von Robert Halver

Die GroKo tut viel zu wenig für die deutsche Wirtschaft bzw. deren Standortfaktoren. Aber wenn nicht jetzt, wann dann?

Denn zunächst leidet unser Exportgeschäft unter Preisrückgängen im Euro-Raum: Das nährt die Gefahr, dass Konsumenten ihren Konsum und Unternehmen ihre Investitionen immer mehr in die Zukunft verschieben, weil es immer billiger wird. Sie warten ab und hoffen darauf, dass - frei nach einer bekannten Werbebotschaft - aktueller Geiz zukünftig geil sein könnte. Wenn aber zu viele zu lange warten, fängt sich die Eurozone den japanischen Deflationsvirus ein, der - wenn man ihn erst einmal hat - hartnäckig ist wie Kaugummi, der am Schuh klebt.

Ein dramatisches deutsches Wirtschafts-Handicap sind mangelnde Unternehmensinvestitionen. Große deutsche Unternehmen wie BMW, Siemens, SAP oder Bayer investieren offensichtlich lieber im Ausland - vor allem in den USA oder Asien - als in Deutschland. Sie werden wissen warum. Aber wir wissen es auch: Die Berliner GroKo hätte zwar alle politischen Möglichkeiten, die deutsche Wirtschaft ohne den Widerstand einer großen Volkspartei nach vorn zu bringen. Aber haben Sie den Eindruck, dass in Berlin in punkto Reformen ein großes Rad gedreht wird? Der deutsche Wirtschaftsstandort wird verwaltet, aber nicht im Sinne einer Fortsetzung der Agenda 2010 weiter reformiert. Will man wirklich warten, bis der deutsche Mittelstand anfängt, die Koffer zu packen und uns nette Postkarten aus Übersee sendet?

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Wirtschaftlich ist für Deutschland mehr drin

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Spanien, Portugal, Irland und Griechenland (!) 2015 stärker wachsen als Deutschland. Ja, natürlich kommen diese Länder nach ihren dramatischen Wirtschaftseinbrüchen jetzt in den Genuss eines Basiseffektes. Ja und, Ländern wie die USA, Kanada oder Großbritannien scheint es dennoch mühelos zu gelingen, nachhaltig hohe Wachstumsraten oberhalb von zwei Prozent zu halten. Und wir freuen uns schon über ein Wachstum mit einer "eins" vor dem Komma wie Schüler, die ihr Abitur geradeso mit vier bestanden haben.

Für mich ist da mehr drin. Aber was macht die Bundesregierung? Statt Gegenmaßnahmen zu ergreifen, freut sich Herr Schäuble, der erste Bundesfinanzminister seit 1969 zu sein, der keine neuen Schulden mehr macht. Leider spart er am falschen Ende, nämlich an der Wirtschaftsinfrastruktur Deutschlands. Was nutzt dem Kassenwart eines Bundesligavereins ein ausgeglichenes Vereinskonto, wenn man in der Weltwirtschafts-Champions League nur Mittelklasse ist?

Dabei müsste allen deutschen Politikern klar sein, dass eine solide deutsche Infrastruktur die entscheidende Basis für die dynamische Wirtschaftsentwicklung Deutschlands nach dem II. Weltkrieg gewesen ist. Heute hat die deutsche Infrastruktur ihre besten Jahre hinter sich. Heute braucht niemand wirklich einen Spurhalteassistenten in seinem Pkw. Denn die vielen Schlaglöcher in den Straßen machen ein Einschlafen des Fahrzeugführers doch ohnehin unmöglich.

Auf Seite 3: Ohne ordentliche Infrastruktur kein ordentliches Wirtschaftswachstum



Ohne ordentliche Infrastruktur kein ordentliches Wirtschaftswachstum

Zur großflächigen Hebung von Wachstumschancen muss die alte, teilweise museumsreife infrastrukturelle Basis in Deutschland wieder auf Vordermann gebracht werden. Stillstand ist Rückgang. Sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass wir gegenüber unseren europäischen Konkurrenten doch gut aufgestellt sind, ist einfältig gedacht. Es geht um unsere Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene, also gegenüber unserer wirklichen Konkurrenz aus China, Südkorea oder den USA, wo in punkto Infrastruktur nicht gekleckert, sondern geklotzt wird. Konkret brauchen wir umfängliche Investitionen in Brücken, Straßen, Schienenverkehr, Netze, in die konsequente Energiewende, die immer noch unausgegoren ist, aber ebenso für Forschung, Entwicklung und Bildung - z.B. Tablets statt Hefte für unsere Schüler - im hohen dreistelligen Milliardenbereich.

