Zwar konnten die Brexit-Gegner in letzten Umfragen zulegen. Trotzdem blieben die Briten den Erhebungen zufolge in zwei fast gleichstarke Lager gespalten. Meinungsforscher erklärten, der Ausgang der Abstimmung lasse sich nicht vorhersagen. Die Finanzminister der sieben führenden Industrienationen (G7) bereiteten nach Angaben aus Japan eine Erklärung vor, um die Märkte zu beruhigen, sollte die EU ihre zweitgrößte Volkswirtschaft verlieren.

In einer Erhebung von Ipsos MORI für den "Evening Standard", die am Mittwoch abgeschlossen wurde, kamen die EU-Anhänger auf 52 Prozent und das Brexit-Lager auf 48 Prozent. Ein ähnliches Bild zeichneten vier weitere Umfragen. In den Wettbüros lag die Quote für einen Verbleib des Landes bei 86 Prozent. Mit dem offiziellen Ergebnis des Referendums wird ab 08.00 Uhr am Freitag gerechnet. Die 46,5 Millionen Wahlberechtigten können bis 23.00 Uhr MESZ ihre Stimme abgeben.

PFUND REAGIERT POSITIV AUF UMFRAGEN



Obwohl nach den Umfragen der Ausgang ungewiss ist, reagierte das Pfund Sterling auf die jüngsten Trends positiv und stieg auf ein Sechs-Monats-Hoch zum Dollar. Allerdings wuchsen die Kosten für eine Absicherung gegen Kursturbulenzen der britischen Währung innerhalb der kommenden 24 Stunden auf ein Rekordhoch. Im Windschatten des Pfund legte auch der Euro leicht zu. Auch die Aktienbörsen legten nach der jüngsten Umfrage deutlich zu: An der Londoner Börse verzeichnete der Leitindex "Footsie" bis zum Mittag ein Plus von 1,5 Prozent, der Frankfurter Dax legte um mehr als zwei Prozent zu.

Weltweit hängt der Brexit wie ein Damokles-Schwert über der Wirtschaft. Der S&P-Chef-Stratege für die Länder-Ratings, Moritz Kraemer, sagte der "Bild"-Zeitung, sollten die Briten für einen Austritt stimmen, wäre das "AAA"-Spitzenrating des Landes "fällig und würde innerhalb kurzer Zeit danach zurückgestuft". Der britische Finanzbranchenverband TheCityUK erstellte nach einem Bericht des "Daily Telegraph" einen Forderungskatalog, in dem die Politik aufgerufen wird, für eine sanfte Übergangsphase im Falle eines Brexit zu sorgen.

CAMERON UND JOHNSON WERBEN BIS ZULETZT UM STIMMEN



Bis wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale bei regnerischem Wetter warben die Hauptkontrahenten, Premierminister David Cameron und der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson, um Stimmen. Cameron rief auf, für eine Verbleib in der EU und damit für ein besseres Großbritannien zu stimmen. Johnson mahnte, die letzte Chance für einen Ausstieg zu nutzen. Der Ton wurde zuletzt immer schärfer. Während die Brexit-Befürworter vor der ungebremsten Einwanderung von Ausländern warnten, konterten die EU-Befürworter mit dem Schreckensbild einer Rezession und des massenhaften Verlustes von Arbeitsplätzen.

Weltweit warnten seit Wochen führende Politiker wie US-Präsident Barack Obama oder Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einem Brexit. In diesem Fall wird mit Schockwellen für die Weltwirtschaft gerechnet. Nach Angaben aus japanischen Regierungskreisen wollen die G7-Finanzminister dem vorbauen. In einer Erklärung soll die Bereitschaft für alle notwendigen Schritte zur Beruhigung der Märkte betont werden.

Die Europäische Union, an der nationale Fliehkräfte in fast allen 28 Mitgliedsstaaten zerren, steht unabhängig vom Wahlausgang vor einer einschneidenden Bewährungsprobe. Auch wenn Großbritannien EU-Mitglied bliebe, fordern europäische Spitzenpolitiker Reformen, um den EU-Skeptizismus zu stoppen. Bei einem Austritt stellt sich die Frage, ob nicht auch andere Staaten der EU den Rücken kehren wollen. Auf jeden Fall wäre die Union deutlich geschwächt, denn sie verlöre eine bedeutende Volkswirtschaft und Militärmacht im Besitz von Atomwaffen. Zudem ist Großbritannien ein Schwergewicht der globalen Diplomatie mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat sowie engen Verbindungen zu den USA und den ehemaligen britischen Kolonien im Commonwealth.

Sollten die Briten für den EU-Ausstieg stimmen, ist auch ihr Vereinigtes Königreich von Spaltung bedroht. Die schottische Regierung überlegt bereits ein Referendum über den Austritt aus dem britischen Verbund, da sie sich mit dem möglichen Brexit nicht abfinden will.