LAGE BEI SIEMENS:
Nachdem Siemens in den letzten drei Jahren mit dem Börsengang der Medizintechniktochter Healthineers und der Abspaltung des Energiegeschäfts (Siemens Energy) die großen Brocken des Konzernumbaus gestemmt hat, liegt nun die volle Konzentration des Managements auf dem "neuen" Kerngeschäft. Software, Automatisierung, digitale Infrastruktur - das sind die Themen, die in den Vordergrund gerückt sind. Dabei hat sich Busch vorgenommen, aus dem neuen Konstrukt einen schlagkräftigen Konzern zu formen.
Gerade in der Digitalisierung wittert Siemens große Wachstumschancen. Der mittelfristige Plan sieht deutliche Zuwächse bei Umsatz und Gewinn vor. So sollen die vergleichbaren Umsätze in den kommenden drei bis fünf Jahren durchschnittlich um 5 bis 7 Prozent pro Jahr wachsen, wie das Unternehmen Ende Juni auf seinen Kapitalmarkttag verkündete. Zuvor hatte Siemens über den Geschäftszyklus ein Plus von 4 bis 5 Prozent angepeilt. Der Gewinn soll stärker wachsen als der Umsatz: So soll das Ergebnis je Aktie vor Kaufpreisallokationen - also bereinigt um bestimmte rechnungslegungstechnische Auswirkungen von Zukäufen - jährlich im hohen einstelligen Bereich zulegen.
Beim geplanten Umsatzwachstum will das Unternehmen "deutlich stärker" als die Branche wachsen, kündigte Busch vor Investoren an. "Unsere Wachstumsmotoren sind Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit. Dabei verstärken sich unser Kerngeschäft und unser Digitalgeschäft gegenseitig."
Allein die Kernmärkte der Bereiche Digital Industries, Smart Infrastructure, Mobility und Siemens Healthineers umfassten - ausgehend vom Jahr 2020 - ein Volumen von 440 Milliarden Euro mit jährlichen Wachstumsraten von vier bis fünf Prozent bis 2025, so Busch. In diesen Märkten will Siemens das Geschäft ausbauen. Zudem will sich Siemens weitere Märkte erschließen, auch durch Zukäufe. Dabei bevorzuge Siemens ergänzende Akquisitionen, erläuterte Finanzvorstand Ralf Thomas. Allerdings hat das Unternehmen dem Manager zufolge auch genügend "Feuerkraft" für größere Transaktionen.
Für das renditestärkste Geschäft mit der digitalen Industrie strebt Siemens einen Umbau des Softwaregeschäfts an, was zunächst auf die Zahlen drücken wird. Große Teile des Softwaregeschäfts sollen ab dem Geschäftsjahr 2022 künftig als cloud-basierter Service im Abo angeboten werden. Für Siemens bedeutet die Umstellung kontinuierlichere Umsätze, zudem sollen damit neue Zielgruppen erschlossen werden. Im Visier hat Siemens dabei vor allem kleine und mittelständische Unternehmen.
Derweil laufen die aktuellen Geschäfte weiter rund. Die derzeit "günstige Geschäftsentwicklung" des Konzerns hätte sich auch im dritten Quartal (per Ende Juni) fortgesetzt, erläuterte Busch zuletzt. So habe man eine breite Erholung in Schlüsselmärkten wie der Autoindustrie, aber auch im Maschinenbau und der Prozessindustrie gesehen. Für das laufende Geschäftsjahr 2021/22 (Ende September) bekräftigte Siemens seine Gewinnprognose, die bislang bereits zweimal erhöht wurde. Am 5. August will das Unternehmen die Ergebnisse für das dritte Geschäftsquartal vorlegen.
Von den neuen Zielen sollen auch die Aktionäre profitieren: So legt Siemens ein Aktienrückkaufprogramm von bis zu drei Milliarden Euro bis 2026 auf. Zudem soll die Dividende steigen.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Marktexperten sind bezüglich Siemens äußerst optimistisch. Die von dpa-AFX erfassten Analysten, die seit Mai ihre Schätzungen aktualisiert haben, empfehlen das Papier mit nur wenigen Ausnahmen zum Kauf. So kamen zum Beispiel die Aussagen auf dem Kapitalmarkttag gut an.
