAX steht bei über 11.000 Punkten. Die Volatilität wird kräftig zunehmen.



Holger Schmieding, Chefvolkswirt Berenberg Bank: Die Zinswende ist überfällig

Herr Schmieding, die von vielen erwartete Leitzins-Erhöhung der US-Notenbank ist gestern ausgeblieben. Die Entscheidung im Offenmarkt-Ausschuss fiel offenbar fast einstimmig. Wie überrascht sind Sie?
Gar nicht. Die Fed scheut Risiken. Dass sie angesichts der Schwellenland-Turbulenzen vorerst nichts tun würde, hatte sich seit Wochen abgezeichnet. Bereits im August hatte sie ja darauf verzichtet, die Märkte auf eine unmittelbar bevorstehende Zinswende vorzubereiten.

Die Fed hat die Entscheidung vor allem mit den Risiken in China begründet. Ist die Lage dort tatsächlich so wackelig, dass eine Zinsanhebung in den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zusätzlich gebremst hätte?
Nein, die US-Binnenkonjunktur ist robust. Das kann einen kleineren Rückschlag für die Außenwirtschaft durch weniger Ausfuhren nach China und in andere Schwellenländer weitgehend ausgleichen. China schwächelt. Aber so wacklig ist die Lage dort auch nicht, dass China die US-Konjunktur ernsthaft gefährden würde.

Aber die Sorge vor einer Preisblase in den USA wächst. Die Konjunktur brummt, die Inflation ist niedrig, die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei nur noch 5,1 Prozent. Ist die Zinswende angesichts dieser Eckdaten in den USA nicht eigentlich überfällig?
Eine Preisblase sehe ich in den USA nicht. Der Wohnungsmarkt erholt sich gut, ist aber von einer Blase meilenweit entfernt. Auch das Kreditwachstum bleibt bisher moderat. Aber die US-Konjunktur samt Arbeitsmarkt hätte etwas höhere Zinsen durchaus verkraften können. Eigentlich ist die Zinswende überfällig. Aber die Fed ist nun mal eher übervorsichtig.

Beobachter spekulieren nun, dass die Fed die Zinswende nun im Oktober oder im Dezember einläuten könnte. Was erwarten Sie?
Im Oktober wohl kaum, vermutlich im Dezember, wenn sich die Lage in Schwellenländern etwas beruhigt hat. Allerdings auch dafür hat die Fed kein klares Signal gesandt.

Aber im Dezember sind die Umsätze an den Börsen wegen des bevorstehenden Jahreswechsels traditionell eher gering. Hat die Fed also gestern die womöglich beste Gelegenheit für eine Anhebung des Schlüsselsatzes für die Geldversorgung der Banken von bislang null bis 0,25 Prozent in diesem Jahr verpasst?
Wenn die Fed die Märkte auf einen Zinsschritt im Dezember gut vorbereitet, dürfte das keine großen Probleme bereiten. Märkte reagieren vor allem dann, wenn sie überrascht werden. Aber richtig ist: wenn die Fed gewollt hätte, hätte sie einen Schritt im September gut rechtfertigen können.

Was bedeutet diese Entscheidung für den Außenwert des Dollar und was für die traditionell starke deutsche Export-Wirtschaft?
Die Entscheidung schwächt den Dollar etwas.

Was erwarten Sie für die weitere Entwicklung an den Märkten? Bleibt es jetzt erst mal bei den Zitterbörsen?
Solange die Schwellenländer noch nicht den Boden erreicht haben, werden die Märkte auch bei uns nervös bleiben.

Die EZB versucht die Wirtschaft in der Eurozone ebenfalls durch Anleihekäufe und historisch niedrige Zinsen zu stabilisieren. Wie lange können sich die europäischen Notenbanker eigentlich dem Druck der Kapitalmärkte entziehen, wenn die Fed demnächst doch an der Zinsschraube dreht?
Da die EZB auf Drängen der Bundesbank erst viel später als die US-Fed eine hinreichend expansive Geldpolitik mit Anleihekäufen eingeleitet hat, hinkt die Euro-Konjunktur etwa zwei Jahre hinter der US-Konjunktur hinterher. Entsprechend wird die Zinswende bei uns rund zwei Jahre später kommen als in den USA. Wer die richtige Medizin zu spät einnimmt, braucht halt länger, bis er wieder voll auf den Beinen ist.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?
Etwas höher als heute.