CLEMENS FUEST, IFO-PRÄSIDENT:



"Da auch Neuwahlen kaum grundlegend veränderte Mehrheiten bringen dürften, ist eine Minderheitsregierung wahrscheinlich. Für die Wirtschaftspolitik bringt eine Minderheitsregierung Risiken, aber auch Chancen. Das größte ökonomische Risiko besteht in der wachsenden Unsicherheit über den Kurs der Wirtschaftspolitik und die Stabilität der Regierung. Die Chance besteht darin, dass die Rolle des Parlaments gestärkt wird und über einzelne politische Entscheidungen ausführlicher und offener diskutiert wird. Die skandinavischen Länder und Kanada haben mit Minderheitsregierungen oft gute Erfahrungen gemacht."

JAN BOTTERMANN, CHEFVOLKSWIRT NATIONAL-BANK:



"Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen heute Nacht ist die politische Unsicherheit in Deutschland sprunghaft angestiegen. Dies war etwa am Rücksetzer des Euro zu erkennen. Wir erwarten allerdings nicht, dass es zu einer veritablen politischen Krise beziehungsweise zu einem nachhaltigen Kurswechsel in der deutschen Politik kommt. Für die Märkte maßgeblich ist derweil das gute internationale Umfeld, die der deutschen Wirtschaft auch weiterhin ein kräftiges Wachstum bescheren wird. Die marktimpliziten Indikationen verweisen zumindest bislang darauf, dass die politische Entwicklung kaum Spuren an den internationalen Märkten hinterlassen hat."

HOLGER SANDTE, EUROPA-CHEFVOLKSWIRT NORDEA:



"Aus meiner Sicht sind Neuwahlen Anfang 2018 wahrscheinlicher als eine Minderheitsregierung - oder dass die SPD doch noch über ihren Schatten springt. Damit wird die politische Unsicherheit in Deutschland um einige Monate verlängert. Der daraus erwachsende volkswirtschaftliche Schaden dürfte gering sein, denn die Fundamentaldaten sind stark und die Konjunktur hat viel Rückenwind.

Auf den Finanzmärkten könnte der Euro moderat nachgeben. Die Finanzwelt wird aber nicht infrage stellen, dass Deutschland ein stabiler Anker der Währungsunion bleibt, egal unter welcher künftigen Regierung. Die Unsicherheit würde allerdings deutlich steigen, wenn Merkel über die ganze Sache stolpert, denn sie wird im Ausland als Stabilitätsgarant gesehen."

MARCEL FRATZSCHER, PRÄSIDENT DIW:



"Die Sondierungen zwischen den Jamaika-Parteien haben Deutschland wochenlang in Atem gehalten und sind trotzdem nicht zum Abschluss gekommen. Sehr überraschend ist es nicht, denn sie waren wenig mehr als ein Abstecken roter Linien und die Suche nach kleinsten gemeinsamen Nennern. Noch sind hoffentlich nicht alle Stricke gerissen. Die Jamaika-Parteien müssen einen neuen Anlauf machen, denn sie wissen, für keine von ihnen würden Neuwahlen Erfolg versprechen.

Deutschland braucht eine handlungsfähige Regierung mit klaren Zielen und Visionen. Diesmal müssen die Parteien bei ihren Gesprächen die wichtigen Herausforderungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik adressieren. Es soll um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, um die Einhaltung der Klimaziele, um die Integration der Langzeitarbeitslosen und der Geflüchteten, um Digitalisierung, um eine Bildungsoffensive gehen."

JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:



"Natürlich ist die Unsicherheit Gift für die Wirtschaft. Aber das Scheitern der Jamaika-Sondierungen kann für die Unternehmen kein Schock sein, nachdem sich die Verhandlungen quälende vier Wochen hingezogen hatten. Darüber hinaus befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer äußerst robusten Verfassung. Die Wettbewerbsfähigkeit ist noch immer hoch, die lockere EZB-Politik facht die Nachfrage an. Die Wirtschaft hat also so viel Schwung, weshalb sich die zahlreichen Probleme - von schlechten Straßen bis zum langsamen Internet - vorerst nicht bemerkbar machen. Ich rechne weiter damit, dass wir im kommenden Jahr eine Zwei vorm Komma beim Wirtschaftswachstum haben werden.

Der Euro ist zwar zum Dollar merklich, aber nicht dramatisch gefallen. Der französische Präsident Macron hofft, im Dezember von Deutschland Unterstützung zu bekommen für seine Vorstellungen zur Währungsunion. Ich glaube, eine derart geschwächte Kanzlerin wird einen solchen Kurswechsel - der in Deutschland überdies unpopulär ist - kaum vollziehen."

THOMAS ALTMANN, PORTFOLIOMANAGER QC PARTNERS:



"An der Börse heißt es jetzt Katerstimmung statt Jahresendrallye. Die Unsicherheit ist jetzt größer als nach der Wahl. Deutschland droht eine längere Hängepartie. Und Unsicherheit mögen die Börsen und die Anleger gar nicht. Sollte die SPD bei ihrem Nein zur Fortsetzung der GroKo bleiben, gibt es nur zwei Alternativen: Eine Minderheitsregierung oder sofortige Neuwahlen - beides ein Novum in der deutschen Politikgeschichte. Und beides mit jeder Menge Unsicherheit verbunden.

Neuwahlen sind aktuell der größte Risikofaktor, auch für die Börse. Hier wäre die Hängepartie am längsten. Zudem weiß keiner, wie Neuwahlen ausgehen und wie es danach weitergehen kann. Deutschland könnte für eine längere Zeit politisch gelähmt sein. Das ist eine schlechte Nachricht: Nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte Euro-Zone und die gesamte EU."