Große Verlierer sind nach Einschätzung von Experten die Verbraucher, die mit weiter steigenden Strompreisen rechnen müssen. Das Wirtschaftsministerium wies allerdings die Darstellung zurück, es sei nichts gegen den Strompreisanstieg unternommen worden. Wegen Bedenken der EU-Kommission blieb zunächst weiter offen, inwieweit die energieintensive Industrie konkret von der Umlage für Erneuerbare ausgenommen bleibt.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel reiste dazu am Mittwoch nach Brüssel. Am Nachmittag kam der Vizekanzler zu den womöglich entscheidenden Verhandlungen mit dem für Wettbewerb zuständigen EU-Kommissar Joaquin Almunia zusammen, der in den Ausnahmen ein Problem für den Wettbewerb ausgemacht hat. Gabriel will einen möglichst großen Teil der betroffenen Industrien auch weiterhin von der Umlage befreien. Die Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) muss dann noch von Bundstag und Bundesrat verabschiedet werden.

Um sich eine größtmögliche Zustimmung im Bundesrat zu sichern, strebten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Gabriel (SPD) vorab eine Einigung mit den Bundesländern an. Bei einem Treffen im Kanzleramt gelang dabei am Dienstagabend der Durchbruch. Danach sollen sowohl die Ausbauziele für Windkraft höher ausfallen und auch Standorte in Binnenländern stärker gefördert werden als anfangs vorgesehen. Bei den Windparks auf hoher See sollen die Fördersätze moderater gesenkt und mehr Anlagen genehmigt werden können. Bayern und Thüringen setzten zudem Verbesserungen für Biogas-Anlagen durch.

"VIEL LICHT" UND VIEL SCHATTEN

An der Börse beflügelte die Einigung die Aktien-Kurse von Windenergie-Firmen. Der Kurs des Windstrom-Unternehmens Nordex stieg zeitweise um gut sieben Prozent auf ein Fünf-Monats-Hoch. Auch das Papier des Windturbinen-Konzerns Vestas legte zu.

Dessen ungeachtet nannte der Bundesverband Windenergie den Kompromiss schmerzvoll. Die Energiewende werde mit den Bund-Länder-Beschlüssen an Tempo verlieren. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), Hermann Falk, sprach indes von "viel Licht in der Einigung". Damit erhielten die Betriebe mehr Planungssicherheit. Er räumte aber ein, dass die Verbraucher beim Strompreis kaum Entlastungen zu erwarten hätten. Die Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Hildegard Müller, mahnte, die Vereinbarungen müssten nun schnell umgesetzt werden.

Gemischt waren die Reaktionen aus der Industrie: Der weltgrößte Chemiekonzern BASF begrüßte, dass bestehende Kraftwerke der Industrie zur Erzeugung eigener Energie nicht in die Umlage einbezogen werden sollen. Der Spitzenverband der Industrie BDI würdigte zwar die rasche Einigung, "bleibt aber skeptisch", wie sein Führungsmitglied Holger Lösch sagte. Noch müsse ein schlüssiges Konzept für mehr Kosteneffizienz entwickelt werden. DIHK-Präsident Eric Schweitzer bemängelte einer Verwässerung der EEG-Reform. "Die Kosten werden nicht ausreichend gedämpft, eine weitere Steigerung der EEU-Umlage ist vorprogrammiert", klagte er. Dagegen sprach der Verband des Maschinenbaus VDMA von einem "Schritt in die richtige Richtung".

GRÜNE: EINIGE GIFTZÄHNE GEZOGEN

Verbraucherschützer rechnen mit zusätzlichen Stromkosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro durch die geplante Reform der Ökostrom-Förderung. "Das würde dann für einen durchschnittlichen Haushalt noch einmal 14 Euro mehr pro Jahr bedeuten", sagte Niels Schnoor vom Bundesverbandes der Verbraucherschutzzentralen der Nachrichtenagentur Reuters. "Das wird wahrscheinlich auch ein Problem für die Akzeptanz der Energiewende werden." Mit Unverständnis reagierten die Verbraucherschützer auf Überlegungen, den Schienenverkehr von den Ausnahmen von der Umlage für den Ökostrom zu streichen.

Auch die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftforschung (DIW), Claudia Kemfert, sieht die Verbraucher im Nachteil. "Gewinner sind eindeutig immer noch die Industrie, und Verlierer sind die Verbraucher", sagte sie zu Reuters. "Ein paar Bausteine hat man beiseite geräumt, aber bei weitem noch nicht alle." Ein Sprecher von Wirtschaftsminister Gabriel wies Klagen über einen weiteren Strompreisanstieg zurück. "Nein, die kann ich nicht nachvollziehen", sagte er.

Auch die Grünen-Parteichefin Simone Peter klagte im Nachrichtensender N-TV: "Der Strom bleibt leider weiter teuer, weil Gabriel und die Bundesregierung nicht die überbordenden Industrierabatte angehen." Immerhin sei ein Abwürgen der Windenergie verhindert worden, merkte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter an. Die Linken sprachen von einem Kompromiss auf dem Rücken privater Stromkunden und kleinerer Unternehmen. Selbst aus den Koalitionsreihen kam Kritik. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion Joachim Pfeiffer sprach von einem "teuren Tag für Deutschland" und "Wegelagerei der Bundesländer", die den Wirtschaftsstandort teuer zu stehen komme.

Reuters