Bei SAP waren sie in Sachen Zukäufe lange Zeit ziemlich genügsam. Man konzentriere sich auf Übernahmen, die kleinere Lücken im Portfolio schließen könnten, hatten SAP-Chef Bill McDermott und sein Finanzvorstand Luka Mucic in den vergangenen drei Jahren gebetmühlenartig verkündet. Doch am Sonntag war es mit der Bescheidenheit vorbei. Für acht Milliarden Dollar schnappt sich der Konzern den US-Anbieter Qualtrics.

Das Unternehmen mit Firmenzentralen in Seattle (US-Bundesstaat Washington) sowie Provo (Utah) gehört zu den Pionieren bei so genannten Experience Management (XM)-Lösungen. Mit ihnen können Unternehmen über unterschiedlichste Känale wie Web, Social Media, Apps oder Call Centern das Feedback von Kunden und Mitarbeitern zur eigenen Marke, sowie ihren Produkten und Lösungen verfolgen.



Auf Grundlage der entsprechenden Daten können Unternehmen ihren Kunden etwa maßgeschneiderte Angebote machen oder schneller erkennen, wo es mögliche Schwachpunkte gibt. Autobauer, verspricht Qualtrics etwa auf seiner Webseite, könnten mit Hilfe der XM-Lösungen den gesamten Verkaufsprozess verfolgen und so wertvolles Kundenfeedback sammeln, von der Werbung, über den Webseiten-Besuch und die Probefahrt bis hin zum Fahrzeugkauf und den folgenden Werkstattbesuchen.

Das Geschäft mit XM-Lösungen gilt als einer der größten Wachstumsmärkte für die kommenden Jahre. Der Gesamtmarkt berge alleine im laufenden Jahr ein Umsatzpotenzial von 44 Milliarden Dollar, heisst es in einer Investoren-Präsentation von SAP.

Die Übernahme von Qualtrics sei eine "einmalige Gelegenheit" gewesen, warb SAP-Chef Bill McDermott für den überraschenden Deal. Dank der Qualtrics-Lösung könne SAP seinen Unternehmen künftig zusätzlich zur operativen Entwicklung in Echtzeit auch das Kunden-Feedback in Realtime bereitstellen. Dies sei "das nächste große Ding" in der Software-Branche.

Für die nächsten Jahre erwartet Qualtrics ein Umsatzwachstum von 40 Prozent. Sollte der SAP-Deal wie geplant bis Mitte 2019 durchgehen, dürfte sich dieses Tempo weiter erhöhen. Bei SAP sind die Erwartungen entsprechend ambitioniert. Als die Walldorfer 2012 die Handelsplattform Ariba übernahmen, lag das Transaktionsvolumen bei 350 Milliarden Dollar. Fünf Jahre später hat die Plattform die Marke von 1 Billion Dollar geknackt.

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Einschätzung der Redaktion



SAP hat in Sachen Zukäufen den Ball in den vergangenen drei bis vier Jahren eher flach gehalten. In schöner Regelmäßigkeit erklärte der Konzern, man werde sich künftig eher auf kleinere, technisch interessante Unternehmen konzentrieren, die das eigene Portfolio ergänzten. Am Sonntag Abend vollzog SAP nun die Kehrtwende. Für insgesamt acht Milliarden Dollar übernehmen die Walldorfer den US-Anbieter Qualtrics. Der Kaufpreis entspricht dem 20fachen des für 2018 erwarteten Umsatzes. Zum Vergleich: IBM hat für den Linux-Spezialisten Red Hat gerade den zehnfachen Jahresumsatz hingelegt, Salesforce für die Übernahme von MuleSoft zuvor das Zwölffache.

Aber Qualtrics stand unmittelbar vor dem Börsengang. Der geplante IPO sei 17fach überzeichnet gewesen, sagte Qualtrics-Chef Ryan Smith in einer Telefon-Konferenz am Montag morgen. Insgesamt sei das Unternehmen von Investoren im Vorfeld des IPO mit fünf bis sechs Milliarden Dollar bewertet worden.

Nun zahlt SAP noch mal einen satten Aufschlag. Aber aus Sicht der Walldorfer ist die US-Versuchung eben auch sehr verlockend. Denn technologisch gibt es praktisch keine Überlappung mit SAP. Dazu erweitert der Konzern sein Angebot zum Management von Kundenbeziehungssoftware (CRM). Außerdem ist die Cloud-Lösung von Qualtrics vergleichsweise einfach in das SAP-Portfolio zu integrieren und lieferte zuletzt laut McDermott auch noch Brutto-Margen von 88 Prozent, die über jener der SAP liegen.

Und für Qualtrics-Boss Ryan Smith war der Deal wohl ohnehin alternativlos. Schließlich gibt es erheblich mehr Geld als im Falle des ursprünglich geplanten IPO. Außerdem ist SAP Weltmarktführer bei Firmenkunden-Lösungen und verfügt über eines der stärksten Vertriebsnetzwerke der gesamten Industrie. Schließlich machen die Amis aktuell gerade mal 22 Prozent ihrer Erlöse außerhalb der USA. Mit der globalen Aufstellung von SAP dürfte dieser Wert nun rasch steigen.

Anleger sollten sich also nicht beirren lassen. Der Kaufpreis für Qualtrics ist zwar mit acht Milliarden Dollar extrem hoch. Aber das Unternehmen aus dem Mormonen-Staat liefert eine Lösung in einem besonders zukunftsträchtigen Markt. Außerdem passt die Software ideal in SAPs Portfolio.

Charttechnisch ist die SAP-Aktie zuletzt in den Sog der schwächelnden US-Techwerte geraten. Am Freitag stand die Aktie unmittelbar vor der Rückeroberung der 200-Tagelinie. hat die Aktie unlängst nach unten durchbrochen und stand . Am Montag kam der erneute Rückschlag. Viele Anleger sehen den Kaufpreis für Qualtrics sehr kritisch und drückten auf den Verkaufsknopf.

Wir teilen die Skepsis zum Kaufpreis. Doch strategisch hat SAP einen weiteren Schritt nach vorne gemacht. Wir bleiben bei unserer Einschätzung: Kaufen.

Kursziel: 130 Euro

Stopp: 82 Euro