E in Großteil des weltweiten Ölhandels wird von einer kleinen Reihe von Büros aus gesteuert, die sich im feinen Londoner Stadtteil Chelsea befinden. Von hier aus herrscht der Reeder John Fredriksen über die weltweit größte Flotte von Supertankern, das wertvollste Tiefwasser-Bohrunternehmen, eine Armada von Schiffen, die Mineralien, Getreide und Flüssiggase transportieren, sowie die weltgrößte Produktion von Zuchtlachs.
Der bullige, hemdsärmelige Norweger mit dem wettergegerbten Gesicht eines Seemanns, der seine Karriere als Laufbursche bei einem Schiffsmakler begonnen und nie eine Universität besucht hat, ist in der vornehmen Welt der Reeder eine Ausnahmeerscheinung. "John war ein Außenseiter", sagt einer von Fredriksens ersten Bankern. Er war ein gelegentlich brutaler Draufgänger, der hohe Risiken einging, ein besessener Deal-Maker mit einem ungeheuren Arbeitseinsatz, der nicht davor zurückschreckte, sich Feinde zu machen. So wurde er laut "Forbes" zum "einflussreichsten Öltankerbesitzer seit den Tagen, als der griechische Tycoon Aristoteles Onassis die Seewege beherrschte".
Vor schwerer See hat sich Fredriksen, der von der Presse den Titel "Wikinger-König" erhielt, nie gefürchtet. Er hat den Ruf, Geschäfte zu machen, über die die wenigsten seiner Rivalen überhaupt nachdenken würden. Heute kontrolliert er über seine Investmentgesellschaften die größte Öl- und eine der größten Flüssiggas-Tankerflotten der Welt. Außerdem stieg er bei der Reederei Overseas Shipping Group ein, ferner beim Fischzüchter Marine Harvest und bei Seadrill, dem Betreiber von Ölbohrinseln.
Fredriksen kam 1944 in Oslo als Sohn eines Werftschweißers zur Welt. Er wuchs in einfachsten Verhältnissen im Vorort Ostkanten auf. Hier sind vor allem Arbeiter aus den nahen Fabriken zu Hause. Der "große Wolf" schonte sich nicht, Erfolge konnten seinen Ehrgeiz nie stillen. "Das Leben ist keine Strafe", soll ihn mal seine Frau Inger ermahnt haben. Die Zahnärztin, die aus der berühmten norwegischen Unternehmerfamilie Astrup stammte, starb 2006 an Krebs. Mit 16 ging Fredriksen von der Schule ab und besuchte anschließend ein Abendgymnasium. In den Ferien jobbte er als Bote bei einem Osloer Schiffsmakler. Es wurde zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Denn das war seine Welt, diese Geschäfte mit exotischen Ländern, mit fremdartigen Waren und großen Schiffen. Er entschlüsselte Telexnachrichten, die ihm zeigten, welche Unternehmen Fracht nach Übersee verschiffen wollten und welche Reeder gerade nach Chartermöglichkeiten suchten. Mit diesen Informationen, so wurde ihm schnell klar, konnte man große Dinge bewegen.
Fische, Kräne und Öl
Später machte er sich als Schiffsmakler selbstständig und verschiffte Ladungen mit Frischfisch von Island nach Hamburg. Aber Europa wurde ihm schnell zu klein. Er suchte sein Glück in Übersee, in New York, Singapur und London. In den späten 60er-Jahren landete er in Beirut. Von der libanesischen Hauptstadt aus vermietete er Schlepper und Lastkähne an das US-Militär, das während des Vietnamkriegs Nachschub ins Mekongdelta verschiffte. Und er stieg ins Ölgeschäft ein, transportierte mit einem angemieteten Tanker Rohöl aus dem Mittleren Osten nach Osteuropa.
1973 kaufte Fredriksen seinen ersten Frachter, die Caricom - und verlor gleich sein Investment von 700 ?000 Dollar, als das Schiff in der Karibik mit einem Maschinenschaden liegen blieb. Als Mitte der 70er-Jahre wegen der Ölkrise der Handel mit mit dem Rohstoff beinahe zusammenbrach und Norwegens Fjorde zu Parkplätzen ausgemusterter Tanker wurden, kaufte Fredriksen viele Schiffe auf. Nachdem die langfristigen Charterpreise für Tanker von 1973 bis 1977 auf historische Tiefststände gefallen waren, übernahm Fredriksen, der damals Anfang 30 war, viele Verträge. Und als die Frachtraten 1978 wieder anzogen, vermietete er die Schiffe auf dem täglichen Spotmarkt zu Preisen, die um ein Vielfaches höher waren als die von ihm gezahlten. Er erlebte seinen ersten großen Zahltag: 40 Millionen Dollar strich er ein!
Lukrative Risikofahrten
1979 begann die Zeit der großen politischen Umwälzungen in der Golfregion. Präsident Jimmy Carter hatte Ölexporte aus dem Iran verboten, nachdem islamische Revolutionäre die US-Botschaft in Teheran besetzt und 52 Amerikaner als Geiseln genommen hatten. Und im September 1980 begann der Erste Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran, der acht Jahre dauern sollte.
Fredriksen setzte voll auf Risiko, er war einer der wenigen Reeder, die zu der Zeit überhaupt noch in der Golfregion und in der gefährlichen Straße von Hormus operierten. 1983 begann der Reeder, jeden Monat 700 000 Tonnen Öl in zwei Tankschiffen vom iranischen Terminal Kharg über den Suezkanal nach Syrien zu transportieren. Die Gewinne waren enorm.
In die Schlagzeilen geriet der verschwiegene und pressescheue Magnat als ruchbar wurde, er habe das Apartheidregime in Südafrika durch Öllieferungen gestützt. Er wies die Kritik zurück. Fredriksen war in seiner Heimat indes nicht glücklich. Aus steuerlichen Gründen (O-Ton: "Es ist heute fast unmöglich, in Norwegen Geschäfte zu machen.") zog er nach London, lebt im Stadtteil Chelsea in einem palastartigen Haus, das er einem griechischen Reeder für 57 Millionen Dollar abgekauft hatte. Später gab Fredriksen sogar seinen norwegischen Pass zurück und nahm die zyprische Staatsbürgerschaft an. Seine Probleme mit den norwegischen Behörden eskalierten 1986, als die Staatsanwaltschaft ihm vorwarf, Tausende Tonnen Rohöl zum Betrieb von Tankern gestohlen zu haben, die ihm seine Kunden eigentlich zum Transport überlassen hatten. Außerdem habe er Versicherungsbetrug begangen und das Leben der Besatzungsmitglieder durch die Verwendung von Rohöl als Treibstoff für seine Schiffe gefährdet. Fredriksen bestritt die Vorwürfe. Aber er saß fast vier Monate in Untersuchungshaft. Er brachte sich in der Zelle das Stricken bei und strickte Pullover für seine Zwillingstöchter Kathrine und Cecilie.
Heute lebt Fredriksen in Oslo, London, Zypern und dem spanischen Badeort Marbella. Er besitzt einen Gulfstream-Businessjet, fährt schnelle Autos und sammelt norwegische Kunst. In seiner Freizeit geht er mit Freunden im norwegischen Outback fliegenfischen. peb