"Die Autoindustrie ist technologisch eine der Schlüsselbranchen, es ist die Leitindustrie schlechthin in Deutschland", sagt Industrieexperte Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Wenn es zu Absatzeinbußen kommt, könnte es auch Zulieferer treffen und damit die gesamte Wirtschaft."

Wie wichtig die Autobranche für die heimische Wirtschaft ist, zeigt der Blick auf nackte Zahlen. Im vergangenen Jahr beschäftigte der Industriezweig rund 775.000 Männer und Frauen. Dies sind knapp zwei Prozent der 42,7 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland. Rund ein Drittel aller Ausgaben für Forschung und Entwicklung entfällt auf die Autoindustrie.

Ihr Umsatz im In- und Ausland stieg 2014 um fast zwei Prozent auf knapp 370 Milliarden Euro. Zudem sind Fahrzeuge und Autoteile der beste Exportschlager, den Deutschland zu bieten hat. Hier lieferte die Branche im Vorjahr Waren im Wert von 203 Milliarden Euro ins Ausland. Dies ist mit großem Abstand vor Maschinen und Chemieprodukten der Löwenanteil aller Exporte. Der Anteil der Autoindustrie an den gesamten Ausfuhren lag bei rund 18 Prozent.

GANZE AUTOINDUSTRIE IN SIPPENHAFT?



Die Sorge kommt auf, dass deutsche Produkte im Ausland im Zuge des VW-Skandals einen Imageschaden erleiden. Dies dürfte die größte Volkswirtschaft Europas wegen der starken Exportorientierung besonders stark treffen. Der Exportverband BGA allerdings gibt sich zuversichtlich, dass die Geschäfte weiter gut laufen. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass jetzt ein Generalverdacht gerechtfertigt ist für alles, wo 'Made in Germany' draufsteht", betont der stellvertretende BGA-Hauptgeschäftsführer Andre Schwarz.

Die Wirtschaft habe sich über lange Jahre ein gutes Image im Ausland aufgebaut. "Wir sehen nicht die Gefahr, dass dieses Vertrauen durch einen - wenn auch schwerwiegenden - Fall grundsätzlich erschüttert wird."

Ähnlich sieht dies Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: "Ich glaube nicht, dass die deutsche Autoindustrie als Ganzes in Sippenhaft genommen wird." Der Experte sieht nur begrenzte Folgen für die Konjunktur. "Rezessionen werden nicht durch einzelne Unternehmen verursacht." Wichtiger sei vielmehr die Entwicklung in China - und zwar nicht nur für die deutsche Autoindustrie, sondern für die gesamte Wirtschaft. "Die konjunkturelle Abschwächung in China geht weiter", mahnt Krämer. "Die deutsche Wirtschaft wird sich davon nicht abkoppeln können."

KONJUNKTUR-RISIKO VOLKSWAGEN



Deutlich pessimistischer gibt sich ING-DiBa-Chefökonom Carsten Brzeski. "Volkswagen ist über Nacht ein größerer Risiko-Faktor für die deutsche Wirtschaft geworden als Griechenland." Sollte der Volkswagen-Absatz in Nordamerika in den nächsten Monaten wegen des Skandals einbrechen, werde dies auch Auswirkungen für die deutsche Konjunktur haben. "Kurzfristig dürften die Folgen für die Wirtschaft zwar gering sein, aber mittelfristig birgt der Skandal ein deutliches Risiko - auch wegen der zahlreichen Zulieferer, die von Volkswagen abhängig sind."

Gefährlich wäre es laut DIW-Mann Gornig, wenn sich herausstellen würde, dass die deutschen Autobauer bei der Dieseltechnik ihr Versprechen nicht halten können, umweltschonende und leistungsfähige Autos zu bauen. "Das könnte zu dauerhaften Absatzeinbußen führen, wenn die Kunden sagen, das können die gar nicht."