Sein Vorgänger Reto Francioni hat sich zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Staub gemacht - er fühlt sich im Hinterzimmer wohler als auf der großen Bühne. Nach zehn Jahren als Vorstandschef wird sich Francioni am Mittwoch auf der Hauptversammlung von den Aktionären der Börse verabschieden. Ende des Monats übernimmt Kengeter, der seit April im Unternehmen ist, die Führung von Deutschlands größtem Börsenunternehmen. Investoren, Mitarbeiter und Kunden haben hohe Erwartungen an den früheren Investmentbanker, der schon für die UBS und Goldman Sachs gearbeitet hat. Intensiv diskutiert wird die Frage, ob Kengeter bei dem hochprofitablen Konzern - die Eigenkapitalrendite lag zuletzt bei 24 Prozent - nur kleinere Anpassungen vornehmen wird. Oder ob die Börse unter ihm wieder große Zukäufe und Fusionen in Angriff nimmt.

Francioni hat von hochtrabenden Plänen nach der geplatzten Fusion mit der New York Stock Exchange vor drei Jahren Abstand genommen. Kengeter hält sich diese Option Insidern zufolge dagegen offen. Natürlich weiß auch er, dass Deals in der Börsenlandschaft schwierig sind - immer wieder scheiterten sie am Widerstand von Aufsehern und Politik, für die eine eigene Börse ein Prestigeobjekt ist.

Auf Seite 2: Vorbild London?





VORBILD LONDON?

Analysten und Investoren halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass die Deutsche Börse mit Dickschiffen der Branche wie der London Stock Exchange, der Chicagoer Derivatebörse CME oder der europäischen Mehrländerbörse Euronext zusammengeht. Andere Übernahmen, etwa der Madrider Börse BME, solle der Konzern aber durchaus in Betracht ziehen, um in Zeiten mauer Handelsumsätze für mehr Wachstum zu sorgen, sagt einer 20 größten Aktionäre. "Auch Zukäufe im Technologiesektor sind eine Option, schließlich vermischt sich das Geschäft von Börsenbetreibern und IT-Konzernen immer stärker."

Gutheißen würden Analysten darüber hinaus Zukäufe im gewinnträchtigen Index-Geschäft. Dank der steigenden Beliebtheit von börsennotierten Indexfonds (ETFs), die beispielsweise auf dem Dax oder dem EuroStoxx basieren, verspreche dieser Bereich hohes Wachstum, sagte der Top-20-Aktionär. "Das sollte sich die Deutsche Börse auf jeden Fall anschauen." Als Vorbild dienen könnte dabei die Londoner Börse. Deren Chef Xavier Rolet hat im vergangenen Jahr fast drei Milliarden Dollar für den US-Index-Anbieter Russell ausgegeben - und wurde dafür von den Investoren gefeiert.

Auf Seite 3: "Ein bisschen Wirbel"





"EIN BISSCHEN WIRBEL"

Kengeter hält sich zu seinen Plänen bisher bedeckt. Einem Insider zufolge hat er bis September Zeit bekommen, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Dann soll der gebürtige Schwabe, der noch nie für ein deutsches Unternehmen gearbeitet hat, dem Aufsichtsrat seine Ideen präsentieren. Kengeter spricht mehrere europäische Sprachen und auch ein bisschen Chinesisch. Da er auch einige Jahre in Hongkong gearbeitet hat, hoffen die Investoren, dass die Deutsche Börse in der Region unter seiner Führung noch stärker Fuß fasst.

Als sicher gilt, dass Kengeter das Geschäft mit den Investmentbanken ausbauen will, schließlich kennt er deren Bedürfnisse aus eigener Erfahrung. Die Deutsche Börse hat aus seiner Sicht viele gute Produkte - aber Defizite, diese an den Mann zu bringen. Kengeter sei ein "Marktmensch", der sich vom stillen Strategen Francioni grundlegend unterscheide, sagt ein hochrangiger Investmentbanker, der beide kennt. "Kengeter ist jemand, der die Ärmel hochkrempelt." Die Deutsche Börse werde davon profitieren. "Ein bisschen Wirbel tut dem Laden ganz gut, wenn es kein unsinniger Wirbel ist."

Reuters