Ben, Volkswagen-Chef Dirk Müller stellt am Donnerstag die neue Langfrist-Strategie für den Konzern vor. Welche drei Kern-Themen muss Müller dabei angehen?
Langfristige Profitabilität, Corporate Governance und das Bonus-System.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass Müller diese Dinge auch angehen wird?
Wir sind sehr zuversichtlich, dass er sich dieser Fragen annimmt. Es wird am Donnerstag sicherlich keine allzu detaillierten Aussagen zu Einzelheiten geben. Damit rechnen wir eher Richtung Herbst. Aber das große Gesamtbild, also die Eckpunkte der Neuausrichtungen, dürften am Donnerstag klarer werden.
Die Profitabilität ist vor allem bei der Kernmarke VW völlig unbefriedigend. Viele Analysten kritisieren insbesondere den hohen Personalaufwand. Aber Betriebsratschef Bernd Osterloh hat personelle Einschnitte auf der jüngsten Betriebsversammlung bereits apodiktisch ausgeschlossen. Ein spürbarer Stellenabbau, wie Sie ihn erst vor ein paar Wochen gefordert haben, scheint damit unwahrscheinlich. Wo könnte Müller sonst ansetzen?
Zunächst: 2014 hat Volkswagen mit 580.000 Beschäftigten zehn Millionen Autos gebaut. 2015 hat der Konzern ebenfalls rund zehn Millionen Fahrzeuge gebaut, dafür aber rund 610.000 Mitarbeiter beschäftigt. Volkswagen hat also selbst bewiesen, dass das Unternehmen mit deutlich weniger Beschäftigten dieselbe Anzahl von Autos bauen können. Und zum Thema Fluktuation: In jedem großen Unternehmen haben Sie im Schnitt pro Jahr eine natürliche Fluktuation von drei bis fünf Prozent, entweder durch eine freiwillige Kündigung, etwa im Zuge eines Arbeitsplatzwechsels, oder durch das Erreichen der Altersgrenze. Wenn diese frei werdenden Stellen nicht besetzt werden, hat man hier einen enormen Hebel. Bei Volkwagen sprechen wir hier aktuell von 18.000 bis 30.000 Stellen im Jahr.
Aber der Betriebsrat dürfte sich dagegen mit Händen und Füßen wehren?
Wir erwarten ja keine Kündigungen, was die Gewerkschaft sicher verhindern würde. Wir glauben aber, dass es spürbare Einsparungen geben könnte, wenn Volkswagen die natürliche Fluktuation nutzt.
Welche andere Hebel sehen Sie?
Ein großer Hebel ist sicher die Reduzierung von Komplexität. Volkswagen muss zum Beispiel nicht 100 unterschiedliche Getriebe fertigen oder 20 unterschiedliche Lenkräder für den Golf anbieten.
Branchenexperten wie Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen fordern auch die Trennung von Randbereichen wie etwa dem Sitzhersteller Si-Tech?
Absolut. Viele große Konzerne wie GM oder Ford haben weite Teile der Komponenten-Fertigung in unabhängige Unternehmen abgespalten, denken Sie nur an Delphi oder Visteon. Diese Spin-offs behaupten sich seither teils sehr erfolgreich im Markt und fertigen jetzt auch für andere Hersteller. Es gibt keinen Grund, weshalb Volkswagen das nicht auch tun könnte. Wir dürfen dabei ja auch nicht vergessen: Volkswagen verliert bei der Komponenten-Fertigung offenbar sehr viel Geld. Eine Abspaltung würde es Investoren erheblich erleichtern, die Profitabilität im Kern-Geschäft zu verfolgen.
Hans Dieter Pötsch war rund eine Dekade Finanzvorstand bei Volkswagen. Im vergangenen Herbst wechselte er überraschend an die Spitze des Aufsichtsrats und soll nun seine ehemaligen Kollegen beaufsichtigen. War das wirklich eine clevere Entscheidung?
Sicher hätte es hier eine bessere Wahl gegeben. Ideal wäre eine starke und unabhängige Persönlichkeit mit Industrie-Erfahrungen gewesen. Aber um es ganz klar zu sagen: Herr Pötsch ist nicht das Problem.
Sondern?
Das Problem ist die Eigentümer-Struktur mit dem Land Niedersachsen und der starken Rolle des Betriebsrats. Gemeinsam kontrollieren sie den Aufsichtsrat.
Auf Seite 2: Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent an Volkswagen. Wie wahrscheinlich ist es vor diesem Hintergrund, dass sich daran etwas ändert?
Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent an Volkswagen. Wie wahrscheinlich ist es vor diesem Hintergrund, dass sich daran etwas ändert?
Bei Investoren wächst der Widerstand gegen diese Struktur. Außerdem können die Familien Porsche und Piech als Großaktionäre hier Druck ausüben, etwa indem sie gegen die Zahlung einer Dividende stimmen....
..wenn die Dividende zwei Mal hintereinander ausfällt, werden aus den Vorzugsaktien Stammaktien und das Land Niedersachsen hätte keine 20 Prozent mehr...
...ja, das ginge von einer HV zu nächsten - wäre also eine Sache von zwölf Monaten.
Laut einem Reuters-Bericht denken die beiden Familien Piech und Porsche angeblich weiterhin darüber nach, auf der HV gegen eine Dividende zu stimmen?
Das wäre eine sehr weitreichende Entscheidung.
Wenn es nicht so martialisch klingen würde, müsste man wohl eher sagen, das wäre eine Kriegserklärung der beiden Familien an das Land Niedersachsen. Ist das wirklich realistisch?
Klar.
Sie glauben wirklich, dass die Porsche- und die Piech-Familie jetzt auf einen knallharten Kurs einschwenken, um das Land Niedersachsen zurechtzustutzen?
Das weiß ich nicht, aber es klingt so.
Dann wäre die Lage in Wolfsburg...
...fundamental anders.
Der Druck auf VW steigt ja nicht nur bei den Großaktionären. Auch am Kapitalmarkt ist der Unmut inzwischen mit Händen zu greifen?
Absolut. Volkswagen muss sich für seine Finanzierungssparte pro Jahr rund 30 Milliarden Euro am Kapitalmarkt beschaffen. Wenn der Konzern die Forderungen von Investoren nach Profitabilität oder Transparenz ignoriert und die Refinanzierung austrocknet, bedroht das langfristig das Geschäft von VW. Dann war’s das.
Ist der Druck schon hoch genug, um Volkswagen zum Einlenken zu bewegen?
Natürlich. In der Geschichte von Volkswagen war der Druck zu Veränderungen doch noch nie so hoch wie jetzt. Volkswagen braucht wegen des Dieselskandals und der milliarden-schweren Lasten frisches Geld. Die wissen Bescheid.
Die Hauptversammlung am Mittwoch dürfte ganz im Zeichen von Dieselgate stehen. Sie wird von Hans Dieter Pötsch geleitet, der selbst lange Jahre im Vorstand war. Wie soll das gehen?
Das ist doch alles Geschichte. Wir schauen noch vorne. Für uns geht es um die Frage, wie Volkswagen langfristig Erfolg haben kann und was dafür getan werden muss.
VW-Großaktionär Qatar ist mit der Entwicklung in Wolfsburg und der starken Stellung des Betriebsrat offenbar ähnlich unzufrieden wie TCI. Werden Sie sich mit Qatar verbünden, um den Druck zu Veränderungen bei VW weiter zu erhöhen?
Wir sprechen mit allen Investoren.
Und formen eine Allianz?
Nein. Wir operieren alleine.