Das wenig sinnvolle Sparen an Nettoanlageinvestitionen, die von neun Prozent Anteil an der deutschen Wirtschaftsleistung Anfang der 90er Jahre auf zuletzt unter zwei Prozent gefallen sind, kostet die deutsche Volkswirtschaft Arbeitsplätze, Einkommenszuwächse, Kaufkraft und damit viel Wirtschaftswachstum, das es über steigende Steuereinnahmen aber erst ermöglicht, nachhaltig ausgeglichene Staatshaushalte - nicht nur vorübergehend - zu erreichen.

Auf Seite 4: Wenn sich Deutschland verschuldet, macht der Finanzminister sogar noch Gewinn



Wenn sich Deutschland verschuldet, macht der Finanzminister sogar noch Gewinn

Die Bundesregierung hat aktuell eine wunderbare Gelegenheit, die deutschen Standortfaktoren von Flensburg bis Passau, von Aachen bis Frankfurt/Oder oder auch im Ruhrgebiet mit den zinsgünstigsten Staatsschulden aller Zeiten auf Weltniveau zu heben. Es wäre eine regelrechte finanzpolitische Verschwendung, wenn man die aktuell ultraniedrigen Kreditzinsen nicht nutzen würde, die uns Mario Draghi mit seiner "Atemlos durch die Nacht-Geldpolitik" beschert.

Aktuell liegen die Renditen bis zur Laufzeit von sechs Jahren im negativen Terrain. Nach der offiziellen Inflation von derzeit 0,2 Prozent - wohl wissend, dass die tatsächliche deutlich höher liegt - ist sogar erst ab dem Laufzeitbereich acht Jahre ein Realzins zu entrichten. D.h., in den meisten Laufzeitbereichen macht der Bundesfinanzminister mindestens real einen Gewinn, wenn er sich verschuldet.

Selbstverständlich müssen bei dieser Staatsverschuldung zwei Bedingungen immer strikt eingehalten werden: Erstens müssen die Maastricht-Neuverschuldungskriterien ohne Wenn und Aber erfüllt sein. Hier muss Deutschland Vorbild sein. Und zweitens dürfen die öffentlichen Mittel niemals für staatlichen Konsum oder wahlpopulistischen Schnick-Schnack verwendet werden.

Mit derartigen Infrastrukturinvestitionen schlüge die deutsche Politik gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Neben dem Aufbau einer deutschen Infrastruktur auf Weltklasseniveau profitierten auch unsere Euro-Partnerländer von mehr deutschen Industrie- und Bauaufträgen. Damit täte Deutschland auch etwas für den Euro-Wirtschaftsfrieden.

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Die Bundesregierung sollte einen guten Wirtschafts-Vorsatz für 2015 fassen

Deutsche Politiker sollten nie vergessen, wie schnell im Extremfall - siehe ab 2008 - aus einem soliden deutschen Aufschwung ein Abschwung mit anschließender Rezession wurde. Dagegen wirken nachhaltige Infrastrukturinvestitionen gegen Rezessionstendenzen wie Vitamine gegen Erkältungen.

Übrigens könnte man an Infrastrukturprojekten auch private Investoren - wie dies bereits in anderen Ländern der Fall ist - beteiligen. Was ist denn als Anlageprojekt plausibler, als die finanzielle Beteiligung an z.B. Autobahnen oder Brücken, die die Anleger selbst jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit befahren? Überhaupt, große Kapitalsammelstellen wie Versicherungen suchen händeringend nach attraktiven Anlageideen jenseits der ausgetretenen Pfade des unattraktiv gewordenen Zinsvermögens.

Also liebe Bundesregierung, fassen Sie einen guten Vorsatz für 2015: Sparen Sie nicht an der deutschen Infrastruktur, investieren Sie darin. Das sind Zukunftsinvestitionen. Denn dann klappt es auch wieder mit deutschen Unternehmensinvestitionen. Nicht zuletzt würde es die deutschen Aktien und deren Aktionäre, die ja auch Wähler sind, freuen.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG:

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Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.