Viktor Vekselberg - der Vater Jude, die Mutter Ukrainerin und überzeugte Kommunistin - wuchs in der galizischen Kleinstadt Drogobytsch südlich von Lemberg auf. Ein Schmelztiegel, in dem Polnisch, Russisch und Ukrainisch gesprochen wurde. Galizien, von den Wirren der europäischen Geschichte geprägt, gehörte über die Jahrhunderte ständig wechselnden Staatsgebilden an. Polen, Deutsche, Armenier, Ungarn und viele andere Volksgruppen prägten die Kultur der Bewohner.

Drogobytsch hat auch Vekselberg geprägt: "Bis ich 17 war, stammten alle meine Eindrücke aus dieser Stadt." Als Junge träumte er davon Kosmonaut zu werden. Wie viele seiner Schulkameraden. Es sollte ein Traum bleiben. "Denn in der Sowjetunion war es uns nicht gegeben, uns irgendwelche Karrieren auszumalen. Das höchste aller Gefühle war eine Stelle als Wissenschaftler", erinnert sich Vekselberg. "Ich war ein anspruchsloses Kind. Bescheiden. An die Geschäftswelt habe ich sicher nie gedacht."

1974 schrieb sich der junge Vekselberg an der Universität in Moskau ein, wo er Mathematik studierte. Seine Frau Marina lernte er zwei Jahre später kennen, 1977 heirateten sie. "Ich war noch keine 20 Jahre alt und ein Jahr später kam Irina zur Welt. Wir lebten von der Hand in den Mund, ich war auf Nebenjobs angewiesen", erinnert sich Vekselberg.

1979 schloss er sein Ingenieursstudium ab und arbeitete in einer Pumpenfabrik. "Ich lebte in einem 25 Quadratmeter kleinen Apartment in Moskau, mit meiner Frau, unserer Tochter und den Schwiegereltern. Ich verdiente 200 Rubel. Meist blieb am Monatsende nichts mehr übrig", gestand er der Schweizer der "Weltwoche".

In den 80er-Jahren - es war die Zeit von Gorbatschows Perestroika - gründete er mit sechs Studienfreunden sein erstes Unternehmen, das Software entwickelte. Vekselberg verdiente die erste Million mit dem Import von billigen westlichen Computern, die er mit der eigenen Software ausrüstete und teuer an die sowjetischen Energiekonzerne verkaufte. Während seiner Geschäftsreisen in Ostsibirien stellte er fest, dass auf den Schrottplätzen der Konzerne riesige Mengen an Maschinenteilen lagerten. "Wenn ein Gerät kaputtging, warf man es einfach weg", so Vekselberg. "Wir entwickelten also eine Maschine, mit der man aus weggeworfenen Kabeln das Kupfer zurückgewinnen konnte, um es anschließend zu exportieren. Eine Tonne Kupfer kostete uns 300 Dollar - auf dem Weltmarkt erlösten wir 3000 Dollar."

Vekselberg war nun endgültig Unternehmer und Firmengründer. Als die Sowjetunion 1991 zerbrach, startete er mit dem Exilrussen Leonard Blavatnik, einem Studienfreund, die Investmentgesellschaft Renova. Sie investierte in zahlreiche Branchen, handelte außer mit Kupfer auch mit Aluminium, kaufte Raffinerien im Ural und in Ostsibirien auf, um sie 1996 in dem Unternehmen Siberian-Urals Aluminium (SUAL) zu vereinigen.

Ein Jahr später erwarb Vekselberg für 810 Millionen Dollar 40 Prozent am staatlichen Ölkonzern Tyumen Oil Company (TNK). Er fusionierte 2003 mit der Ölgesellschaft BP zum Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP, das 2013 für 27,7 Milliarden Dollar an den russischen Ölgiganten Rosneft verkauft wurde. Vekselbergs Profit dabei: rund sieben Milliarden Dollar.

Vekselberg gehörte nicht zu jenen Oligarchen, die bei der Privatisierung der russischen Wirtschaft zu märchenhaften Besitztümern kamen. Der "Weltwoche" erklärte er: "Ich saß nie mit all diesen Oligarchen am Tisch von Präsident Jelzin, um in der ersten Welle der russischen Privatisierung an fragwürdigen Kredit- und Tauschgeschäften mit dem Staat mitzumachen."

2003 beteiligte sich die britische Bankdynastie Fleming an SUAL. Und 2007 folgte der große Coup: SUAL schloss sich mit dem Aluminiumriesen RUSAL (gehört Roman Abramowitsch und Oleg Deripaska) und dem Schweizer Rohstoffhändler Glencore zum weltgrößten Aluminiumkonzern zusammen. Vekselberg hielt jetzt 21,5 Prozent der Aktien und wurde Aufsichtsratschef der neuen RUSAL, deren Wert auf 25 Milliarden Dollar geschätzt wird.

Der Aufstieg vom kleinen Jungen aus der ukrainischen Provinz, der am liebsten Fußball spielte, klassische Musik hörte und Boris Pasternak ("Doktor Schiwago") las, zum Global Player und zeitweise reichsten Russen war atemberaubend. Kaum ein Oligarch weist heute ein so vielseitiges Beteiligungsportfolio auf wie Vekselberg: Ölgesellschaften, Gasfelder, Schürfrechte, Nanotechnologie, Sonnenenergie, Bauunternehmen, Immobilien oder Telekommunikation - sein Imperium in Europa und den GUS-Staaten umfasst rund 300 Beteiligungen.

Sein Verhältnis zu Russlands Präsident Putin wird als "ambivalent" beschrieben. Vekselberg kennt die Spielregeln - dass die Oligarchen sich aus der Politik raushalten sollen. Er müht sich daher um eine gute Beziehung zum Moskauer Machtzentrum. So kaufte er 2004 die Fabergé-Sammlung der US-Milliardärsfamilie Forbes. Die Fabergé- Eier seien Teil der russischen Geschichte und Kultur, argumentierte Vekselberg. Er wolle sie nach Russland zurückholen.

2010 erhielt er vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew den Auftrag, in Skolkowo vor den Toren Moskaus ein russisches Silicon Valley aufzubauen, ein riesiges Forschungs- und Entwicklungszentrum, das sich um die fünf Zukunftsmärkte Energie, IT, Biomedizin, Raumfahrt und Nukleartechnologie kümmern soll. "Die Idee ist", so Vekselberg, "wegzukommen von der Rolle Russlands als Lieferant von Öl und Gas. Wir müssen eine neue Industrie aufbauen und die Chancen der Informationstechnologie und anderer Zukunftsmärkte nutzen." Noch 2014 soll Skolkowo startklar sein. 75 Prozent seiner Zeit investiert er jetzt in das Milliardenprojekt.

Seinen Lebensmittelpunkt hat der 57-Jährige inzwischen in die Schweiz verlegt. Er wohnt in Zug, der Kleinstadt zwischen Zürich und Luzern, die sich dank einer aggressiven Steuersenkungspolitik zu einem Hort der Reichen entwickelt hat.

Die Schweiz hat Vekselberg nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Er sei eine "russische Sphinx", bekannt als "Mann der eiskalten Übernahmen", urteilte die heimische Presse. Inzwischen aber ist der öffentlichkeitsscheue Vekselberg als Investor und Mitbürger wohlgelitten. Insbesondere, nachdem er den Technologiekonzern Oerlikon mit 400 Millionen Franken vor der Pleite rettete.

PEB