Börse Online: Herr Haas, viele Anleger haben Aversionen gegen Aktien von Versicherungen. Warum?
Herbert Haas: Zum einen stellen wir etwas her, was man nicht anfassen, fühlen, schmecken oder riechen kann. Es ist nur ein abstraktes Versprechen auf Papier. Der zweite Grund sind eine gewisse Intransparenz und die Sprache. Welcher Laie versteht schon einen Begriff wie Spätschadenreserven? Dabei sind wir im positiven Sinn langweilig: Wenn Sie in unsere Papiere investieren, brauchen Sie keine Betablocker als Aktionär. Bei uns können Sie es eher wie Börsenguru Kostolany halten: kaufen und liegen lassen.
Möglicherweise sind auch die Geschäfte Ihrer Branche ein wenig langweilig.
Wir Versicherer sind das Schmieröl der Wirtschaft. Ohne unsere Branche ist technischer und medizinischer Fortschritt undenkbar. Wer würde ein Hochseeschiff mit Tausenden Containern beladen, wenn er das Schiff und die Ladung nicht versichern könnte? Es gilt aber nicht als besonders sexy, sich eine neue Autoversicherung zuzulegen. Oder haben Sie schon erlebt, dass Ihnen der Nachbar erzählt, dass er sich gerade eine neue Versicherung zugelegt hat?
Im Jahr 2006 stieg Talanx mit dem Kauf des Gerling-Konzerns massiv ins Lebensversicherungsgeschäft ein und wurde von der Krise in diesem Markt voll erwischt. War die Übernahme ein Fehler?
Diese Übernahme war vor allem für uns als Industrieversicherer ein absoluter Erfolg. Außerdem waren Lebensversicherungen 2006 ein begehrtes Geschäft. Aus diesem Grund war die Übernahme nach unserem damaligen Wissensstand kein Fehler, selbst wenn Talanx derzeit - wie alle Lebensversicherer - unter der Niedrigzinsphase zu leiden hat.
Andere Erstversicherer machen allerdings deutlich größere Fortschritte als Talanx. Beherrscht der Konzern dieses Geschäft auch elf Jahre nach der Übernahme von Gerling immer noch nicht?
Sie müssen hier differenzieren. Die Prämien im Gesamtwert von 6,3 Milliarden Euro für 2016 kommen aus drei Bereichen. Rund 2,9 Milliarden Euro stammen aus Versicherungen, die über Banken vertrieben werden. Dieses sogenannte Bancassurance-Geschäft läuft sehr gut und profitabel. Wir gehören in Deutschland zu den Größten und haben mit der Targobank, der Postbank und mit vielen Sparkassen exklusive Partnerschaften. Zweitens haben wir die HDI Leben mit 2,1 Milliarden Euro. Die ist, wie die gesamte Branche, von der Niedrigzinsphase betroffen. Dort haben wir keine hausgemachten Probleme.
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Wo brennt es dann aus Ihrer Sicht?
Nur im dritten Bereich, den Schaden- und Unfallversicherungen mit 1,3 Milliarden Euro Prämien. Dort wurde das Geschäft von Gerling nicht konsequent integriert.
Warum?
Es war nach dem Kauf von Gerling nicht richtig, zwei Schaden-Unfall-Versicherer zu behalten. Beide haben lange Zeit wenig bis gar nichts gemeinsam gemacht. Die Folge davon war zum Beispiel eine Uralt-IT. Diesen wichtigen Faktor haben wir zu spät erkannt. Erst durch die Zusammenführung der Geschäfte 2015 war ein Neubeginn möglich. Das zeigt die Entwicklung, die seitdem stattgefunden hat. Seit Anfang 2017 wachsen wir wieder in diesem Bereich.
Die Talanx-Tochter Hannover Rück hält Anteile an Viridium, einem Spezialisten für solche Abwicklungen. Da läge es doch nahe, dass Talanx Lebensversicherungen aus dem eigenen Bestand an Viridium weitergibt. Planen Sie so etwas?
Wir haben dies vor vier Jahren analysiert, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass das Geschäft mit Lebensversicherungen ein wichtiger Pfeiler von Talanx in Deutschland ist. Wir werden keine Bestände in die Abwicklung schicken, weder konzernintern noch extern durch Verkauf an andere.
Weshalb?
Erstens sehen wir Altersvorsorge als Wachstumsmarkt. Zweitens werden bei solchen sogenannten Run-offs auch viele Mitarbeiter ausgegliedert. Das bedeutet: Es gäbe eine Zweiteilung der Belegschaft in Angestellte erster und zweiter Klasse. Das wollen wir auf keinen Fall. Aber davon abgesehen: Ich bin überrascht, dass es mit Viridium so gut läuft. Zu Beginn war ich skeptisch, ob sich solch eine Abwicklungsplattform etablieren kann.
Die Zinsentwicklung ist ein Dauerthema für Versicherer. Wann wird die Europäische Zentralbank den Leitzins wieder erhöhen?
Wir gehen davon aus, dass ab 2018 mindestens der Ankauf von Anleihen durch die EZB signifikant zurückgefahren und eventuell ganz eingestellt wird. Während der nächsten zwölf bis 18 Monate sollte es deshalb auch eine sehr moderate Zinserhöhung geben.