Als Volumenhersteller wolle VW dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen und in neun Jahren eine Million E-Mobile im Jahr verkaufen. Damit ändert der Wolfsburger Traditionskonzern erneut seinen Kurs. Unter dem Druck von Dieselgate hatte VW angekündigt, sich vom Streben nach Ziel der Größe verabschieden zu wollen. Das hört sich nun wieder anders an: "Wir wollen den Wandel nutzen und Volkswagen entschlossen an die Spitze der neuen Automobilindustrie führen", sagte Diess.

Mit dem Schwenk vom personalintensiven Verbrennungsmotor hin zum Elektroantrieb geht ein drastischer Stellenabbau einher: Vor vier Tagen hatte VW angekündigt, bei der Kernmarke weltweit 30.000 Stellen abzubauen, drei Viertel davon in Deutschland. Im Gegenzug sollen 9000 Arbeitsplätze bei der Elektromobilität entstehen. "Volkswagen wird sich in den kommenden Jahren grundlegend verändern, nur die allerwenigsten Dinge werden so bleiben wie sie sind", sagte Diess. Dabei sei Größe allein nicht das Ziel. VW wolle stattdessen in der Technologie und beim Kundenzuspruch führend sein. "Da wir im Volumensegment arbeiten und Skaleneffekte brauchen, benötigen wir jedoch auch Größe."

Dass gerade der seit Juli vergangenen Jahres amtierende Markenchef - und nicht Konzernchef Matthias Müller - das neue Selbstbewusstsein präsentiert und das erste Mal seit dem Hochkochen des Dieselskandals das Wort "Weltmarktführer" in den Mund nimmt, ist bemerkenswert. Denn der bei seinem früheren Arbeitgeber BMW als knallharter Kostendrücker bekanntgewordene Österreicher geriet in den Verhandlungen über das Sparprogramm bei der Kernmarke mit dem machtbewussten Betriebsrat überkreuz. Auch im Aufsichtsrat sei Kritik geäußert worden, berichteten Insider. Die Haupteigentümer, die Familien Porsche und Piech, hielten allerdings öffentlich zu ihm.

ABRECHNUNG MIT DER WINTERKORN-ÄRA

Nun ergreift Diess mit der Strategie "Transform 2025+" die Chance: Während Müller viel Kraft in die Aufarbeitung des Dieselskandals stecken muss, steht der Markenchef mit der Verkündung der Zukunftsthemen im Scheinwerferlicht. Der 58-Jährige rechnet zudem schonungslos mit der Vergangenheit unter dem früheren Konzernchef Martin Winterkorn ab, dessen ehrgeizige Wachstumsziele als Mitgrund für die Dieselmanipulation gelten. Seinem Vorgänger, der die Hauptmarke in Personalunion neben dem Amt als Konzernchef führte, warf Diess indirekt Versäumnisse vor: Die Fixkosten seien stark gestiegen, gleichzeitig sei VW bei der Produktivität nicht auf Augenhöhe mit den direkten Wettbewerbern. Für die USA fehle seit Jahren ein Erfolgskonzept und in aufstrebenden Märkten wie Brasilien und Indien verliere Volkswagen an Boden. "Teilweise haben wird auch Marktentwicklungen verschlafen."

Um die Fehler der Vergangenheit auszumerzen, will Diess die Kosten - auch durch den massiven Personalabbau - bis 2020 um 3,7 Milliarden jährlich senken. So will er die Mittel freischaufeln, um in die Elektromobilität, Vernetzung und autonomes Fahren zu investieren. Insgesamt sind dafür in den kommenden Jahren rund 3,5 Milliarden Euro geplant. Die E-Offensive soll auch durch den Wegfall von weniger nachgefragten und ertragsschwachen Modellen und Varianten finanziert werden - allein 2,5 Milliarden Euro würden dadurch frei. Autoexperte Arndt Ellinghorst von Evercore ISI begrüßte den Strategieschwenk: "Kein Zweifel, VW wird elektrisch." Es sei Zeit für ein echtes Bekenntnis der Autobauer. "Halbherzige Schritte in die Elektromobilität haben sich als erfolglos erwiesen."

Parallel dazu bläst Diess in den USA zur Aufholjagd, wo VW schon vor der Abgaskrise ein Nischenanbieter war. Auf dem nach China zweitgrößten Pkw-Markt wollen die Niedersachsen zunächst mit großen SUV und Limousinen punkten. Später sollen Elektroautos auf den Markt kommen, ab 2021 lokal produziert. Bis VW den Anschluss an die Platzhirsche wie General Motors, Ford oder Toyota hat, dürften allerdings wohl zehn Jahre vergehen. Ab 2020 wolle man in Nordamerika zumindest wieder schwarze Zahlen schreiben, "und das dauerhaft", kündigte Diess an. Auch in Südamerika will bis dahin aus den roten Zahlen kommen. "Wir wollen nicht nur in Europa und China profitabel sein, sondern haben uns vorgenommen, bis 2020 in allen großen Märkten positive Ergebnisse zu erwirtschaften."

Mit seiner E-Offensive ist VW nicht allein in der Branche. Daimler will bis Mitte des nächstens Jahrzehnts mindestens zehn neue Elektroautos auf den Markt bringen. BMW will die Entwicklung von E-Mobilen kräftig anschieben, ebenso der japanische Rivale Toyota, der sich bei Verbrennungsmotoren mit Volkswagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Weltmarktführung liefert.

rtr