Siemens habe einen klaren Strategieplan vorgelegt, die langfristig positiv sei, notierte JPMorgan-Analyst Andreas Willi. Unter dem neuen Konzernchef habe Siemens einen Plan für den Zeitraum 2021 bis 2025 mit einem höheren Maß an Offenlegung sowie an spezifischen Verpflichtungen in puncto Wachstum, Ertrag und Liquidität. Das Umsatzziel des Industriekonzerns sei etwas ehrgeiziger als er erwartet habe. Bei der Deutschen Bank nannte Analyst Gael de-Bray die Ziele "ambitioniert".
Angetan war auch William Mackie vom Investmenthaus Kepler Cheuvreux. Siemens trete in eine neue Ära mit einem stärkeren Auftreten als Technologiekonzern ein. Das Portfolio an führenden Hard- und Softwarelösungen sei "perfekt geeignet", um die "vierte industrielle Revolution" voranzutreiben.
Auch für das dritte Geschäftsquartal zeigten sich die Experten zuversichtlich. Angesichts der niedrigen Vergleichsbasis aus dem Vorjahr sollten die Zahlen der Investitionsgüterkonzerne insgesamt stark ausfallen, schätzt Goldman-Sachs-Analystin Daniela Costa. Kurzfristig könnten jedoch die stark gestiegenen Materialkosten für Gegenwind sorgen.
Auch Celine Fornaro von der UBS sieht "eine Menge Optimismus" in der anstehenden Berichtssaison. Damit seien kurzfristige Risiken verbunden. Die Vereinfachung der Konzernstruktur von Siemens und Kostensparprogramme dürften bei den Münchnern aber weitere Werte heben, schätzt sie.
Simon Toennessen von der Investmentbank Jefferies rechnet damit, dass Siemens mit seinem bereinigten Ergebnis je Aktie den Konsens um 6 Prozent übertreffen wird. Er verwies auf höhere Schätzungen für das Wachstum aus eigener Kraft und erwartete höhere Margen im Industriegeschäft.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Aktie hat in diesem Jahr bislang einen guten Lauf. Auch wenn sie seit dem Rekordhoch im April ein gutes Stück weit zurückgefallen ist, notiert sie 2021 noch gut zehn Prozent im Plus. Auch langfristig schaut es gut aus: Blickt man 5 Jahre zurück, liegt das Kursplus bei über 50 Prozent.
Bis in den April hinein hangelte sich das Papier von Rekord zu Rekord. Die guten operativen Zahlen zum Jahresauftakt ließen "die neue Siemens" danach auch erstmals die Marke von 130 Euro knacken. Doch damit war noch lange nicht Schluss. Mitte April erreichte das Papier sogar einen Wert von fast 146 Euro. Danach war die Luft zunächst aber raus, die Aktie verlor seither kontinuierlich an Boden.
Aktuell notiert das Papier bei gut 129 Euro - gut elf Prozent unter dem Rekordhoch. Die nächste markantere Unterstützung für den Kurs liegt nun im Bereich um die 125 bis 126 Euro. Hier gibt es eine Kurslücke von Anfang 2021.
Mit Blick auf die jüngsten Kursziele der von dpa-AFX erfassten Experten ist nun noch ordentlich Luft nach oben. So gehört etwa Kepler Chevreux mit einem Kursziel von 170 Euro zu den größten Optimisten. Bei JPMorgan sind es immerhin noch 165 Euro, bei der schweizerischen UBS 160 Euro. Zudem hat noch eine Reihe weiterer Analysehäuser Kurse jenseits der 150 Euro aufgerufen.
Den Corona-Crash im März vergangenen Jahres hat Siemens damit schon lange hinter sich gelassen - die Kursverluste konnten die Münchner schon wenige Monate später ausgleichen. Von rund 103 Euro Ende Januar 2020 war es damals bis auf Kurse von rund 53 Euro nach unten gegangen.
Mit einer Marktkapitalisierung von rund 110 Milliarden Euro gehört Siemens zu den Schwergewichten im Dax (DAX 30). Nur der Softwarekonzern SAP (SAP SE) (152 Mrd Euro), der Gasekonzern Linde (127 Mrd Euro) sowie der Autobauer Volkswagen (Volkswagen (VW) vz) (125 Mrd Euro) sind aktuell mehr wert als die Münchner. Hinter Siemens ist zudem ein gutes Stück Luft: Auf Platz fünf folgt die Deutsche Telekom mit einem Börsenwert von rund 87 Milliarden Euro.
dpa-AFX