Düster und tief hängen an diesem Januar-Tag die Wolken über der SAP-Zentrale nahe des beschaulichen Örtchens Walldorf. Dabei müsste hier die Sonne scheinen - an der Börse in Frankfurt ist Deutschlands größter Softwarekonzern mit knapp 146 Milliarden Euro das wertvollste Unternehmen. Im Oktober hatte der Weltmarktführer für Computerprogramme zur Planung der Ressourcen in Verwaltung und Produktion von Un­ternehmen (ERP) den spektakulären Wechsel an der Spitze des Konzerns reibungslos über die Bühne gebracht.

Der Raum für die erste Bilanzpressekonferenz des neuen Führungsduos ist ausgebucht. Ein Blitzlichtgewitter empfängt die Co-Chefs Jennifer Morgan (48) und Christian Klein (39).

Die SAP-Spitze liefert dann das Kon­trastprogramm zum Schmuddelwetter vor der Zentrale. Mit starken vorläufigen Zahlen für 2019 bietet SAP das, was Investoren in Aussicht gestellt wurde. Der Umsatz legte um zwölf Prozent auf 27,6 Milliarden Euro zu. Die Erlöse mit Cloud-Software stiegen um 39 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro. Das Geschäft mit Computerprogrammen, die nicht auf den Geräten installiert sind, sondern via Internet (sprich in der Cloud) genutzt werden, trägt wesentlich zum Wandel des Geschäftsmodells bei.

Die regelmäßigen Zuflüsse aus Cloud­Abos und -Service sollen im laufenden Geschäftsjahr rund 70 Prozent des Umsatzes bringen, 2023 sollen es 80 Prozent sein. Die hohen Zuwächse im Cloud-Geschäft belegen, dass sich der Umbau bei SAP bezahlt macht. Die Erlöse mit Abosoftware liegen höher als die 4,53 Milliarden Euro, die der Verkauf von SAP-Lizenzen 2019 eingespielt hat. Der geringe Rückgang von nur zwei Prozent im herkömmlichen Geschäft zeigt, dass der Wandel zu einem Geschäftsmodell mit stetigen Einnahmen aus Service und Cloud-Abos besser läuft als bei anderen Schwergewichten wie etwa Oracle. Das Wachstum des US-­Rivalen bei Cloud-Software und -diensten war zuletzt geringer, der Rückgang im herkömmlichen Softwarelizenz­geschäft höher als bei SAP.

Vom Umbau profitieren auch die Aktionäre des DAX-Konzerns. SAP-Aktien glänzten während der vergangenen fünf Jahre mit mehr als 120 Prozent Wertzuwachs, bei Oracle waren es nur knapp 40 Prozent. Im Juli hatte SAP ein neues Allzeithoch erreicht. Wenige Monate zuvor hatte der damalige Chef Bill McDermott mit Blick auf deutlich höher bewertete US-Wettbewerber wie Salesforce oder Workday angekündigt, den Börsenwert des Konzerns bis 2023 um mehr als 100 Milliarden auf 250 bis 300 Milliarden Euro steigern zu wollen. SAP habe sein Kerngeschäft rund um die ­ultraschnelle Datenbank "Hana" neu erfunden. Jetzt gehe es darum, effizienter zu werden, SAP zu optimieren, so der Amerikaner. Das kam nicht bei allen gut an. Rund 4.000 Mitarbeiter, auch Topmanager, haben SAP 2019 verlassen.

Führungsduo setzt Prioritäten neu


Auch Kunden waren teils gefrustet. Weltweit murrten sie laut über die mangelhafte Integration der Software - der neue Co-Chef Christian Klein spricht das Thema in Walldorf offen an. Klein, zuvor für das operative Geschäft ver­antwortlich, versteht die Geschäftsprozesse, die Kunden mitunter auf die Barrikaden bringen, bis ins Detail.

Er setzt die Prioritäten in der Unternehmensführung neu. Statt markanter Milliardenbeträge steht ein Kulturwandel bei ihm ganz oben auf der Liste. "Der Kunde steht an erster Stelle, und das ­endet nicht mit dem Verkauf. Die erfolgreiche Anwendung der Produkte gehört dazu. Wenn beides klappt, hat das voraussichtlich auch positive Auswirkungen auf den Börsenwert." Das Ziel von 250 bis 300 Milliarden Euro Börsenwert bleibt unausgesprochen, aber es wird auch nicht gestrichen.

Mehr Geld soll nun in die von Kunden geforderte bessere Integration der Software fließen - rund zehn Prozent des Forschungs- und Entwicklungsbudgets, das 2019 rund 3,9 Milliarden Euro betrug. Bei der Provision berücksichtigt SAP für fast alle Mitarbeiter nicht mehr nur den Verkauf von Software, sondern auch die Verwendung der Produkte bei den Kunden. Klein fragt: Wie viele der möglichen Anwender in einer Kundenfirma nutzen die Software tatsächlich? Deutet eine geringe Nutzungsrate auf mangelhafte Zufriedenheit hin, sollen Mitarbeiter beim Kunden nachfassen.

