Diese Steuer sollte mal ein großer Wurf werden. Im Jahr 2011 wurde plötzlich klar, dass europäische Staaten wie Griechenland, Spanien oder Italien völlig überschuldet sind. Zocker gingen damals mit Derivaten Finanzwetten ein, bei denen sie auf die Kursabstürze von europäischen Firmen, Pleiten von Banken und Staaten oder gleich auf ein Ende des Euro wetteten. Die Kurse von Aktien und Anleihen fuhren Achterbahn. Und weil die Investmentbanken und Zocker diese Wetten untereinander eingingen, gefährdeten sie sich damit auch noch gegenseitig. Denn hatte sich einer verzockt und konnte seine Wette nicht begleichen, brachte das andere ins Straucheln - ein Dominoeffekt. So etwas darf nie wieder passieren, waren sich Europas Finanzminister einig und vereinbarten, sich eine Besteuerung auf Finanzwetten auszudenken, um wilde Spekulationen einzudämmen.
Nun liegt ein Gesetzvorschlag von Finanzminister Olaf Schild für diese Steuer vor - und ist nicht mehr als ein schlechter Scherz. Scholz plant laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" im Verbund mit anderen EU-Staaten - neben Deutschland sollen das Belgien, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und die Slowakei sein - nämlich eine reine Aktienabgabe: Besteuert werden sollen mit 0,2 Prozent je Transaktion nur Anteile großer Konzerne mit einem Börsenwert von mehr als einer Milliarde Euro.
Sparer und Investoren werden abkassiert, Zocker verschont
In Deutschland gibt es rund 150 Aktien, die von der Steuer betroffen wären, darunter alle DAX-Aktien wie SAP, Linde, Siemens, die Allianz oder VW. Das sind genau jene Aktien, die in der Regel in den Depots deutscher Kleinanleger liegen, in den Aktienfonds stecken, in die sie ihre Vermögenswirksamen Leistungen einzahlen oder in die Vorsorgewerke und Pensionskassen investieren, weil diese Titel als solide und verlässlich gelten. Na klar, auch Zocker investieren in solche Papiere. Und man kann sich natürlich sagen, dass ihre Besteuerung nun mal den Kollateralschaden mit sich bringt, dass man auch Kleinanleger trifft. Doch das wäre viel zu kurz gegriffen.
Dazu muss man sich nur einmal ansehen, welche Produkte Olaf Scholz von der Steuer ausnimmt: Nämlich Derivate, mit denen man auf Kursabstürze bei Unternehmen, Pleiten von Staaten und Banken oder gleich auf ein Ende des Euros wetten kann. Genau die wollte man, siehe oben, aber unattraktiver machen. Dass diese Produkte nun verschont werden, liegt nicht daran, dass der Markt zu unbedeutend oder klein wäre. Am Derivatemarkt sind laut einer eher konservativen Schätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich im Moment Finanzwetten für rund 550 Billionen US-Dollar abgeschlossen, das ist etwa das zehnfache der Weltwirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Am globalen Aktienmarkt sind laut Weltbank rund 70 Billionen Dollar investiert.
Hat der Finanzminister keine Ahnung von Finanzen?
Olaf Scholz zielt mit seiner Steuer, die Zocker verschont und Aktiensparer und Investoren abkassiert, also nicht nur auf die Falschen. Er lässt sich auch eine Menge Geld entgehen. Mutmaßlich liegt das daran, dass sich der Finanzminister entweder nicht mit Finanzgeschäften auskennt, oder dass die Derivateindustrie und die Zocker, die man im Zaum halten wollte, fleißig am Gesetzesvorhaben mitgeschrieben haben. Entsprechend scharf ist die Kritik am Gesetzesvorschlag.
Selbst die Grünen, die in den vergangenen Jahren vehement eine solche Steuer gefordert haben, sehen das Vorhaben als völlig gescheitert an. Sven Gielgold, Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, sagte schon vor Wochen, als erste Eckpunkte des Plans durchgesickert waren, er fühle sich "verschaukelt": Der aktuelle Plan sei "Etikettenschwindel", er habe "mit der ursprünglichen Idee der Transaktionssteuer nichts zu tun, weil alle Derivate ausgenommen sind", so Giegold gegenüber der "taz". Die Liberalen sehen das ähnlich: "Weil der Groko das Geld ausgeht, muss wieder die Mitte der Gesellschaft zahlen", so die FDP-Bundestagsabgeordnete Bettina Stark Watzinger heute auf Twitter. Die Finanztransaktionssteuer sei nicht nur eine reine Aktiensteuer, die vor allem Kleinaktionäre treffe, sondern auch "ein Subventionsprogramm für Derivate". Eine erstaunliche Einigkeit von Grünen und FDP, die sonst wenig gemeinsam haben.
Der Plan verfehlt das Ziel und beschädigt das Image von Aktien weiter
Werden die Pläne Realität, könnte sich am Ende eine schöne Lose-Lose-Situation ergeben. Die Zockerei an den Finanzmärkten wird munter weitergehen, sie wird von der Steuer ja nicht tangiert, weshalb sie ihre Lenkungsfunktion nicht erfüllt. Der durch die Steuer eingenommene Betrag für die Grundrente wird längst nicht so groß sein, wie er sein könnte. Der größte Kuchen, nämlich der Derivatemarkt, wird ja gar nicht angeschnitten. Und Sparer, die ihr Vermögen bisher auf dem Konto vergammeln und von negativen Realzinsen langsam auffressen lassen, könnten weiter einen Bogen um den Aktienmarkt machen, weil die Steuer das ohnehin schlechte Image der Anlageklasse weiter beschädigt. Langfristig wäre das fatal - übrigens nicht nur für die Sparer, die im Alter nachweislich deutlich besser dastehen würden, wenn mehr von ihnen mit Aktien langfristig fürs Alter vorsorgen würden. Sondern auch für den Staat, der das ja mit Maßnahmen wie der Grundrente auffangen muss, wenn viele seiner Bürger nicht adäquat fürs Alter vorgesorgt haben. Und genau die soll durch die Transaktionssteuer nun finanziert werden. Absurder geht es nicht.