An Schokolade lässt einen die braunrote Frucht nicht denken, die Hauke Will in seiner Hand wiegt. Ihre Form gleicht eher einem amerikanischen Football. Doch so einer wächst nicht auf Bäumen, schon gar nicht auf einer Plantage für Ritter Sport. "Das ist eine Kakaofrucht, und sie enthält so viele Bohnen, dass wir aus ihr eine Tafel Schokolade herstellen können", sagt Will. Er ist Produktionschef auf der ersten Kakaoplantage des schwäbischen Schokoladenunternehmens Alfred Ritter und steht zwischen mannshohen Bäumen, die voller grüner Blätter sind. Die Luft ist drückend schwül, Insekten schwirren überall, die Sonne brennt.

Vor vier Jahren hat Ritter damit begonnen, eine der größten Kakaoplantagen der Welt tief im Südosten Nicaraguas anzulegen. Sie hat die Ausdehnung von mehr als 1000 Fußballfeldern. "Wir machen das, um direkten Einfluss auf die Umweltbedingungen des Kakaos nehmen zu können", erklärt der Agraringenieur. "Wir wollen über soziale Arbeitsbedingungen nachhaltigen und qualitativ hochwertigen Kakao anbauen." 20 Prozent des eigenen Rohstoffbedarfs soll die Plantage in Nicaragua künftig decken.

Ritter betritt damit nicht nur als Firma Neuland. Auch in der Branche geht kaum jemand so weit. Bisher kaufen die großen Süßwarenproduzenten ihre Ware vor allem über Händler ein. Eine Plantage unterhalten weder der laut eigener Auskunft weltweit größte Schokoladenproduzent Barry Callebaut noch die Schokoriegel- und -tafelriesen Mondelez und Nestlé. "Rund 80 Prozent des weltweiten Kakaoanbaus liegen in den Händen von kleinen regionalen Produzenten", sagt Will.

Deshalb sorgt vor allem Kakao aus Afrika immer wieder für Negativschlagzeilen. Auf manchen Plantagen arbeiten Kinder in sklavenähnlichen Verhältnissen, wie Hilfsorganisationen anprangern. Westliche Süßwarenhersteller schauen weg, weil sie die Plantagen nicht besitzen, sondern am Markt einkaufen. Ein Grund, warum viele Hersteller bisher nicht bereit waren, selbst anzubauen, ist das Preisrisiko. Denn mit dem Auf und Ab der globalen Kakaopreise rechnet sich der Anbau mal besser, mal schlechter.

Gerade bei fallenden Preisen wie derzeit ist es für die Firmen billiger, die Rohware zuzukaufen - insbesondere aus den riesigen Anbaugebieten Westafrikas, wo etwa zwei Drittel des weltweit konsumierten Kakaos herkommen und die Bauern weniger als einen Dollar pro Tag verdienen, schreibt Barry Callebaut in einer Studie.

Der aktuelle Preissturz ist besonders heftig. Eine Tonne Rohkakao war Anfang März an der New Yorker Rohstoffbörse mit 1900 Dollar so billig wie seit acht Jahren nicht mehr. Innerhalb von sechs Monaten gaben die Notierungen um über 30 Prozent nach. Der Markt sorgt sich wegen anhaltender Kakaoschwemme. Weil in dieser Saison eine Rekordernte erwartet wird, ist erstmals seit Jahren wieder mit Überschuss zu rechnen. Der typische Schweinezyklus droht: Da die Preise in den jüngsten Jahren auf hohem Niveau lagen, bauten die Bauern ihre Produktion aus - vor allem in der Elfenbeinküste. Zugleich ging mit dem Preisanstieg die Schokoladennachfrage in den beiden Hauptkonsumregionen Europa und USA zurück - voriges Jahr laut Barry Callebaut um rund zwei Prozent. Die Kakaoorganisation ICCO fürchtet, dass die Überschüsse für Jahre anhalten könnten.

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Ein sensibles Pflänzchen



Doch da sind Analysten skeptisch. "Die Elfenbeinküste macht den Unterschied", heißt es bei der Commerzbank. Das Land konnte als einziges die Produktion in der Vergangenheit kontinuierlich steigern. Viele andere Produzenten kommen da nicht mehr mit. Die Frage sei, wie die Landwirte angesichts niedriger Einkommen, die durch fallende Preise abermals unter Druck geraten, noch in die Pflege des Kakaos investieren sollen oder gar in den Ausbau. Die tropischen Gewächse brauchen allerdings Zuwendung, da sie zum Beispiel anfällig für Pilzkrankheiten sind. "Wir rechnen mit einer Seitwärtsbewegung der globalen Kakaoproduktion", so Rohstoffanalyst Carsten Fritsch.

