von Karl Happe, Chefanlagestratege bei Allianz Global Investors
Auf der eine Seite deuten viele Signale auf eine Rezession hin. Andererseits mangelt es aber an harten ökonomischen Daten, die ein derartiges Szenario untermauern würden. Daher gibt es zwei andere Hauptverdächtige für die jüngsten Marktentwicklungen: den Ölpreis und die Regulierung.
Zunächst zum Ölpreis: Die bis Sommer 2015 anhaltende Aktienhausse war zu einem guten Teil auf Käufe durch die Staatsfonds der Ölförderländer zurückzuführen. Bei einem Ölpreis von über 100 Dollar pro Barrel wurden hohe Überschüsse aus Öl- und Gasverkäufen international angelegt. Der Einbruch des Ölpreises auf 30 Dollar pro Fass in der zweiten Jahreshälfte stellte diese Länder dann aber vor immense Probleme. Schätzungen zufolge benötigt etwa Saudi-Arabien einen Ölpreis von 70 bis 85 Dollar, um seine Staatsausgaben finanzieren zu können. Andere Länder - etwa Norwegen - sind zwar deutlich weniger ölpreisabhängig. Aber auch deren Staatsfonds treten nicht mehr als Käufer an den internationalen Aktienmärkten auf. Da die Ölförderländer traditionell einen nicht unerheblichen Teil ihrer Überschüsse in Aktien anlegen, hat dieser Umschwung von einer Nettokäufer- in eine Nettoverkäuferposition deutliche Spuren hinterlassen.
Hinzu kommt Druck auf viele regulierte Investoren in Europa, ihre Risikokapitalpositionen abzubauen. Dieser Druck resultiert vor allem aus dem anhaltenden Zinsrückgang. Viele Versicherer und institutionelle Anleger wie Pensionsfonds, die dem seit Jahresbeginn geltenden Regelwerk Solvency II unterliegen, beobachten infolge des extrem niedrigen Zinsniveaus eine Verschlechterung ihrer Solvenzposition. Sie müssen quartalsweise ihre Solvenzkennziffern auf Basis marktwertbasierter Vermögen und Verbindlichkeiten errechnen. Bei einem Zinsrückgang erhöht sich dabei der Gegenwartswert ihrer Verbindlichkeiten. Ist ihr Vermögen nicht fristenkongruent angelegt, steigt dies dagegen nur unterproportional. Sie müssen daher risikobehaftete Positionen abbauen, darunter auch Aktien.
Wie lange kann dieser Prozess anhalten? Dies ist naturgemäß schwer vorherzusagen. Aber: Es spricht einiges dafür, dass die Tiefs an den Aktien- und Zinsmärkten im Umfeld eines Quartalsendes erreicht werden - zu einem Zeitpunkt also, wenn die Risikokapitalpositionen berechnet werden. Bereits 2015 wurde ein temporäres Zinstief im März verzeichnet, im Zusammenhang mit den Quartalsberichten und starkem Asset-Liability-Hedging. Ähnlich sahen wir ein temporäres Tief am Aktienmarkt Ende September vorigen Jahres. Solange die Risikokapitalpositionen jeweils nur zum Quartalsende ermittelt werden und ein signifikanter Anteil der institutionellen Anleger seine Solvenzkennziffern marktwertbasiert berechnen muss, dürfte die Bedeutung von Quartalsstichtagen und Jahresultimos eher zu- als abnehmen.
Umgekehrt bedeutet dies: Wenn Investoren wissen möchten, wann die Gefahr weiterer Verkaufswellen vorbei ist, sollten sie auf den Ölpreis und die Zinsen schauen. Solange der Preis des schwarzen Goldes weit unter der budgetären Gewinnschwelle der Ölförderstaaten liegt, werden die Aktienverkäufe von Staatsfonds anhalten. Und solange die Zinsen weiter sinken, werden regulierte Investoren an ihre Seite treten. Sobald aber der Ölpreis steigt oder sich die Zinsen zumindest stabilisieren, könnte der Zeitpunkt zum Wiedereinstieg in den Aktienmarkt gekommen sein. Die gute Nachricht hierbei: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es nach Überwindung derartiger von Risikomodellen getriebener Verkäufe an den Aktienmärkten wieder schnell nach oben gehen kann. Dies bestätigte sich etwa 1987, als der US-Aktienmarkt innerhalb von drei Wochen ungefähr ein Drittel seines Wertes verlor. Nachdem Investoren die Einsicht erlangt hatten, dass die wirtschaftlichen Fundamentaldaten hiermit nicht in Einklang standen, kam es zur Gegenbewegung. Das Resultat: In weniger als zwei Jahren waren sämtliche Verluste wieder ausgeglichen.
Karl Happe
Der aus Boston stammende, gebürtige Amerikaner schloss ein Studium in Ingenieurwesen an der Princeton University mit höchster Auszeichnung ab und bekam von Insead einen MBA mit Prädikat. Seit Anfang 2013 ist er bei Allianz Global Investors Europe als CIO für Versicherungsmandate tätig, wo er ein Team leitet, das für Allianz und andere Versicherer Renten- und Aktienportfolios im Wert von über 120 Milliarden Euro managt.