Autohersteller wie Daimler oder BMW geraten durch Technologiefirmen wie Apple, Google oder Uber unter Druck, die beim autonomen Fahren oder bei Elektroantrieben mit neuen Ideen die Branche aufmischen. Als Zetsche im Juni Pläne für seine Elektroauto-Offensive vorlegte, verglich er das Unternehmen mit einem Nashorn. Doch die Größe - zwanzigmal so viele Mitarbeiter wie Tesla und eine doppelt so hohe Börsenbewertung - sei kein Grund, behäbig zu sein. "Nashörner sind trotz ihrer Größe erstaunlich schnell", sagte er. Vor allem von den Breitmaul-Nashörnern könne Daimler lernen. "Die Jungen suchen neue Wege. Die Alten sichern nach hinten ab." Für Schwung sollen nun alle Mitarbeiter sorgen, und nicht nur die Bereichsleiter, sagt Alexander Hilliger von Thile, Manager in der Entwicklung bei Mercedes-Benz in Nordamerika. "Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter und nicht nur Experten sich aus der Deckung wagen und ihre Vorschläge einbringen."
Daimler war wie viele anderen Autohersteller lange skeptisch, was das Thema Elektromobilität angeht. Einen Anteil an Tesla haben die Stuttgarter vor zwei Jahren verkauft. Doch inzwischen hat die Batterietechnik große Fortschritte gemacht. Der Erfolg des Tesla Model S lässt das Unternehmen aufschrecken, obwohl Tesla als Unternehmen noch unprofitabel ist. In den USA wurden 2015 mehr Model S als S-Klasse-Limousinen verkauft. "Wir haben immer gesagt, dass man Geld verliert, wenn man zu früh dabei ist", sagt ein Manager, der nicht genannt werden wollte. "Jetzt ist unsere Ansicht, dass man den Markt verliert, wenn man sich zu lange Zeit lässt." Im Oktober will Daimler eine Designstudie für ein Elektroauto mit einer Reichweite von 500 Kilometern präsentieren. Auch die VW-Töchter Audi und Porsche haben bereits Konzeptautos mit langer Reichweite vorgestellt. Bislang laufen die meisten Elektroautos deutlich weniger als 200 Kilometer am Stück und sind relativ teuer.
MEHR FREIHEITEN
Nun erinnert sich Daimler wieder an die Zeit der Tesla-Beteiligung - von 2009 bis 2014. In der Zusammenarbeit mit Tesla sei es zu einem Zusammenprall ganz unterschiedlicher Kulturen gekommen, berichtet ein Insider. "Wir haben von Tesla Tempo und Risikobereitschaft gelernt und Tesla von uns Perfektion und Zuverlässigkeit. Es war tagtäglich eine spannende Herausforderung, die Balance zwischen unseren Kulturen zu finden," beschrieb er die Dynamik. "Der eine geht sehr planvoll vor und möchte immer alles vollständig durchdenken. Der andere handelt nach dem Prinzip 'shoot and aim' und macht dann weiter und korrigiert gegebenenfalls."
Tesla sei mit seinem Vorgehen häufig schneller gewesen, neue Technologien umzusetzen. Das soll sich nun ändern. Bislang hätten die Mitarbeiter etwa 150 Ideen entwickelt, von denen 80 Prozent umgesetzt worden seien. Die Ergebnisse sind noch vertraulich. Zudem sind Abteilungen nun freier darin, Geld für Ideen und Projekte auszugeben, bei denen noch unklar ist, zu welchen Produkten sie führen. Wie das geht - Mittel effizient für die innovativsten Ideen bereitzustellen - schauten sich die Daimler-Manager auch bei einem gemeinnützigen Start-up an: "La Cocina" aus San Francisco hilft Menschen ohne viel Geld dabei, gastronomische Ideen umzusetzen. "Sie waren vor allem daran interessiert, wie Ideen auf den Markt gebracht wurden und wie La Cocina als Organisation diese Art der Innovation unterstützt hat", erzählte La-Cocina-Manager Caleb Zigas.
Doch Daimler geht es nicht nur darum, den Anschluss nicht zu verlieren - es sollen auch Spitzenkräfte gehalten werden. Autoingenieure fühlen sich von den langwierigen Entscheidungsprozessen in Großkonzernen zunehmend benachteiligt, wenn Start-ups schneller agieren können. So verlor Daimler den Ingenieur Tilo Schweers an die Borgward-Gruppe, wo er jetzt für alternative Antriebe zuständig ist. Marissa Peretz, Gründerin der Personalberatungsfirma Silicon Beach Talent und Ex-Personalerin bei Tesla, sieht in einer Unternehmenskultur, die von Freiheit geprägt ist, den Schlüssel zum Erfolg. Daran wollen sich nun die Stuttgarter ein Beispiel nehmen.
rtr