Bei ERP-Software ist SAP weltweit mit deutlichem Abstand die Nummer 1. Die Programme werden von mehr als 440.000 Firmen genutzt, die in ihren Netzwerken 3,3 Billionen Euro Handelsvolumen bewältigen. Die Software ist ein zentrales Element in der IT von ­Unternehmen, ähnlich wie Microsofts Betriebssystem Windows. Der Umzug dieses Fundaments in die Cloud birgt viel Potenzial für Wertsteigerungen. Auch dafür ist Microsoft ein Beispiel.

Wie Ex-Chef McDermott will auch das Führungsduo, dass SAP schneller entscheidet und damit fit wird für neue Technologien wie künstliche Intelligenz - auf Augenhöhe mit der US-Konkurrenz. Auch im Cloud-Geschäft ist bei Kundenzufriedenheit Tempo geboten: "Sie müssen Ihre Kunden in Tagen und Wochen überzeugen und halten, nicht in Jahren und Jahrzehnten", macht Jennifer Morgan Druck. Sie hat sich als Vertriebschefin und Leiterin des Amerika- Geschäfts bewährt und verantwortet jetzt auch SAPs Cloud-Business.

Salesforce als Rivale


Der neue große Wettbewerber ist ­Salesforce. Die Firma ist einer der Pioniere im Geschäft mit Abosoftware und mit einem Anteil von knapp 20 Prozent führend bei Programmen für die Verwaltung von Kundenbeziehungen, sogenannte Customer Relationship Management Software (CRM). SAP folgt in der Statistik des Marktforschers Gartner Group für 2018 auf Platz 2, allerdings mit nur etwas mehr als acht Prozent des Markts. Um das zügig zu ändern, wagte SAP Ende 2018 den acht Milliarden ­Dollar teuren Kauf der US-Cloud-Firma Qualtrics. Sie steht für mehr als 400 Millionen Dollar Umsatz 2018 und ist ein ­Pionier im CRM-Spezialsegment Ex­perience Management. Die Software wertet Daten zu Kunden, Mitarbeitern, Produkten und Marken aus, um Kundenzufriedenheit, Produktentwicklung, Mitarbeiterbewertung und das Feedback zu Websites zu messen.

Qualtrics Klientel unterscheidet sich deutlich von der SAP-Kundschaft. Die Firma mit jährlichen Wachstumsraten von 40 Prozent ist bei SAP eine selbstständige Einheit. Die wachse stärker als der Konzern und das mit einer sehr hohen Bruttoprofitabilität, lobt Finanzchef Luka Mucic. Man wolle das hohe Wachstumspotenzial heben. Geht der Plan auf, hätte SAP Investoren gezeigt, dass man sich mit der Cloud in Walldorf genauso gut auskennt wie im Silicon Valley.

Die Belohnung dafür wäre eine höhere Bewertung für SAP an der Börse - auch ohne explizite Ansage.

Investor-Info

Die Zahlen
Weltmarktführer


Der DAX-Konzern ist der weltweit größte Entwickler von Unternehmenssoftware. Europa lieferte 2019 rund 43 Prozent der insgesamt 27,6 Milliarden Euro Umsatz, aus Nordamerika stammten gut 40 Prozent. Der Zukauf der Cloud-Firma Qualtrics und das freiwillige Ausscheiden von 4.000 Mitarbeitern schmälerten den Nettogewinn für 2019 um 17 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro. Dennoch erreichte SAP alle Ziele. Im Cloud-Geschäft stieg die Profi­tabilität deutlich. Die Bruttomarge legte um fünf Punkte auf 68 Prozent zu. Bis 2023 sollen bis zu 80 Prozent des Umsatzes wiederkehrende Erlöse aus Service und Software-Abos sein. Das Umsatzziel für 2023: mehr als 35 Milliarden Euro.

Die Aktie
Noch viel Potenzial


Nach dem Gewinnrückgang 2019 und den durch den Konzernumbau jetzt niedrigeren Kosten stellt SAP beim um Sondereffekte bereinigten operativen Gewinn für 2020 nun 8,9 bis 9,3 Milliarden Euro in Aussicht - zuvor waren es 8,8 bis 9,1 Milliarden Euro. Die Dividende pro Aktie für 2019 soll trotz des Gewinnrückgangs höher sein als im Vorjahr, sagte Finanzchef Mucic. Zusätzlich will SAP weitere 1,5 Milliarden via Aktienrückkauf oder Dividende ausschütten. Attraktiv.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 145,00 Euro
Stoppkurs: 99,00 Euro

Salesforce
Zweistelliges Wachstum


Die 1999 gegründete Cloud-Softwarefirma hat ihre Marktführerschaft bei CRM-Programmen jüngst mit zwei Zukäufen erweitert. Der Konzern aus San Francisco hat laut Analysten das am besten diversifizierte Portfolio in seinem Markt. Sie trauen Salesforce jährliche Zuwächse von mehr als 15 Prozent zu. Der Umsatz für das Geschäftsjahr bis Ende Januar wird auf umgerechnet 15,4 Milliarden Euro geschätzt. Teuer, aber aussichtsreich.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 190,00 Euro
Stoppkurs: 125,00 Euro