Deutschlands Konzerne sind deutlich internationaler aufgestellt als ihre Konkurrenten in den USA und in den Schwellenländern. Die Favoriten in einer künftig multipolaren Weltwirtschaft.
Auf der wirtschaftspolitischen Weltbühne ist vieles in Bewegung. Zum 1. Januar 2024 sollen der Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien die 2006 gegründete wirtschaftliche Kooperation Brasiliens, Russlands, Indiens und Südafrikas, kurz BRICS, zu BRICS-Plus erweitern. Ob das ein Bündnis in Konkurrenz zu den westlichen Industrieländern wird, ist noch offen. Währenddessen berieten Vertreter der Industrieländer auf dem Wirtschaftssymposium der US-Notenbank in Jackson Hole über "Strukturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft". Die bisherige Form der Globalisierung ist offensichtlich zu Ende. Die Fehde zwischen den beiden größten Volkswirtschaften USA und China, die den jeweiligen wirtschaftlichen Protektionismus verschärft, die gravierenden Störungen der globalen Lieferketten während der Pandemie, Russlands Krieg in der Ukraine: All das ändert den globalen Handel rasant.
Multipolar statt global
Eine multipolare Wirtschaftsordnung, deren größte Akteure noch alle nicht erkennbar sind, löst die Globalisierung ab. Zwischen den Jahren 1990 und 2008 legte der Anteil des globalen Handels, also die Summe der Ex-und Importe von Gütern und Dienstleistungen, an der globalen Wirtschaftsleistung von 37,6 auf knapp 61 Prozent zu. Nach der Finanzkrise 2009 wurde dieses Niveau nicht mehr erreicht. 2021 stellte der globale Handel nach Angaben der Welthandelsorganisation WTO noch 56,5 Prozent der Weltwirtschaftsleistung und verlor danach weiter an Schwung.
55 Prozent des Umsatzes fahren europäische Konzerne außerhalb der EU ein. Der Auslandsanteil ist deutlich höher als bei US-Konzernen.
Während der Neuordnung der Weltwirtschaft dürften vor allem Amerika und China deutlich mehr Einfluss beanspruchen, im ungünstigen Fall auch zulasten Europas. Am deutlichsten wird diese Neuverteilung an den europäischen Börsen zu spüren sein, in London, Paris oder Frankfurt. Die dort notierten Konzerne sind wesentlich internationaler aufgestellt als jene an der Wall Street und den Handelsplätzen in Schwellenländern. Laut einer Analyse der US-Bank Morgan Stanley fahren europäische Konzerne im Schnitt 55 Prozent ihrer Erlöse außerhalb des Alten Kontinents ein. US-Konzerne haben 29 Prozent ihres Geschäfts außerhalb Nordamerikas, die Börsenschwergewichte in Schwellenländern setzen nur 26 Prozent der Erlöse außerhalb ihres Heimatmarktes um. In der künftig multipolaren Ordnung der Weltwirtschaft könnten deshalb auch DAX-Konzerne mit jeweils hohen Umsatzanteilen in der EU, Amerika oder China im Vorteil sein. In einigen Branchen, zum Beispiel Autos und Chemie, wo China der größte Einzelmarkt ist, ist der Weg für internationale Konzerne vorgezeichnet. Die Chemie liefert Vorprodukte und spezielle Materialien wie Kunst-und Schaumstoffe in nahezu jeden Zweig einer Volkswirtschaft. Die Branche hat somit in China viel Aufholpotenzial. Im Automarkt ist die zweitgrößte Volkswirtschaft mit über einer Milliarde Menschen bei Trends wie Elektromobilität und autonomem Fahren in der ersten Reihe.
Gratwanderung in China
Chemieprimus BASF investiert in der chinesischen Hafenstadt Zhanjiang zehn Milliarden Euro in seinen drittgrößten Standort nach Ludwigshafen und Antwerpen. Fast die Hälfte der bis 2027 für Asien-Pazifik geplanten 28,8 Milliarden an Investitionen gehen nach China. Aktuell setzen die Ludwigshafener in China geschätzte 13 Prozent von zuletzt 87,2 Milliarden Euro Erlös um. Mit dem weiteren Aufstieg des Landes dürfte der Anteil schnell zulegen. Für westliche Konzerne wird die Präsenz in China durch den autoritären Führungsstil des Pekinger Politbüros jedoch eine zunehmend schwierige Gratwanderung, auch wenn einige wie BASF dort große Freiheiten haben. Der DAX-Konzern baut und betreibt seinen Verbundstandort in Eigenregie.
