Die Behörde geht dem Verdacht nach, dass Volkswagen möglicherweise bewusst verspätet über die finanziellen Folgen der millionenfachen Abgasmanipulation informierte. Die Behörde sei auf eine Strafanzeige der Finanzaufsicht BaFin hin aktiv geworden.
Der Verdacht richtet sich gegen Winterkorn sowie ein weites damaliges Vorstandsmitglied. Die Nachrichtenagentur dpa berichtete, dabei handle es sich um VW-Markenchef Herbert Diess. VW lehnte eine Stellungnahme dazu ab. Die Staatsanwaltschaft betonte lediglich, bei der Person handle es sich nicht um den damaligen Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch, der als Aufsichtsratsvorsitzenden immer noch eine wichtige Position im Konzern innehat.
Eine BaFin-Sprecherin sagte: "Wir haben in den vergangenen Wochen umfangreiche Informationen und Unterlagen an die Staatsanwaltschaft geschickt." Das Verfahren wegen der Adhoc-Mitteilung und möglicher Marktmanipulation liege damit bei der Staatsanwaltschaft - die BaFin prüfe lediglich weiter, ob es im Rahmen der Abgas-Affäre auch noch zu Insider-Handel gekommen sei. Dass die BaFin Anzeichen für Marktmanipulation sieht, ist Wasser auf den Mühlen von Investoren, die Volkswagen auf Milliardensummen verklagen, weil der Aktienkurs nach Bekanntwerden des Skandals am im September des vergangenen Jahres abgestürzt war.
VW erklärte, die Staatsanwaltschaft führe keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse über eventuelle schwere Pflichtverletzungen der nunmehr beschuldigten Vorstandsmitglieder an.
"STAATSANWALTSCHAFT WIRD IHRE GRÜNDE HABEN"
Das Land Niedersachsen begrüßte, dass die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen in der Abgasaffäre vorantreibe. "Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wird die Staatsanwaltschaft ihre Gründe haben", fügte Ministerpräsident Stephan Weil hinzu. Die zügige Durchführung der Ermittlungen und ein zügiger Abschluss lägen im allseitigen Interesse. Das Land ist mit 20 Prozent drittgrößter Anteilseigner von Volkswagen.
Der Wolfsburger Konzern hatte am 20. September auf Druck der US-Umweltbehörden öffentlich zugegeben, Abgaswerte durch eine illegale Software manipuliert zu haben. Nach dem Geständnis brach die VW-Aktie um 20 Prozent ein. Am 22. September gaben die Niedersachsen bekannt, dass weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge von dem Betrug betroffen seien und der Konzern deswegen 6,5 Milliarden Euro zur Seite legen müsse. Die Rückstellungen wurden später auf 16,2 Milliarden Euro erhöht. Der Konzern wies deshalb im vergangenen Jahr den höchsten Verlust seiner Firmengeschichte aus.
Die Staatsanwaltschaft teilte mit, es bestünden "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass die Pflicht zur Information der Börse über die zu erwartenden erheblichen finanziellen Verluste des Konzerns bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden habe.
ZAHL DER BESCHULDIGTEN GESTIEGEN
Mit den Ermittlungen gegen die beiden damaligen Vorstandsmitglieder erhöht sich die Zahl der Beschuldigten weiter. Bereits im März hatte die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen auf 17 von sechs Beschuldigte deutlich ausgeweitet. Dabei geht es um den Verdacht auf Betrug. Im Juni kamen Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter wegen des Löschens von Daten hinzu.
Winterkorn war im Zuge des Skandals zurückgetreten. Dabei hatte er erklärt, er tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl er sich keines Fehlverhaltens bewusst sei. Im Zuge der Aufarbeitung kam heraus, dass bereits im Mai 2014, fast eineinhalb Jahre vor Bekanntwerden der Abgasaffäre, ein erster Vermerk über Unregelmäßigkeiten bei Diesel-Motoren an den damaligen Konzernchef ging. Nach VW-Darstellung ist jedoch unklar, ob Winterkorn diesen Vermerk, der seiner umfangreichen Wochenendpost beigelegt worden sei, zur Kenntnis genommen hat.
Später wurde auch eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit den Problemen von VW mit Abgasgrenzwerten in den USA befasste. Am 27. Juli 2015 schließlich hatten Mitarbeiter in Anwesenheit von Winterkorn und VW-Markenchef Herbert Diess über die Diesel-Thematik gesprochen. Noch nicht geklärt sei, ob den Beteiligten damals bewusst gewesen sei, dass die Softwareveränderungen gegen US-Umweltvorschriften verstießen, hatte VW vor einigen Monaten mitgeteilt. Der ehemalige BMW-Manager Diess war Anfang Juli 2015 nach Wolfsburg geholt worden, um die ertragsschwache Marke VW sanieren.
Wegen Marktmanipulation in einem anderen Fall musste sich bereits der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking vor Gericht verantworten. Ihm und seinem damaligen Finanzvorstand Holger Härter warfen die Ermittler vor, Pläne zur Übernahme von Volkswagen verheimlicht zu haben. Der Prozess endete in diesem Frühjahr mit einem Freispruch für Wiedeking und den früheren Finanzvorstand. Der Staatsanwaltschaft gelang es nicht, ihren Vorwurf zu beweisen, dass Wiedeking und Härter insgeheim den Übernahmeplan schon lange vor der offiziellen Bekanntgabe im Herbst 2008 gefasst und mehrere öffentliche Dementis damit gelogen waren.