Die Analysten von Moody’s sehen zudem den Schokoladenappetit in den Schwellenländern wachsen. Der könne den Überschuss ganz schnell aufzehren. Jeder Chinese isst im Schnitt bisher nicht mehr als zwei 100-Gramm-Tafeln Schokolade im Jahr. Die Deutschen gönnen sich über 80. Auch Barry Callebaut setzt angesichts steigenden Wohlstands und der Adaption westlicher Lebensgewohnheiten auf Asien. Der Umsatz mit Schokoladenspezialitäten in China werde sich in den kommenden vier Jahren um 40 Prozent auf rund 3,6 Milliarden Euro erhöhen, prognostiziert die Zürcher Firma.

Die Analysten sind sich einig: Die Kakaopreise werden kaum weiter fallen. Zuletzt hatten sie sich bereits leicht erholt. Mit großen Sprüngen nach oben ist kurzfristig aber auch nicht zu rechnen. Ein ETC (WKN: ETC 059) kann sich für Anleger dennoch lohnen. Die Commerzbank erwartet zum Jahresende einen Kakaopreis von 2300 Dollar.

Für die Branche ist der niedrige Preis eher positiv, werden doch viele Firmen anfangs ihre Marge ausbauen können, indem sie einen Teil des Preisrutsches einbehalten. Am wenigsten gilt das für Großhändler und Verarbeiter wie Olam mit Sitz in Singapur. Die Firma wurde durch den Kauf des Kakaogeschäfts des US-Konzerns Archer Daniel Midlands (ADM) zu einem der größten Händler von Rohkakao und stellt daraus Kakaopulver und Kakaobutter her. Die Margen aus diesen Prozessen würden zwar zurückgehen, räumte Olam-Chef Sunny Verghese unlängst ein, sie blieben aber auf hohem Niveau. Dem Agrarkonzern gelang im vergangenen Jahr der Turnaround. Allerdings werfen Umweltschutzorganisationen Olam vor, illegal Regenwald zu roden, um Palmölplantagen anlegen zu können.

Auch die Produzenten können ihre Marge angesichts billigerer Rohware ausbauen, wie Barry Callebaut unlängst andeutete. Die Schweizer rechnen für das laufende Jahr mit einem Absatzplus von vier bis sechs Prozent und mit einem überproportionalen Gewinnwachstum.

Dazu trägt auch ein neuer großer Deal mit Mondelez über 30 000 Tonnen Flüssigschokolade bei. Der US-Süßwarenriese versucht seine Margen durch eine ganz spezielle Preispolitik zu verbessern. So verkleinerte der Konzern die Packungen von Milka und Toblerone - eine Strategie, die Verbraucher anprangern. Ob das dem Absatz schadet, bleibt abzuwarten. Mondelez sieht sich auf Wachstumskurs und will die Gewinnmarge in diesem und im nächsten Jahr kräftig steigern. Kakao ist aber nur eines von vielen Geschäftsfeldern des Nahrungsmittelriesen - ähnlich wie bei der noch stärker differenzierten Nestlé. Die Schweizer waren wegen Mogelpackungen beim Riegel Lion ins Fadenkreuz von Verbraucherschützern geraten. Grundsätzlich dürfte der Wert aber vom wachsenden globalen Bedarf an Nahrungsmitteln profitieren.

Das gilt weniger für den US-Konzern Cargill, der die Schokoladenindustrie mit Zwischenprodukten beliefert. Die Kunden werden schnell Preisnachlässe fordern. Für die Firma spricht aber der Heimatmarkt. Denn der Schokoabsatz in Nordamerika hat Nachholpotenzial. Davon könnten vor allem heimische Hersteller profitieren. Der größte ist Hershey. Die Firma sieht ein jährliches Absatzplus von zwei Prozent in den USA, verglichen mit nur einem Prozent in Europa, und rechnet mit kontinuierlichem Umsatz- und Gewinnwachstum. Hershey setzt auch darauf, dass Verbraucher immer mehr Zwischenmahlzeiten verzehren.

Rocky Mountain Chocolate Factory könnte mittelfristig vom Edelkakaotrend profitieren. Die US-Firma ist Anbieter von Gourmetschokoladen. Für Anleger ist der Wert zudem wegen der starken Eigenkapitalposition interessant.



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