Premiumautobauer BMW hat in Shenyang sein drittgrößtes Werk nach Dingolfing in Bayern und Spartanburg in den USA. Vor eineinhalb Jahren erhöhten die Bayern ihren Anteil am Joint Venture mit China-Partner Brilliance Automotive auf 75 Prozent, auch das ist für westliche Konzerne eine Besonderheit. Bei Batteriezellen für Elektroantriebe haben chinesische Firmen heute 45 Prozent Weltmarktanteil, entsprechend groß sei der Umfang der eigenen Lieferverträge mit diesen Zulieferern, sagt BMW. Für Porscheist China mit gut 31 Prozent des Umsatzes der größte Markt, nach Nordamerika mit fast 28 Prozent.
Infineon-Chips werden in Elektroantrieben für Autos, bei leistungsfähigeren Assistenzsystemen und für autonomes Fahren verbaut, ebenso in Windund Solarparks. All diese Märkte sind in China am größten. Infineon fährt 37 Prozent der Erlöse im Reich der Mitte ein. Die Hälfte davon sind Zulieferungen für Endprodukte, die aus China exportiert werden. Auf Taiwans Bedrohung durch China hat Infineon reagiert. Der Konzern warb intensiv für das Werk des taiwanischen Chipauftragsfertigers TSMC in Dresden und beteiligt sich an der Fabrik seines wichtigen Lieferanten. In Asien baut Infineon ein neues Werk in Malaysia.
Auch Amerika verändert sich
In den USA hat Infineon mit den milliardenschweren Zukäufen von International Rectifier und Cypress Semiconductor stark zugelegt. Heute würden die Deals wohl nicht mehr genehmigt, sagen Analysten. Auch Telekom-Chef Tim Höttges dürfte froh sein, dass die Tochter T-Mobile US den Kauf des US-Konkurrenten Sprint im Jahr 2020 abschließen konnte. T-Mobile US hat zu den Riesen AT &T und Verizon schnell aufgeschlossen und liegt beim 5G-Mobilfunk vorn. In Amerika fest etabliert ist auch MTU Aero Engines. Der Triebwerkspezialist und Wartungsdienstleister für zivile Flugzeuge ist Entwicklungspartner von Pratt & Whitney, einer Tochterfirma des US-Rüstungskonzerns Raytheon. Und zum Portfolio des Stuttgarter Lkw-Weltmarktführers Daimler Truck gehört schon seit 1981 Freightliner, Amerikas populärer Lkw-Hersteller.
Es gibt auch Märkte, wo die Hürden für Konkurrenten aus dem Ausland besonders hoch sind, bei Stromnetzen und in der politisch sensiblen Rüstungsbranche zum Beispiel. Versorger E.on ist mit der Neuordnung des Strombranche in Deutschland zu Europas größtem Netzbetreiber aufgestiegen. In Europas Rüstungsbranche schon länger an der Spitze ist DAX-Neuzugang Rheinmetall. Schwieriger ist der Aufstieg im europäischen Markt für Börsendaten, da es dort vor allem starke Konkurrenten aus Großbritannien gibt. Der größte Kauf der Deutschen Börse, der dänische Spezialist für Analysesoftware Simcorp, bringt den Betreiber der Frankfurter Börse nun aber stark voran.
AMERIKA - Etablierte Favoriten
2023 dürfte für Lkw-Weltmarktführer Daimler Truck ein Rekordjahr werden. Wegen der Vollauslastung werden Aufträge für 2024 erst nach und nach aufgenommen. Für Nordamerika sind die Bücher für 2024 noch geschlossen. T-Mobile US ist der starke Wachstumstreiber der Telekom. MTU und Partner Pratt & Whitney sollten die Rückrufaktion wegen chemischen Verunreinigungen bei einigen Metallteilen in Turbinen gut überstehen.
CHINA - Besonders verlockend
BASFs geschätzter Umsatzanteil in China liegt erst bei 13 Prozent, deshalb fehlt der Konzern in der Liste. BASF wird dort jedoch, wie BMW, besonders geschätzt. Porsches Sportwagen sind bei der betuchten Klientel des Landes ebenfalls begehrt. Wichtige Märkte für Chipentwickler Infineon wie E-Autos, Fahrassistenzsysteme sowie Solar-und Windparks sind im Reich der Mitte sehr groß.
EUROPA Hohe Eintrittsbarrieren
Die Deutsche Börse könnte ihre Prognose für 2023 erhöhen, Simcorp stärkt den Bereich Daten &Analytik. Eon betreibt den Großteil der deutschen Verteilernetze für Strom und Gas, mehr als 800000 Kilometer. Wachstum bringt die Energiewende. Rheinmetall profitiert von den höheren Rüstungsausgaben der Europäer. Nichteuropäische Firmen haben es in diesen Märkten schwer.
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