So überraschend die Abwertung des Schweizer Franken und der abrupte Kurssturz an der Zürcher Börse auch waren, sie haben keineswegs nur Opfer hinterlassen. Und sie haben auch die Fantasie für Schweizer Aktien keineswegs vernichtet. Speziell nicht für die eidgenössischen Biotechs.

Himmel und Hölle liegen in dieser Branche ohnehin nah beieinander. Beispiel Santhera Pharma: Die Firma lag am Boden, weil nach mehreren klinischen Fehlschlägen ein Liquiditätsengpass drohte - bis zum 22. Mai 2014. An diesem Tag meldete Santhera, mit seinem größten Hoffnungsträger alle zulassungsrelevanten Ziele in einer klinischen Studie erreicht zu haben. Die Konsequenz: 2000 Prozent Kursgewinn in der Spitze.

Und das muss es noch nicht gewesen sein. Santhera hat jetzt gute Chancen, beim Markteintritt gegenüber zwei Wettbewerbern die Nase vorn zu haben. Geht alles glatt, wird der Wirkstoff Raxone/Catena bis Ende 2015 die Zulassung in den USA und in Europa als Therapie gegen Duchenne-Muskeldystrophie (DMD), die häufigste muskuläre Erbkrankheit im Kindesalter, erhalten. Bislang gibt es kein Präparat, das den Krankheitsverlauf verlangsamt.

Rund 16 000 Personen sind in den USA und in Europa von DMD betroffen. Die Krankheit führt zur Erschlaffung der Atemmuskulatur und kann schon im 20. Lebensjahr tödlich enden. Branchenexperten beziffern das jährliche Umsatzpotenzial des DMD-Medikaments auf bis zu 400 Millionen Euro. Bis Mitte des Jahres erwartet Santhera nun die Entscheidung, ob Raxone in Europa auch als Heilmittel gegen Lebersche Optikusneuropathie, eine zur Erblindung führende Augenkrankheit, zugelassen wird.

Auf Seite 2: Santhera auf dem Vormarsch



Unter Branchenexperten gilt Santhera zurzeit als eine der heißesten Spekulationen unter den europäischen Biotechs. Überhaupt glänzt der Biotechstandort Schweiz mit den drei Zentren Zürich, Basel und Lausanne mit höheren Umsätzen als Deutschland und erwirtschaftet in der Summe auch Gewinne.

an"Die Innovationskraft speist sich aus der räumlichen Nähe zu erstklassigen Universitäten und den großen Pharmakonzernen wie Roche und Novartis", erläutert Jürg Eckhardt, Investmentberater bei BB Biotech Ventures. "Dieses Netzwerk zieht Talente weltweit an." Dazu kommt, dass es sich bei zahlreichen Firmen wie Actelion um Pharma-Ausgründungen handelt, bei denen Wissenschaftler auslizenzierte Wirkstoffe ihres früheren Arbeitgebers weiterentwickeln.

Anders als in Deutschland, wo das letzte Biotech-IPO mit Wilex im Herbst 2006 schon mehr als acht Jahre zurückliegt, wagen sich in der Schweiz die ersten Kandidaten wieder aus den Startlöchern. Molecular Partners verbuchte im November mit umgerechnet 88 Millionen Euro eine überaus gelungene Börsenpremiere. Auris Medical wiederum entschied sich zur selben Zeit für ein IPO an der Nasdaq. Biotechexperten wie Analyst Samuel Stursberg von Adamant Invest attestieren weiteren drei bis vier Schweizer Firmen die Börsenreife.

Auf Seite 3: Großer Hebel auf die Kurse



Großer Hebel auf die Kurse

Zugleich teilen Schweizer Biotechfirmen das Schicksal ihrer europäischen Pendants: Abgesehen vom Schwergewicht Actelion mit seiner breiten internationalen Aktionärsbasis warten die Unternehmen noch darauf, von internationalen Investoren entdeckt zu werden. Das hat zur Folge, dass wegen des niedrigen Börsenwerts der Hebeleffekt auf die Aktien umso größer ist. "Außerdem müssen lokale Fonds kleinkapitalisierte Firmen bei entsprechendem Wertzuwachs berücksichtigen", erläutert Olav Zilian, Analyst bei der Helvea Bank. "Dementsprechend steigt der Kurs bei niedriger Liquidität der Aktie."

Die Abwertung des Franken gegenüber dem Euro hat allen deutschen Anlegern, die im Schwergewicht Actelion investiert sind, einen Wertzuwachs gegenüber den an der Heimatbörse Zürich gelisteten Wertpapieren beschert. Langfristig bleibt Actelion ein Kauf. Bis zur Jahresmitte entscheidet sich, ob das Präparat Selexipag gegen Lungenhochdruck die Marktzulassung erhält. Geht alles glatt, wird Actelion in der Lage sein, zusammen mit dem bereits eingeführten Medikament Opsumit die führende Position in dieser Marktnische zu halten, wenn im November das Patent für den Megaseller Tracleer abläuft.

Auf Seite 4: FDA bewegt den Kurs



FDA bewegt den Kurs

Spannend wird es auch bei Basilea Pharma. Die auf Medikamente gegen Infektionen spezialisierte Firma ist gerade dabei, das Breitbandantibiotikum Zevtera einzuführen. Dem Produkt wird ein jährliches Umsatzpotenzial von jeweils 250 Millionen Euro in Europa und den USA zugetraut. Außerdem wird an diesem Donnerstag das Expertengremium der US-Zulassungsbehörde FDA den Aktienkurs bewegen, wenn es sein Urteil zu Isavucanozol bekannt gibt. Das Mittel mit dem sperrigen Projektnamen kommt gegen Pilzinfektionen zum Einsatz, wie sie vor allem bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem etwa nach einer Chemotherapie oder einer Transplantation auftreten. Mit Ausnahme von Nordamerika, wo der Partner Astellas aktiv wird, verfügt Basilea über die weltweiten Vermarktungsrechte. Spekulative Anleger bauen nach einem positiven FDA-Votum erste Positionen auf.

Ein Kandidat für die Watchlist ist Newron Pharma. Wie Santhera hat die in Zürich gelistete italienische Firma das Comeback geschafft und ist dank einer neuen Kapitalspritze bis 2016 durchfinanziert. Bis dahin erhofft sich Newron erste Einnahmen mit Safinamid. Geben die Behörden 2015 grünes Licht, erhält Newron vom Partner Zambon eine Umsatzbeteiligung im zweistelligen Prozentbereich aus allen künftigen Erlösen. Diese Perspektiven sind im aktuellen Kurs schon weitgehend enthalten.

Angemessen bewertet ist auch Cosmo Pharma. Basis für die eigenen Produkte ist die hauseigene Technologie, die es ermöglicht, dass ein Wirkstoff auf der gesamten Länge des Dickdarms konstant und zeitverzögert seine volle Wirkung entfaltet. Nach Lizenzeinnahmen aus zwei Produkten gegen Darmentzündungen setzt Cosmo auf zwei Kontrastmittel, mit denen sich bei Darmspiegelungen auch kleinere Polypen entdecken und operativ entfernen lassen. Außen vor lassen sollten Anleger dagegen weiter Addex. Nach einigen klinischen Fehlschlägen wartet das Unternehmen noch auf den Durchbruch.

Auf Seite 5: Schweizer Biotechs unterm Mikroskop