Herr Quinsee, müssen US-Investoren eine Erhöhung des Leitzinses fürchten?
Die Anleger, die am US-Aktienmarkt in den vergangenen Jahren dank der lockeren Geldpolitik der Notenbank hohe Gewinne erzielen konnten, sind auf jeden Fall gut beraten, sich auf ein Zinserhöhung im Laufe des Jahres einzustellen. Die Zinssätze waren zu lange zu niedrig. Jetzt geht es wieder in Richtung Normalisierung. Die fällige Zinswende ist jedoch kein Grund zur Panik, Anleger sollten sie vielmehr positiv sehen. Sie ist schließlich Ausdruck der wirtschaftlichen Erholung in den USA. Die konjunkturelle Dynamik wiederum schafft gute Rahmenbedingungen für die Unternehmen, die Gewinne zu steigern.
Erhöht sich durch eine Leitzins-Anhebung der Schuldendienst für die Unternehmen?
Nein. Wir haben keine allzu große Kreditausweitung in den vergangenen Jahren erlebt, vielmehr gelang es den Unternehmen, ihre Schulden abzubauen. Die Entscheidung der US-Notenbank wird daher keine schweren Turbulenzen an den Märkten auslösen.
Ab welcher Höhe kann man denn von einem "normalen" Zinsniveau sprechen?
In der Vergangenheit galt ein Leitzins zwischen drei und vier Prozent als normal. Wann dieses Niveau erreicht sein wird, lässt sich nur schwer prognostizieren. Die Fed wird auf alle Fälle sehr behutsam vorgehen und die Folgen für Konjunktur und Jobmarkt nach jeder Anhebung sorgfältig prüfen.
Leitet die erste Zinserhöhung Ihrer Meinung nach das Ende des Bullenmarktes ein?
Nein. Historisch betrachtet geht ein Börsenaufschwung erst dann zu Ende, wenn die Wirtschaft wieder in eine Rezession rutscht. Dafür gibt es bislang aber keine Anzeichen, insbesondere nicht in den USA. Wir erwarten auch in den kommenden Jahren ordentliche Wachstumszahlen, die Unternehmen werden noch für längere Zeit zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt Geld für Investitionen aufnehmen können.
Fed-Chefin Janet Yellen warnt allerdings vor zu hohen Bewertungen.
In den Jahren 2009 bis 2012 waren die Bewertungen sehr günstig. Sie sind nun auf dem langfristigen Durchschnitt angekommen, somit auch nicht exzessiv hoch. Am Bondmarkt ist das anders. Da kann man sehr wohl von einer Überbewertung sprechen. Auch das spricht aus Allokationssicht für eine weitere Nachfrage nach Aktien und damit für anhaltend steigende Kurse. Wir erwarten 2015 eine Kurssteigerung im hohen einstelligen Bereich.
Im ersten Quartal ist die US-Wirtschaft jedoch nur um 0,2 Prozent gewachsen. Was erwarten Sie für das Gesamtjahr?
Das magere Wachstum in den ersten Monaten des laufenden Jahres ist wie schon im ersten Quartal des vergangenen Jahres auf den strengen Winter und auf weitere Einmaleffekte zurückzuführen. In den kommenden Quartalen werden die Zuwachsraten deutlich höher ausfallen. 2015 ist ein Plus von zwei bis drei Prozent möglich.
Auf Seite 2: Motivation der Unternehmen und Konsumenten
Das motiviert die Unternehmen, ihre Investitionen zu erhöhen?
Ja, dadurch entstehen neue Jobs, beim Autobauer GM ist die Beschäftigung wieder auf den höchsten Stand seit der Pleite im Jahr 2009 gestiegen. Zudem erhöhen Unternehmen wie Walmart die Löhne, allein davon profitieren über zwei Millionen Beschäftigte. Solche Entwicklungen sorgen für einen nachhaltigen Aufschwung.
Das hebt auch die Stimmung der Konsumenten?
Ja, dank steigender Löhne und größerer Jobsicherheit, aber auch aufgrund des niedrigen Ölpreises beurteilen die Verbraucher ihre finanziellen Aussichten zunehmend positiv und steigern ihre Ausgaben.
Es gibt aber auch Gegenwind. Der Dollar ist im Vergleich zum Euro und zum Yen stark gestiegen.
Richtig, die Unternehmen, die im Inland produzieren, leiden unter dem verschärften Wettbewerb aus dem Ausland. Auch die Exportunternehmen spüren den starken Dollar. Allerdings produziert eine ganze Reihe von Unternehmen außerhalb der USA. Die sind von der Dollarstärke deutlich weniger betroffen. Trotz des Gegenwindes sind die Gewinnaussichten der im S & P 500 gelisteten Unternehmen weiterhin positiv. Wir rechnen im Schnitt mit einem Plus von vier Prozent. Klammert man den Energiesektor aus, der unter dem starken Rückgang des Ölpreises leidet, erwarten wir auf Basis des S & P 500 ein Gewinnwachstum von elf Prozent. Das unterstützt die Kurse.
Welche Branchen sind für Investoren besonders interessant?
Der Finanzsektor hat sich in der Vergangenheit und auch in diesem Jahr bislang schwächer als der Gesamtmarkt entwickelt. Wir erwarten jedoch für das Jahr 2015 ein Gewinnwachstum von im Schnitt 17 Prozent. Die Branche zählt nicht zuletzt zu den Profiteuren einer Zinserhöhung. Ihre Profitabilität ist zudem im Vergleich zu europäischen Banken höher.
Welche Institute finden sich im Portfolio des JP Morgan Funds US-Value?
Die Manager sind beispielsweise von Wells Fargo und dem Versicherer AIG überzeugt.
Welche Branchen sind zudem aussichtsreich?
Dazu zählt sicherlich der Bereich Health Care. Das durchschnittliche Gewinnwachstum schätzen wir auf zwölf Prozent.
Aktien aus dem Energiesektor sind deutlich unter Druck geraten. Bietet sich Anlegern mittlerweile eine Einstiegsgelegenheit?
Wir haben zwar bereits eine Kurserholung gesehen. Das Gewinnwachstum ist aber weiterhin deutlich negativ. Wir warten daher erst einmal ab, die Einzeltitelselektion spielt eine große Rolle spielt.
Sollen Anleger mehr auf Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung setzen oder sich verstärkt auf Small Caps konzentrieren?
Die Kurse der kleinen Unternehmen sind im vergangenen Jahr zurückgeblieben. Nun haben sie wieder aufgeholt. Aktuell gibt es keinen Unterschied, beide Segmente sind attraktiv.
Auf Seite 3: im Profil
Paul Quinsee
Paul Quinsee ist Chief Investment Officer für US-Aktien. Er arbeitet seit 1992 für J.P. Morgan Asset Management. Seit dem Jahr 2001 ist er Teil des Teams für US-Werte. Davor war er Client Portfoliomanager für globale Aktien in London und New York. Zuvor war er fünf Jahre als Aktienfondmanager bei der Citibank sowie zwei Jahre für die Investmentgesellschaft Schroder Capital Management tätig. Quinsee hat einen Abschluss der University of Durham.