Drei Aktien aus dem umstrittenen Rüstungssektor sind bei Börsianern besonders beliebt. Welche bietet die besten Chancen?
Zeitenwende. Epochenbruch. Aus einer anderen Perspektive ist es ein Superzyklus. Gemeint ist mit diesen Begriffen dasselbe: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine müssen die NATO-Staaten des Kontinents ihre Streitkräfte aufrüsten. Bundeskanzler Friedrich Merz hat sogar die Marschroute ausgegeben, dass die Bundeswehr „konventionell zur stärksten Armee Europas“ werden soll. Börsianer haben die Zeitenwende angenommen: Rheinmetall ist in unserer Statistik die beliebteste Aktie unter deutschen Anlegern. Mit Renk auf Platz drei und Hensoldt auf Platz sechs liegen zwei weitere Unternehmen aus dem Sektor in der Spitzengruppe. Das wird begleitet von massiven Kursgewinnen — ein gleichgewichtetes Depot aus diesen drei Aktien hat den Wert über die vergangenen zwölf Monate mehr als verdreifacht. Rheinmetall ist inzwischen sogar der sechstgrößte Wert im DAX und mit einem Anteil von viereinhalb Prozent wichtiger Kurstreiber für den Gesamtindex.
Favoritenwechsel gibt es an den Börsen immer wieder, dieser aber ist besonders extrem: Als die Deutsche Börse im Jahr 2021 den DAX überarbeitete, wurde sogar diskutiert, den Herstellern spezieller Waffen den Zugang zum Leitindex zu verweigern. Rüstung passte nicht in den boomenden Markt von ESG-Investments, die eine ethisch korrekte Geldanlage versprechen. Auch bei professionellen Produktanbietern sind inzwischen neue Zeiten angebrochen: Die Vermögensverwaltung Amundi etwa startete unlängst einen Indexfonds auf den Stoxx Europe Defense, die Deka den Aktienfonds Security and Defense mit Rheinmetall als eine der größten Positionen. Sollten Vermögensverwalter ihre ESG-Beschränkungen lockern und sich dadurch für Investments aus dem Verteidigungssektor öffnen, würde das die Nachfrage nach den entsprechenden Aktien weiter steigern.
Rüstungsaktien sind Momentum-Werte wie aus dem Lehrbuch: Eine lange vernachlässigte Branche, die durch ein gravierendes Ereignis plötzlich ganz neue wirtschaftliche Perspektiven hat. Die Masse der Marktteilnehmer tut sich zunächst schwer, das Ausmaß zu erfassen. Die Kurse steigen darum nicht auf einen Schlag, sondern über einen erstaunlich langen Zeitraum. Ein Blick auf die Analystenschätzungen zu Rheinmetall: Für das Jahr 2026 erwartet der Konsens aktuell einen bereinigten Nettogewinn von mehr als 1,8Milliarden Euro. Als diese Zahl vor zwei Jahren abgefragt wurde, lag die Schätzung lediglich bei knapp 1,1 Milliarden. Das Momentum wird also auch fundamental angetrieben.
Nach dem Rüstungs-Gipfel
Die entscheidende Frage: Wo im Momentum-Zyklus stehen die Rüstungsaktien jetzt? Sind sie noch immer unterschätzt oder inzwischen überteuert? Ein besonderes Problem in diesem Fall ist die starke Abhängigkeit von politischen Entwicklungen. Ein Waffenstillstand in der Ukraine hätte Konsequenzen für die Investmentstory. Das Grundproblem der europäischen NATO-Staaten — veraltete Ausrüstung und ausgedünnte Munitionsdepots — wäre nicht gelöst, der Druck zu schnellen Investitionen aber würde an Wucht verlieren.
Ein anderer, kurzfristiger Faktor: Der große NATO-Gipfel Ende Juni in Den Haag. Dass die europäischen Staaten dort einen deutlichen Anstieg ihrer Rüstungsbudgets beschließen, dürfte nach zahlreichen Vorgesprächen gewiss sein. Es sei schwer vorstellbar, wie der NATO-Gipfel die Erwartungen übertreffen könnte und was die nächste Triebkraft für den Verteidigungssektor sein wird, heißt es bei der Deutschen Bank.
Nach Einschätzung der Redaktion sind die Kursgewinne bei Rheinmetall fundamental am besten unterlegt, insbesondere durch das margenstarke Geschäft mit Munition. Zum Angebot der Düsseldorfer gehören unter anderem auch der Kampfpanzer KF51 Panther, der Schützenpanzer Lynx und Verteidigungssysteme zur Abwehr von Angriffen aus der Luft. Weil Digitalisierung immer wichtiger wird, beschäftigen die Düsseldorfer mehr als 1000 Softwareingenieure. Andere Wachstumsmärkte: die USA als größter Auftraggeber für Rüstungsgüter. Über den finnischen Partner Iceye liefert Rheinmetall Satellitenbilder aus dem All. Man sei „eines der am schnellsten wachsenden Verteidigungsunternehmen weltweit und auf dem Weg zum globalen Champion“, betonte Konzernchef Armin Papperger auf der Hauptversammlung von Rheinmetall.
Das Kursziel für die Aktie der Düsseldorfer hat BÖRSE ONLINE im Vorfeld des NATO-Gipfels auf 2200 Euro angehoben. Damit liegen wir über dem Analystenkonsens, aber leicht unter dem aktuellen Höchstziel, das in der Datenbank des Finanzdienstes Bloomberg bei 2300 Euro liegt.
Was macht die Konkurrenz von Rheinmetall?
Auch bei den beiden anderen Rüstungswerten steigen die Unternehmensgewinne kräftig, allerdings nicht so stark wie bei Rheinmetall. Das Risiko durch Produktmix und Bewertungsniveau dürfte größer sein als bei Rheinmetall. Der Getriebehersteller Renk aus Augsburg liefert Antriebstechnologien für militärische Ketten- und Radfahrzeuge. Ein anderer Bereich: Antriebs- und Kupplungslösungen für Seestreitkräfte. Mehr als 70 Streitkräfte stehen auf der Kundenliste. Der Nettogewinn lag im vergangenen Jahr bei 53 Millionen. Im Jahr 2027 sollen es laut Konsensschätzung 200 Millionen sein. Auch Renk hat außergewöhnliche Perspektiven, die Aktie aber hat das zu einem erheblichen Teil verarbeitet.
Hensoldt, ein Spezialist für Sensoren, liefert die Radartechnik für den Eurofighter oder auch Luftverteidigungssysteme. Das Management hob mit dem Quartalsbericht die langfristige Prognose an. Bis zu sechs Milliarden Euro Umsatz sollen es im Jahr 2030 werden. Die alte Zielmarke lag bei fünf Milliarden. Analysten kalkulieren, dass der bereinigte Nettogewinn nach 185 Millionen Euro im vergangenen Jahr bis 2027 auf 324 Millionen steigt. Eine potenzielle Bremse: Die Produkte von Hensoldt sind komplex und brauchen längere Entwicklungszeiten als etwa Munition. Was auffällt: Bei Renk und Hensoldt liegt die Notierung trotz des jüngsten Rücksetzers über dem durchschnittlichen Analystenziel. Anleger sollten bei diesen beiden Aktien abwarten.
Hinweis: Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE, die Sie hier finden.
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