Chipmangel und zunehmende Materialengpässe machen den deutschen Autobauern und -zulieferern immer stärker zu schaffen. Nach einer Umfrage von BÖRSE ONLINE unter Autoanalysten zeichnen sich branchenweit nicht nur weitere Produktionsunterbrechungen ab. Auch die Gewinnprognosen wackeln. Dafür drohen Sparprogramme und Dividendenkürzungen. "Die 2021er Prognosen sind Makulatur, neue Sparprogramme sind sicher. Die Controller wetzen schon die Messer", sagt der Autoexperte und Ex--BMW-Chefvolkswirt Helmut Becker gegenüber BÖRSE ONLINE.

Einen Vorgeschmack lieferte der japanische Branchenprimus Toyota. Berichte über drastische Produktionskürzungen um 40 Prozent im September schickten vergangene Woche Aktien branchenweit auf Talfahrt. Mittlerweile werden auch die Alarmsignale aus der größten deutschen Industriebranche stärker. Bei Volkswagen wird es im Stammwerk in Wolfsburg nach der Sommerpause Produktionseinschränkungen und Kurzarbeit geben. Lieferprobleme sorgten "herstellerübergreifend für erhebliche Störungen in der weltweiten Fahrzeugproduktion", heißt es von VW.

NordLB-Analyst Frank Schwope hält nun Sparprogramme und Dividendenkürzungen für am wahrscheinlichsten, wie er sagte. Gleichwohl erinnert er daran, dass einige Konzerne trotz Chipmangel und Materialknappheit im ersten Halbjahr noch Rekordergebnisse eingefahren haben. Doch im zweiten Halbjahr könnten die Engpässe zu stärkeren Produktions- und Umsatz-ausfällen führen, sodass die Ergebnisse möglicherweise unter Druck geraten.

"Stärkster Zwang zur Drosselung"


Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler verweist ebenfalls darauf, dass die Autoindustrie mit Chipknappheit und steigenden Preisen bislang relativ gut zurechtgekommen sei. Teilweise seien Jahresprognosen sogar angehoben worden, in manchen Fällen, wie bei Daimler und Schaeffler, bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. "Das zeigt die hohe Leistungsfähigkeit der Branche. Sie ist krisenerprobt und kann sich erstaunlich schnell auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen", erläutert Pieper. Zudem sei die Finanz-lage der meisten Unternehmen "besser als die Börsenstimmung", weshalb er teilweise auch positive Überraschungen erwartet.

Doch nach einer Umfrage des Industrie- und Handelsverbands DIHK ist die Autobranche nur die Spitze des Eisbergs. Einer Umfrage unter 3000 Unternehmen aus allen Bereichen zufolge klagen 83 Prozent über Lieferengpässe und Preisanstiege. Die Probleme träfen die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite, doch in der Fahrzeugbranche sei der Zwang zur Drosselung am stärksten, heißt es beim DIHK.

Laut Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer führt die Chipkrise mittlerweile dazu, dass 2021 weltweit 5,2 Millionen Fahrzeuge nicht gebaut werden können. 2022 werden dann wohl weitere 2,3 Millionen Autos auf der Strecke bleiben.